Zu den amüsantesten Plätzen, die wir kennen, gehört unstreitig die Dampfschiffwerft an der London-Bridge, oder der Kay der St. Katharinens-Dock-Compagnie, an einem Sonnabendmorgen zur Sommerszeit, wo die Gravesend- und Margate-Dampfboote gewöhnlich bis zum Uebermaße angefüllt sind; und da wir eben einen Blick über die Brücke auf den Fluß geworfen haben, so hoffen wir, unsere Leser werden nichts dagegen haben, uns an Bord eines Gravesend-Packetschiffes zu begleiten.
Jeden Augenblick halten Kutschen am Eingange des Kay's, und es ist fast zum Todtlachen, wenn man sieht, in welch verblüfftem Staunen sich die Passagiere darin ergeben, wenn ihnen die Träger ohne Weiteres, als wenn sich dieß von selbst verstände, ihr Gepäck entreißen und damit fortrennen, der Himmel weiß wohin. Ein Margateboot hat an dem Werft angelegt, das Gravesendboot (das zuerst abgeht) liegt unmittelbar an diesem, und da durch übergelegte Planken mit einem Geländer einstweilen eine Verbindungsbrücke zwischen beiden Booten hergestellt ist, so trägt dieß nicht wenig dazu bei, die Verwirrung der Scene, welche ohnedieß schon groß genug ist, noch zu erhöhen.
»Gravesend?« fragte der starke Vater einer nicht minder starken Familie, die ihm unter dem Schutze der Mutter und einer Magd nachfolgt, wobei kein kleines Risico ist, daß nicht zwei oder drei von den Kindern in der Verwirrung verloren gehen. »Gravesend?«
»Gehen Sie nur gefälligst zu, Sir,« erwiederte der Aufseher. – »Das zweite Boot, Sir.«
Der Herr Papa, der nun eigentlich erst nicht weiß, woran er ist, und die Frau Mama, die eigentlich vor Besorgniß um ihre Küchlein ganz weg ist, sammt der ganzen Gesellschaft lassen sich nun in dem Margate-Boote nieder, wünschen sich Glück, daß sie noch so bequeme Sitze erhalten haben, und dann eilt der besorgte Vater zu dem Dampfkamine, um nach seinem Gepäcke zu sehen, von dem ihm eine dunkle Erinnerung vorschwebt, daß er es irgend einmal einem Manne gegeben habe, um es irgend wohin zu tragen. Aber kein Packet, das auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit dem seinigen weder in Größe noch Gestalt hätte, kann er entdecken, worauf der starke Vater sich sehr laut an einen Angestellten des Boots wendet und ihm den Fall in Gegenwart des Vaters einer andern Familie vorträgt, der ein kleiner schmächtiger Mann ist und vollkommen mit ihm (dem starken Vater) derselben Meinung ist, es sei hohe Zeit, daß endlich einmal etwas mit diesen Dampfboot-Compagnien geschehe, und wenn es die Corporationsbill nicht thun wolle, so müsse es Jemand anders thun; denn wahrlich, so dürfe man mit dem Eigenthum der Leute nicht umgehen; wenn das Gepäck nicht im Augenblick zur Stelle geschafft würde, so wolle er Sorge tragen, daß es in den Zeitungen bekannt gemacht werde, denn das Publikum brauche sich nicht zum Opfer solcher Monopolien machen zu lassen; worauf der Angestellte erwiedert, daß die Compagnie stets, seit sie als St. Kat'rine's Dock Company bestehe, Leben und Eigenthum in Schutz genommen hatte; wenn es die London-Bridge-Wharf-Company gewesen wäre, dann würde es ihn freilich nicht Wunder nehmen, denn er wisse leider wohl, daß die Moralität dieser Compagnie gar keine Garantie darbiete (sie sind nämlich Konkurrenten); er sei indeß überzeugt, daß hier nur ein Mißverständniß obwalte, und erbiete sich, einen feierlichen Eid abzulegen, daß der Herr sein Gepäcke finden werde, noch ehe er nach Margate komme.
Hier glaubt nun der starke Vater einen kapitalen Einwurf zu machen, wenn er erwiedert, daß er zufällig gar nicht im Sinne habe, nach Margate zu fahren, und daß auf dem Gepäcke mit schönen großen Buchstaben geschrieben stehe: »Passagiersgut nach Gravesend,« worauf der Angestellte hastig das Mißverständniß auseinandergesetzt und die Mutter, Magd und Kinder mit aller möglichen Eile an Bord des Gravesend-Boots spedirt werden, welches sie gerade noch zeitig genug erreichen, um die Entdeckung zu machen, daß wohl ihre Effecten aber die bequemen Sitze nicht mehr da sind. Jetzt ertönte die Glocke, welche das Zeichen zur Abfahrt des Gravesend-Bootes gibt, wie rasend, und es ist die höchste Zeit für die Leute, im Doppelschritt hinein oder heraus zu rennen; die Glocke schweigt, das Boot fährt ab; Leute, die von ihren Bekannten an Bord Abschied nehmen wollten, werden gegen ihren Willen mit fortgenommen, und andere, die sich von ihren Bekannten am Ufer verabschiedet haben, finden, daß dieß eine sehr unnöthige Ceremonie war, denn sie werden gar nicht mitgenommen. Die regelmäßigen Passagiere, welche Billete für die ganze Saison haben, gehen zum Frühstücke hinab; wer Morgenblätter gekauft hat, schickt sich an, sie zu lesen; und wer vorher noch nie den Fluß hinabgefahren ist, denkt, daß sowohl die Schiffahrt als das Wasser in der Ferne sich doch um ein Ziemliches besser ausnähmen.
Sind wir aber endlich in die Gegend von Blackwall gekommen, wo die Bewegung lebendiger zu werden beginnt, so ermuntern sich auch allmälig die Lebensgeister der Passagiere. Alte Frauen mit großen geflochtenen Handkörben gehen ernstlich an's Werk, tüchtigen Butterbroden den Garaus zu machen, und lassen dazwischen ein Weinglas herumgehen, welches häufig aus einer wie ein Magenwärmer aussehenden Flasche wieder gefüllt wird, wobei dann nicht wenig Fröhlichkeit herrscht; sie reichen es zuerst dem Gentleman mit der Fourragiermütze, der die Harfe spielt, theils zum Zeichen ihrer Zufriedenheit mit seinen bisherigen Leistungen; theils damit er dem »Alick,« der darnach tanzen möchte, den Dumbeldumdery spiele. Dieß geschieht sofort auch, und Alick in rothen wollenen Socken macht, zur unaussprechlichen Zufriedenheit des ganzen Familienzirkels, einige schwerfällige Sprünge auf dem Decke.
Junge Frauenzimmer, die den ersten Band eines neuen Romans im Arbeitsbeutel mitgebracht haben, werden außerordentlich sentimental, und verbreiten sich gegen Herrn Brown oder den jungen Herrn O'Brien, der ihnen über die Schulter gesehen, in sehr weitläufigen Redensarten über den blauen Himmel und die Klarheit des Wassers, worauf Herr Brown oder Herr O'Brien, wie es sich gerade trifft, in schmachtendem Tone erwiedert, daß er gegenwärtig kein Gefühl für die Schönheiten der Natur habe, und daß alle seine Gedanken und Wünsche sich nur in Einem Gegenstand concentrirten, worauf die junge Dame aufsieht, da ihr aber der Versuch, sich den Anschein zu geben, als merke sie nicht, was jener damit sagen wolle, nicht gelingt, so sieht sie wieder auf ihr Buch und kann das folgende Blatt nur mit großer Schwierigkeit umwenden, um Gelegenheit zu geben, ihre schöne Hand noch länger bewundern zu lassen.
Perspektive, Sandwiches und Grog (warm und kalt) werden nun sehr in Requisition gesetzt, und die blöden Leute, welche durch die Lucke zur Maschine hinabgesehen haben, sind nun sehr froh, endlich einen Gegenstand gefunden zu haben, über den sie mit Jemand sprechen können – und dazu noch einen sehr reichhaltigen Gegenstand – nämlich den Dampf.
»Wunderbares Ding, der Dampf, Sir.« – »Ja! (tiefer Seufzer) Allerdings, Sir.« – »Große Gewalt, Sir.« – »Ungeheuer – ungeheuer!« – »Viel geleistet durch Dampf, Sir,« – »Ja! (ein abermaliger Seufzer, um damit die ungeheure Großartigkeit des Gegenstandes zu bezeichnen, und pfiffiges Kopfschütteln) das darf man wohl sagen, Sir.« – »Und noch in seiner Kindheit, wie man sagt, Sir.« Diese und andere dergleichen neue Beobachtungen und Bemerkungen bilden gewöhnlich die Eröffnung einer Unterhaltung, die bis zum Schlusse der Fahrt dauert, und vielleicht den Grund zu einer oberflächlichen Bekanntschaft zwischen einem halben Dutzend Herren legt, welche, da ihre Familien in Gravesend wohnen, Saisonbillete genommen haben, und regelmäßig jeden Nachmittag an Bord speisen.
1 Genever: Gin
Eilftes Kapitel
Astley's Cirkus.
Nie sehen wir so einen großen, steifen, schwarzen, römischen Anfangsbuchstaben in einem Buche, an einem Ladenfenster, oder auch auf einem Mauerplakate, ohne daß er augenblicklich eine unbestimmte und verworrene Rückerinnerung an jene Zeit in uns hervorriefe, wo wir zuerst in die Mystereien des Alphabetes eingeweiht wurden. Wir bilden uns fast ein, noch die Nadel in der Hand der Lehrerin zu sehen, womit sie den Buchstaben zu folgen pflegte, um ihre Form unserer verwirrten Einbildungskraft noch fester einzuprägen, und stampfen unwillkürlich auf den Boden, wenn wir uns der harten Knochenfinger erinnern, mit denen die ehrwürdige alte Dame, die uns die ersten Grundsätze der Erziehung für wöchentlich neun Pence oder vierteljährig zehn Shilling und sechs Pence beibringen sollte, gewohnt war, unser jugendliches Haupt gelegentlich zu klopfen, um die konfusen Ideen, mit denen es gewöhnlich angefüllt war, in Ordnung zu bringen. Ein ähnliches Gefühl drängt sich uns in vielen anderen Fällen auf, aber es gibt keinen Ort, der die Rückerinnerung an unsere Kindheit uns so genau hervorzurufen vermöchte, als »Astley's Cirkus.« Damals gab es noch kein »königliches Amphitheater«: ebensowenig war bereits ein Ducrow aufgestanden, um das Licht klassischen Geschmacks und portablen Gases über die Sägespäne des Cirkus zu verbreiten; allein der Charakter des Platzes war im Ganzen derselbe – die Stücke des nämlichen – die Späße des Bajazzo ebenfalls – die Stallmeister waren eben so großartig – die Komiker eben so witzig – die Tragiker eben so heiser – und die wohlgearbeiteten Rosse mit demselben Geiste beseelt. Astley's Cirkus hat sich zu seinem Besten verändert, wir dagegen sind schlechter geworden. Unser theatralischer Geschmack ist dahin; und mit Scham müssen wir es gestehen, daß uns jetzt die Zuschauer weit mehr Spaß und Unterhaltung machen, als der Prunk, welchen wir einst so hoch schätzten.
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