Wir müssen übrigens zugeben, daß die Ufer der Themse sehr schön sind, insbesondere bei Richemond, Twickenham und andern entfernteren Orten, wohin man oft will, aber selten kommt; auch ist von »Red-us« rückwärts bis zu der Blackfriars-Brücke ein prachtvoller Wechsel der Scenerie. Das Penitentiary ist ohne Anstand ein stattliches Gebäude, und die fröhliche Jugend, welche diese Flußpartie an Sommerabenden besonders gerne zum Baden erwählt, mag sich von Ferne gar nicht übel ausnehmen; wenn man aber bei der Heimfahrt sich hart am Ufer zu halten genöthigt ist, und die jungen Damen erröthen und beharrlich auf die andere Seite sehen, die verheiratheten Ditto's aber ein wenig zu hüsteln anfangen und ganz starr auf das Wasser blicken, so fühlt man sich gewiß recht unbehaglich – besonders wenn man es sich etwa seit ein paar Stunden nur entfernt hat beigehen lassen, den Sentimentalen zu spielen.
Obwohl nun aber Erfahrung und manche ausgestandene Widerwärtigkeiten uns zu diesem Resultate gebracht haben, so sind wir doch keineswegs für das eigenthümliche Vergnügen und für den Spaß blind, den man als bloßer Zuschauer bei den Freuden der Wasserpartien haben kann. Was kann man wohl Unterhaltenderes finden, als Searle's Yard an einem schönen Sonntagmorgen? Die Fluth ist günstig nach Richmond, und ein Dutzend Boote rüstet sich zur Aufnahme der Gesellschaften, von denen sie bestellt worden sind. Zwei oder drei Burschen in weiten groben Beinkleidern und Guernseyhemden treffen Vorbereitungen zur Abfahrt, ohne sich übrigens sehr zu beeilen, sie kommen mit ein paar Rudern und einem Kissen den Hof herab, treiben dann Possen mit dem »Jack«, der, wie Alle seines Gleichen, zu nichts als zum Herumlungern nütze zu sein scheint, gehen hierauf zurück, und bringen eine Ruderleine und einen Fußstock, treiben abermals neue Possen und stehen dann herum, die Hände in ihren weiten Taschen, und wundern sich, wo die Herren wohl bleiben, die den Sechsruderer bestellt haben. Einer von ihnen, der Oberbootsmann, der seine Beinkleider sorgfältig unten aufgestülpt hat – wie wir vermuthen, um das Wasser zuzulassen, denn in diesem Elemente ist er weit mehr zu Hause, als auf dem Lande – ist ein Charakter ganz wie der dahingeschiedene Austernverschlinger Dando, dessen berühmten Namen er auch führt. Man beobachte ihn nur, wenn er einige Minuten von seinen Beschwerden ausruht, sich dazu nachlässig in einen Winkel des Bootes setzt, und seine breite, behaarte Brust mit einer kaum halb so zottigen Mütze fächelt. Man sehe seinen stattlichen, wenn gleich etwas röthlichen Bart, und gebe auf seinen, ihm gewissermaßen angeborenen Humor Acht, mit dem er die Jungen und Lehrlinge neckt, oder von den Gentlemen listig etwas zu einem Glase Genever A6herauszulocken weiß, von dem er, wie wir wohl annehmen dürfen, so viel in einem Tage zu sich nimmt, als sechs gewöhnliche Menschen, ohne daß es im Geringsten schlimmer um ihn stände.
Endlich kommt die Gesellschaft, und Dando wird aus seiner Ungewißheit gerissen und in Thätigkeit versetzt. Die Herren rücken in vollständigem Wassercostüme an – mit runden, blauen Jacken, gestreiften Hemden, und Mützen von allen möglichen Größen und Formen, von der schlafkappenähnlichen Sammetmütze französischen Fabrikats, bis zu der leichten Kopfbedeckung, welche, wie denen bekannt, die sich noch des alten Abcbuchs bedient, nach Maßgabe des vorgesetzten Porträts einen Theil von dem Costüme des ehrwürdigen Mr. Dilworth ausgemacht hat.
Dieß ist die amüsanteste Zeit, um eine der regelmäßigen Sonntags-Wasserpartien mit anzusehen. Ohne Zweifel haben bisher Alle sehr mit ihren Kenntnissen vom Schifffahrtswesen geprahlt; plötzlich kühlt aber der Anblick des Wassers ihren Muth, und es ist nun höchst ergötzlich anzusehen, mit welcher Selbstverläugnung Jeder den Andern auffordert, ein Ruder zur Hand zu nehmen. Wenn endlich, nach vielem Wechseln und Hin- und Herrennen, die Wahl der Ruderer getroffen ist, kann der Eine nicht auf dieser, der Andere nicht auf jener Seite, und ein Dritter gar nicht rudern; aber die Mannschaft sitzt einmal. »Abgestoßen!« ruft nun der Bootsmann, und sieht eben so unbefangen und behaglich aus, als ob er in der Bai von Biscaya steuerte. Der Befehl wird befolgt; das Boot dreht sich alsbald völlig rund um und dahin geht es durch die Westmünsterbrücke mit einem so unerhörten Spritzen, Ringen und Wogen, wie man noch nie gesehen, außer wenn der Royal George die Themse hinabfährt. »Rückwärts gerudert, Sir!« schreit Dando; »rückwärts, Sir, Sie dahinten;« worauf Jeder glaubt, er sei gemeint, und das Boot geht nun rückwärts, den Stern voran, gerade dem Platze zu, den sie soeben verlassen haben. – »Rückwärts gerudert, Sie, Herr, da hinten; wenden Sie, Sir, vorne; können Sie nicht?« schreit Dando, halb rasend. »Wenden Sie doch, Tom, können Sie denn nicht?« ruft Einer aus der Gesellschaft. »Nein, er kann nicht,« sagt ein Anderer. – »Ja, ja, jetzt geht's,« ruft ein Dritter; und der unglückliche junge Mann rudert, auf die Gefahr hin, ein Blutgefäß zu zersprengen, unaufhaltsam darauf los, bis das Boot endlich ganz hübsch die Richtung nach der Vauxhall-Brücke hat. »So ist's recht – nun lustig zugerudert!« ruft Dando wieder, und sagt leise zu Einem neben ihm: »Ich will des Henkers sein, wenn ich je so muffige Kerls gesehen habe.« Und fort juckt das Boot im Zickzack, während jedes der sechs Ruder zu verschiedenen Zeiten in's Wasser kommt. Der Hof ist nun leer, bis wieder eine neue Gesellschaft anlangt.
Ein gut ausgeführtes Wettrennen auf der Themse mit Ruderbooten ist ein hübscher und interessanter Anblick. Das Wasser ist mit Fahrzeugen jeder Art übersäet – alle Kohlenbarken auf den verschiedenen Werften sind mit Zuschauern angefüllt – Bier und Tabak in Hülle und Fülle – Männer, Weiber und Kinder sehen dem Beginnen in athemloser Erwartung entgegen – sechs- und achtruderige Kutter gleiten leicht und zierlich hin und her, und warten nur darauf, ihre Protégés während des Rennens zu begleiten – Musikbanden tragen viel zur Belebung, wenn auch nicht zur Harmonie der Scene bei – zahllose Schiffleute stehen gruppenweise auf den zu den Docks führenden Treppen bei einander und handeln die verschiedenen Verdienste der Canditaten ab – und das Preisboot, das langsam von ein paar Bootsleuten herumgerudert wird, ist der Gegenstand des allgemeinen Interesses.
Es schlägt zwei Uhr, und Jedermann sieht ängstlich nach der Brücke hin, durch welche die Preiscanditaten kommen sollen – halb drei Uhr – die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich so lange erhalten hat, beginnt nachzulassen, als man plötzlich einen Kanonenschuß und mit ihm den Lärm des entfernten Hurrahrufens auf beiden Ufern des Flusses hört – Alles reckt die Köpfe – der Lärm kommt näher und näher – die Fahrzeuge, die an der Brücke gewartet haben, werden plötzlich lebendig – eine wohlbemannte Galeere fährt durch den Bogen und ruft den Booten hinter ihr, die man noch nicht sehen kann, ermunternd zu.
»Da kommen sie,« schreit Alles – und wie ein Pfeil schießt das erste Boot – dessen Bemannung fast bis auf's Hemde entkleidet ist und jede Muskel anstrengt, um den bereits erlangten Vorsprung nicht zu verlieren – durch den Brückenbogen – vier weitere Boote folgen hart nach ihm – kaum zwei Bootslängen hinter dem ersten – das Geschrei ist fürchterlich und die Theilnahme allgemein. »Fahr' zu, Nelke!« – »Stich' sie, Rother!« – »Sullivin, hoch!« – »Bravo, George!« – »Nun, Tom, nun, – warum ist denn dein Kamerad so faul?« – »Zwei Krüge Porter gegen eine Pinte, der Gelbe gewinnt« – und so weiter. Jede Kneipe am Strand feuert ihre Böller ab und hißt ihre Flagge auf, und wen der Durst hineintreibt, der kommt mitten in einen wahren Teufelslärm und in eine Verwirrung sonder Gleichen, welche sich Niemand, der sie nicht selbst mit angesehen hat, denken kann, und von der jede Schilderung nur ein schwaches Bild zu geben vermag.
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