Und während die Stimme weiter spricht, merke ich, dass ich nicht rational, sondern eher emotional anfange zu schwitzen. Ich schiebe es aufs Satin. Satin ist wirklich nicht sexy. Ich sollte mich umziehen. Fest entschlossen will ich aufstehen und greife stattdessen intuitiv zu meinem Handy. Ich rufe sie jetzt an, diese Nummer von dieser Verwandten. Ich erinnere mich an meine studentische Zeit im Callcenter, unterdrücke die Rufnummernübermittlung und verstelle meine Stimme. Tiefer, viel tiefer. Probesatz. Geglückt. Zug an einer weiteren Zigarette. Husten. Gut! Husten ist gut für eine tiefe Stimme. Wählen. Die Frau meldet sich. Mit seinem Nachnamen. Alles klar, geklärt, seine Schwester. Oder? Ich mache den Test.
„Schröööder hier, Kundenberaterin der deutschen Telekom, schönen guten Morgen Frau Akesbi!” - “Kkönne Zie bite aufhören immer mich anzurufe?” - “Frau Akesbi, es geht um Ihre Telefonverbindung, gern hätte ich dazu Ihren Mann gesprochen, Herrn Saïd Akesbi, ist der zufällig erreichbar?” - „Sssaïd nicht da, ist Montage. Lassen Zie mich in Ruhe jetzt, muss kummern um Kinder. Tschus.”
Schlecht gelaunt legt Frau Akesbi auf. Vielleicht weil Kundenberater der Telekom mitunter extrem lästig sind? Vielleicht aber auch, weil vor wenigen Minuten eine andere Frau an das Handy ihres Mannes gegangen war … Stolz auf mein Kundenberatergeschick hatten meine Synapsen doch eher langsam geschaltet: Frau Akesbi ist tatsächlich Frau Saïd Akesbi. Zigarette. Ziehen. Mehrfach. Atmen. Emotional schwitzen.
Die Dusche ist aus. Auf einmal – ein halbnackter Mann in meinem pinken Frotteehandtuch. Also, in meinem Haarhandtuch. Das ihm locker um die Hüften passt. Auf meinem Balkon. „Sschöne Frau”, sagt er auf miserabel ausgesprochenem, man könnte auch sagen, ausgesprochen miserabel ausgesprochenem Deutsch. Dann wechselt er zu Französisch: „Sollen wir nicht rübergehen ins Schlafzimmer, ein bisschen Liebe machen?”
Und ich höre mich sagen „Ja, mon amour.” …
Er hebt mich rum und wirbelt mich in die Küche, reißt mir fast zeitgleich die Sachen vom Leib und zieht sich das Handtuch von den Lenden. Ich denke, Abschiedssex wäre sicher nett, bevor ich ihn endgültig rauswerfe. Aber mein Stolz kommt mir dabei gerade ganz ungemein in die Quere. Ich, die Geliebte. Sie, die Frau. Die Kinder! Ich transpiriere, selbst ohne Satin. Und Tränen steigen mir in die Augen. Wir wissen ja alle, wie das ist: Vor der Trauer kommt die Wut – und nach dem Hochmut der Fall. Und so passiert es letztendlich, dass ich Saïds sexuelles Vorgehen ausbremse. Aber leider mit der Sensibilität einer Furie: Der auf einmal schmächtig wirkende Mann fliegt in einem recht rasanten Tempo rückwärts gegen meine Kaffeemaschine. Die Kaffeemaschine schwankt. Ich schreie ihn an: „Du bist verheiratet!”
Total überrumpelt schaut er mich aus seinen schwarzen Augen an, deren Ausdruck sich ziemlich schnell von erregt zu verängstigt wandelt und dann von verängstigt zu wütend. „Woher weißt du das?” Er läuft auf mich zu und packt mich bei den Schultern. „Von deiner verdammten Frau.” - „Verdamme nicht meine Frau!” - „Ich verdamme dich!” Ich stoße ihn weg, diesmal seitwärts gegen das Regal, auf dem mein Aquarium steht. Das war ein Fehler. Das Aquarium fällt – und zwar ziemlich tief. Es landet zuerst seitlich an Saïd und dann auf dem Boden. Auf den Holzdielen, um genau zu sein. Scherben, überall. Und Algen. Und mein Goldfisch Waldi.
„Du hättest es mir sagen müssen!”, schreie ich, vollkommen unbeeindruckt von den Scherben. Und Algen. Und Waldi. „Aber du fandest es doch schön?” - er schaut irritiert und verunsichert, so mitten im Chaos. „Schön?! Schön fand ich es, als ich dachte, du würdest mich lieben.” - „Aber ich liebe dich, Amour, dich und deine Kurven.” Hundeblick. Ich werde immer wütender. „Vielleicht kann man als schlechter Mann zwei Frauen lieben! Aber nicht so! Nicht mit mir!” - Jetzt schreit er auch: „Gut, dann gibt es eben keinen Sex mehr für dich.” - Und ich schreie zurück: „Es ging dir also nur um den scheiß Sex, ja? Jetzt sag ich dir was. Vorurteile beiseite, aber dafür, dass du Afrikaner bist, ist dein Penis ziemlich klein! Und jetzt raus hier!” Ich schubse ihn in Richtung Tür. Er tritt nicht in die Scherben, dafür auf Waldi. Waldi ist sofort tot. Saïd schafft es gerade noch, sich mein pinkes Frotteehandtuch zu greifen, bevor ich ihn komplett vor die Tür stoße habe. „Melde dich nie, nie mehr bei mir.”
Er rennt im Handtuch die Treppe hinunter.
Ich ziehe mein Negligee wieder an und werfe all seine Sachen aus dem Fenster. Und ich wohne im dritten Stock. Sie fliegen, fliegen herab auf den Mann im Frotteehandtuch, der zugegeben ziemlich niedergeschmettert vor meinem Haus auf der Straße steht.
Ich kehre die Scherben zusammen. „Zum Glück war es das Aquarium und nicht die Kaffeemaschine”, denke ich mir. Ich entsorge die Algen. Und Waldi. Zumindest lege ich ihn vorerst in die Spüle, bis ich weiß, wie ich mit einem toten Fisch verfahre. Er ist dick, vielleicht zu dick fürs Klo. Und in den Müll? Irgendwie auch entwürdigend und unpassend für einen Fisch wie ihn. Dazu muss ich ins Detail gehen:
Vor einigen Jahren hat meine kleine Schwester zu ihrem Geburtstag eben dieses Aquarium, das jetzt nicht mehr ist, bekommen. Darin schwammen zwei Welse und acht Goldfische. Den dicksten tauften wir Waldi. Er machte einen friedlichen Eindruck. Nach und nach verstarben alle anderen Fische um ihn herum. Aber da es sich um Goldfische handelte, zu denen weder meine Schwester noch ich je einen persönlichen Bezug herstellen konnten, machten wir uns keine Gedanken darum. Eines Tages aber beobachteten wir etwas Seltsames: Es handelte sich nicht um ein natürliches Sterben der Fische – es war Mord. Genau genommen eigentlich sogar Kannibalismus. Waldi hat im Laufe der Jahre all seine Freunde getötet und danach (teilweise) gefressen. Deswegen war er der einzige Goldfisch im Aquarium. Die Welse mochte er anscheinend geschmacklich nicht besonders, deswegen wurden sie geduldet. Aber seit vor ein paar Wochen der letzte Wels an Altersschwäche von uns gegangen war, war Waldi allein. So wie ich jetzt. Dick und allein. Und ohne jemanden, der für ihn putzt. Er tut mir schon ein wenig leid, so tot da in meiner Spüle. Zertrampelt von einem treulosen Marokkaner. Genau wie mein Ego.
„Wieso hat er ihn nicht gleich gegessen, meinen kannibalistischen Fisch? Das hätte wenigstens noch ein bisschen Stil gehabt”, denke ich. Und da kommt mir auch schon spontan eine wunderbare Idee: die Katzenfrau!
Komplett durcheinander, sowohl optisch als auch mental, laufe ich mit dem toten Waldi in den Händen ins Treppenhaus. Im Negligee und mit den hässlichen Latschen an den Füßen. Und während ich den obersten Stock erklimme, fällt mir auf, dass ich noch nie so weit oben war. Dass ich generell noch nie bei der Katzenfrau war. Ich kenne sie seit Jahren, manchmal klingelt sie an meiner Tür, mit einer Katze auf der Schulter und einem penetranten Geruch, der genauso an ihr haftet, und lässt sich von mir einen Kaffee servieren. Dann erzählt sie von übernatürlichen Dingen, die irgendwie spirituell und seltsam klingen, von verrückten Vorahnungen und vor allem von Katzen. Es ist ja nicht so, dass ich keine Katzen mag aber die Dimensionen ihrer Erzählungen sind einfach so unerträglich, dass ich die Treppen zu ihrer Wohnung tatsächlich noch nie zuvor hinaufgestiegen bin. Etwas läuft mir die Wangen hinunter und ich ärgere mich so lange über meine beschissene Kondition, bis ich merke, dass es Tränen sind. Ich weiß nicht so richtig, was mit mir los ist. Ich merke nur, dass ich mit der rechten Hand gegen die Tür der Katzenfrau hämmere, als hätte es nie Türklingeln gegeben.
Barfuß und komplett zerzaust öffnet sie mir die Tür. Um ihre nackten Füße scharwenzeln drei Katzen, im Hintergrund läuft keltische Musik und es riecht nach einer Mischung aus Räucherstäbchen, indischem Essen und Katzenpisse.
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