Es ist dieß in der That keine ideale Skizze; nach dieser Zeichnung gab es sonst viele alte Leute, obgleich sich ihre Anzahl vermindert haben mag und vielleicht noch mehr abnehmen wird. Ob wohl die Richtung, welche die weibliche Erziehung heutzutage genommen, indem sie mehr nach schalen Frivolitäten und eiteln Nichtigkeiten haschen lehrt, ein Grund ist, warum unsere Weiber zu jenem stillen häuslichen Glücke, worin sie sich in weit größerem Glanze zeigen können, als in den geräuschvollsten Assembleen, unfähig sind? – Dieß ist eine Frage, die näher zu untersuchen wir keinen Beruf in uns fühlen: wir hoffen nicht.
Wir wollen uns nun zu einem anderen Theile der Londoner Bevölkerung wenden, deren Erholungen wieder eben so verschiedenartig sind, als man sie sich nur immer einbilden kann – wir meinen die Sonntagsfreuden; und somit bitten wir nun unsere Leser, sich einzubilden, als ob sie in einem wohlbekannten ländlichen »Theegarten« an unserer Seite ständen.
Die Hitze ist diesen Tag außerordentlich, und die Leute, die jeden Augenblick in großen Partien anlangen, sehen eben so erhitzt aus, als die frisch angestrichenen Tische, die ganz den Anschein haben, als ob sie rothglühend wären. Welcher Staub, welches Getümmel! Männer und Frauen, Knaben und Mädchen, liebendes und verheirathetes Volk – Püppchen auf dem Arme und Kinder in den Chaischen – Pfeifen und Krabben, Cigarren und Austern – Thee und Tabak! Dort gehen drei Gentlemen in schreienden Westen, mit stählernen Uhrketten Arm in Arm auf und ab spazieren, geben sich ein erstaunliches Air (oder, wie der Gentleman in der nächsten Hütte witzig bemerkt, »treten ungewöhnlich dick auf!«) – Damen, mit großen, langen, weißen Taschentüchern – von der Größe kleiner Tischtücher – in den Händen, jagen sich – in der Absicht, die Aufmerksamkeit vorerwähnter Herren zu erregen – auf das Possierlichste und Interessanteste in dem Grase umher. Ehemänner bestellen – in ihrer ungeheuern Verschwendung die Kosten gar nicht beachtend – Flaschen mit Ingwerbier für die Gegenstände ihrer Liebe, und die besagten Gegenstände drücken große Quantitäten Krabben und Austern hinunter, und denken eben so wenig an ihre eigene körperliche Gesundheit, als an die üblen Folgen. – Knaben mit großen, gerade nur auf ihren Köpfen balancirenden Seidenhüten rauchen Cigarren, und bemühen sich, auszusehen, als ob diese ihnen sehr gut bekämen – Herren mit blauen Westen und rothen Hemden, welche bald sich selbst, bald Anderen mit ihren langen Röcken zwischen die Beine kommen!
Ueber das gezierte Wesen einiger dieser Leute müssen wir zwar freilich ein wenig lächeln, Alle aber sind wenigstens reinlich gekleidet, glücklich, und eifrig bemüht, gesellig und guter Laune zu sein. Jene beiden mütterlich aussehenden Frauen mit den schreienden Kleidern, die so zutraulich plaudern und bei jedem vierten Wort ein »Ma'am« einschalten, haben seit ungefähr einer Viertelstunde Bekanntschaft geschlossen, die durch die Bewunderung entstanden ist, welche die Eine dem kleinen Knaben der Andern zollte – jenem kleinen Holden mit dem dreikantigen Rosasammthütchen und schwarzen Federn. Die beiden Männer in den blauen Röcken und kothfarbigen Beinkleidern, die dort auf- und abgehen und ihre Pfeifen rauchen, sind ihre Männer.
Die Gesellschaft in jener gerade gegenüberliegenden Hütte aber bietet uns das genaueste Bild der Mehrzahl der anwesenden Gäste dar. Hier sind Vater und Mutter, die alte Großmutter, ein junger Mann und ein junges Frauenzimmer, und eine Person, die stets bei dem wohllautenden Namen »Onkel Bill« gerufen wird – augenscheinlich der Witzbold der Gesellschaft – bei einander versammelt. Sie haben etwa ein halbes Dutzend Kinder bei sich; aber es ist kaum nöthig, dieses Umstandes zu erwähnen, da er hier eine zu natürliche Sache ist. Jede Frau in »den Gärten« muß, wenn sie eine Zeitlang verheirathet ist, wenigstens zwei- oder dreimal Zwillinge geboren haben, denn sonst wäre es unmöglich, daß die jugendliche Bevölkerung so zugenommen haben könnte. Man beobachte, welch' unaussprechliches Vergnügen der Großmutter Onkel Bill's glänzender Witz macht: »Thee für vier und Brod und Butter für vierzig Personen«; und was für ein lauter Ausbruch von Fröhlichkeit, wenn er ein Papier zusammenwickelt und es dem Aufwärter als »Zopf« am Kragen befestiget! Der junge Mann ist augenscheinlich »der Verlobte« von Onkel Bill's Nichte, und Onkel Bill's Winke: – »Vergessen Sie meiner bei dem Mittagsessen nicht, Sie wissen schon« – »Ich werde mich wohl nach dem Hochzeitkuchen umsehen müssen, Sally« – »Ich bitte mir die Taufpathenstelle bei deinem Erstgeborenen aus« – »Ich wette, es ist ein Knabe,« und so weiter, brachten die jungen Leute eben so sehr in Verwirrung, als sie den Alten Vergnügen machten. Was die alte Großmutter betrifft, so lebt sie in völligem Entzücken und lacht in Einem fort fast zum Ersticken, bis man endlich mit dem Wachholder und Wasser gehörig »den Magen erwärmt« hat, worauf Onkel Bill vorschlägt, nach dem Thee das Glas noch einmal herumgehen zu lassen, blos um sich gegen die Abendluft zu schützen und einen so erstaunlich heißen Tag »comfortabel, und wie es sich gehört, zu beschließen.«
Es ist nun finster geworden und die Leute fangen an, aufzubrechen. Das Feld nach der Stadt hin ist völlig von ihnen übersäet; die Kinderchaischen werden langsam nachgeschleppt; die Kinder sind müde und unterhalten sich und die Gesellschaft durch Schreien, oder wenden sich zu einem angenehmeren Auskunftsmittel – sie schlafen; die Mütter wünschen, wenn sie nur schon zu Hause wären; die Liebhaber werden sentimentaler als je, denn die Zeit der Trennung naht heran; bei der Beleuchtung von zwei Laternen, die zur Bequemlichkeit der Raucher an den Bäumen hängen, sehen die Gärten gewaltig düster aus – und die Aufwärter, die während der letzten sechs Stunden unaufhörlich hin und her jagten, fühlen sich ein wenig ermüdet, wenn sie endlich ihre Gläser und ihre Einnahme zählen.
Zehntes Kapitel
Der Fluß.
»Sind sie ein Freund von Wasserpartien?« wird man in heißen Sommertagen von wahrhaft amphibienähnlich aussehenden jungen Leuten gefragt. »Ein großer«, ist die gewöhnliche Antwort; »Sie nicht auch?« – »So oft es mir möglich ist,« hört man erwiedern, »bin ich auf dem Wasser.« Und dann kommen allerlei Redensarten, welche des Sprechers außerordentliche Bewunderung und Vorliebe für dieses Element ausdrücken. Haben wir nun auch alle Achtung vor den Wasserpartien im Allgemeinen, und vor denen der Kutter-Clubbs im Besondern, so können wir doch die leise Bemerkung nicht unterdrücken, daß gewiß Jedem, der sich schon zuweilen der Themse anvertraut hat, von derlei Wasserpartien einige schmerzliche Erinnerungen geblieben sind. Wer hat je von einer vollkommen glücklich ausgefallenen Wasserpartie gehört? – oder, um die Frage noch verständlicher zu stellen – wer hat je eine gesehen? Wir haben unzähligen solchen Wasserausflügen mit angewohnt, können aber auf das Feierlichste versichern, daß wir uns auch nicht Einer Veranlassung dieser Art erinnern, die nicht mit mehr Unannehmlichkeiten verknüpft gewesen wäre, als man in einem so kleinen Zeitraume von acht oder neun Stunden billigerweise hätte erwarten sollen. Irgend etwas ist stets dabei schlimm abgelaufen. Entweder ist der Kork aus der Salatiere herausgesprungen, oder das sehnsüchtigst erwartete Mitglied der Gesellschaft nicht gekommen, oder hat sich ein höchst widerwärtiger Mensch angeschlossen, oder sind ein paar Kinder in's Wasser gestürzt; oder der Herr am Steuerruder hat die ganze Fahrt über Alles in die größte Lebensgefahr gebracht; oder die Herren, die sich freiwillig zum Rudern erboten, konnten nicht damit umgehen und machten in der That ganz gefährliche Evolutionen, stießen ihre Ruder in's Wasser und konnten sie nicht mehr herausbringen, oder machten erschreckliche Schläge, ohne daß sie diese etwas genützt hätten, purzelten aber in jedem Falle gewaltsam hinterrücks hinein, und streckten den Uebrigen im Boote auf höchst unhöfliche Weise ihre Schuhsohlen entgegen.
Читать дальше