1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 »Du kannst ins Bad«, sagte sie. Im Schein der Lampe bemerkte sie Heinrichs blutverschmiertes Gesicht.
»Haben Dir Deine Opfer wieder aufgelauert und Rache genommen!«, spottete sie. Heinrich kannte sie nicht anders, wenn sie betrunken war. Sobald sie nüchtern sein würde, zeigte sie ihm, wie sehr ihr dieses ewige Gestichel leid tat. Gleichwohl würde sie ihn wieder darum bitten, sich endlich eine andere Arbeit zu suchen.
Der Unterrichtsraum wurde zum Backofen und die blanken Blechwände wirkten wie Heizkörper. Dabei waren es nur die matten Strahlen der Frühlingssonne, welche die Baracke von außen aufheizten. Wie erst hoch drohten die Temperaturen im Sommer zu steigen? Mahoud war von Haus aus einiges gewöhnt. Der Gedanke jedoch, in einer Gluthitze zu schmoren, bis er umkommen würde, erschreckte ihn. Er musste sehen, wie er so schnell wie möglich von hier fortkäme, wenn nicht auf legalem Weg, so durch Flucht. Im Heim für Asylbewerber zog der Sprachkurs sich zäh durch die Unterrichtseinheiten. Eine junge Deutschlehrerin mühte sich redlich ab. Sie litt unter der Hitze und der schlechten Luft besonders und weitaus schlimmer als die dreißig Kursteilnehmer. Viele von ihnen dösten vor sich hin. Wenigstens gaben sie Ruhe und störten nicht. Sicherheitspersonal, das von nahezu täglich wechselnden Dienstleistungsfirmen angemietet wurde, stand vor der Baracke und würde erneut nicht zögern, hereinzustürmen und Aufsässige und Störer niederzuknüppeln. Diese Mietschläger gaben auf ihre Art ein Beispiel von Rechtsstaatlichkeit, in deren Aufnahme die Opfer zumeist begehrten und dafür Anträge gestellt hatten. Mahoud hielt sich aus Konflikten heraus. Er zeigte sich lernwillig und arbeitete mit. Insgeheim nagte in ihm jedoch der Zweifel: Wollte er wirklich in diesem Land Asyl bekommen? Vor fünf Wochen war er in das Heim gebracht worden. Er fand sich unter jungen männlichen Asylbewerbern ohne familiären Anhang, in denen aus verklausulierten Gründen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gesehen wurde. Genau genommen befand er sich in einem Lager, das von Stacheldraht umzäumt und von Wachmannschaften umstellt war. Mahoud bildete sich bald ein, dass dieser Ort geschaffen worden wäre, um eine unheilvolle Tradition der Geschichte am Leben zu halten. Für seinen Cousin, der ihm den unseligen Rat gegeben hatte, nach Deutschland zu flüchten, empfand er inzwischen puren Hass. Kanada oder Australien hätten ihn menschlicher und vorurteilsfreier aufgenommen. Mahoud sah sich in diesem Heim in Haft genommen, als Vorverurteilter abgestempelt und wie ein Gefangener gehalten. Niemand bekam Freigang. Wer Behördengänge zu erledigen hatte, musste sich in die Obhut von staatlich bestellten Begleitern begeben. Das Leben verlief unter unablässiger Kontrolle, in Eintönigkeit und Enge. Vormittags und nachmittags saß Mahoud im Kurs und versuchte, das Gute daran zu finden. In der Mittagspause gab es Gemeinschaftsverpflegung. Eine Großküche lieferte lauwarmes, geschmackloses Essen. Zweimal in der Woche fuhr ein Lastwagen vor, von dem aus Proviantpakete ausgegeben wurden. Wenn auch in begrenztem Umfang konnte jeder sich abends nach eigenem Geschmack verpflegen. Ein Bolzplatz hinter dem Gebäude lud an den Wochenenden zu Fußball oder Basketball ein. Mahoud nahm einige Male an den Ballspielen teil, bis Mitinsassen die Gelegenheit nutzten, ihn zusammenzutreten. Sie ließen ihre Wut an ihm aus und beschimpften ihn als Spitzel, der sich beim Aufsichtspersonal beliebt machte. Seitdem nahm Mahoud sich in Acht. Er traute niemandem und sprach mit keinem mehr. Ihn bedrängte Angst, im Schlaf erstochen zu werden. Stehlen konnten sie ihm nichts, denn er besaß nichts von Wert und ohnehin war jedem alles Wertvolle genommen worden. Sein Argwohn wuchs allmählich ins Absurde aus. Nur während der Kurse fühlte er sich noch sicher und bewacht. Der Unterricht zeigte bei ihm Wirkung. Vor allem durch den familiären Hintergrund begünstigt, lernte er Deutsch mit Leichtigkeit. Sein Vater beherrschte mehrere Sprachen und der Großvater war als indischer Kaufmann in das Emirat eingewandert. Als Händler mussten sie viele Sprachen und Dialekte so weit, so schnell und so gründlich lernen, um darin Geschäfte zu treiben. Die außerordentliche Anpassungs- und Lernfähigkeit der Benisads wurde belohnt und Mahoud wuchs in einer wohlhabenden Familie auf. Er hatte noch drei Schwestern. Früh wurde er darauf vorbereitet, die Geschäfte fortzuführen. Er lernte Indisch und Englisch, Französisch und Türkisch. Das Kaufmännische hingegen beherrschte er noch immer nicht.
Ohne anzuklopfen, betrat ein Verwaltungsangestellter den Kursraum und gab der Lehrerin ein Zeichen, zu unterbrechen. Er zeigte auf Mahoud und auf drei weitere Asylbewerber. Sie hätten sich sofort im Büro des Heimleiters einzufinden, denn es gäbe Neuigkeiten. Auf dem Weg dahin ließen sie sich Zeit für eine Zigarettenpause und der Vorsteher empfing sie mit einem Wutausbruch, warum sie ihn hatten warten lassen. Nur Mahoud verstand den Wortlaut und die Bedeutung der Schimpfworte und empfand etwas Stolz darüber, wie gut er die fremde Sprache bereits gelernt hatte. Er wagte sogar lauten Widerspruch, der den Leiter für einen Moment in Sprachlosigkeit versetzte. Er argwöhnte wohl, dass unter seiner Obhut Asylbewerber so gut für die Eingliederung vorbereitet wurden, dass sie lernten, sich mit Worten zu wehren. Wenn Mahoud und die anderen seine Hässlichkeiten tatsächlich verstanden hätten, wäre zu fürchten, dass sie sich bei Anwälten und Journalisten über ihn ausließen. Offensichtlich bereute der Vorsteher, sich eben in der Wortwahl vergriffen zu haben und schlug einen freundlicheren Ton an. Er beglückwünschte den Tamilen und die beiden Nordkoreaner und ließ Mahoud dabei aus, denn nur deren Asylanträgen war stattgegeben worden. Fortan waren sie geduldet, konnten sich frei bewegen und einer Arbeit nachgehen. Der Heimleiter drängte zur Eile. Sie sollten unverzüglich ihre Sachen packen und sich bereithalten, um abgeholt zu werden. Einem Verteilungsschlüssel folgend würden sie als anerkannte Asylanten in eine andere Stadt gebracht werden, die sie als Neubürger aufzunehmen hätte. Er reichte ihnen die Hand und verabschiedete sie mit einem verlegenen Gesichtsausdruck. Mahoud war sich sicher, dass keiner der drei Neubürger verstanden hatte, was ihnen soeben eröffnet worden war. Sie würden auf dem Hof einfach stehen bleiben und Zigaretten rauchen, ehe sie etwas belämmert zurück in den Kursraum gingen. Sie hätten auch kein Englisch verstanden. Ohne Dolmetscher blieben sie, wie fast alle anderen auch, im Mahlwerk einer seelenlosen Bürokratie hilflos und verloren. Davon schien der Heimleiter wenig zu ahnen, denn offenbar glaubte er an das System, das ihn ernährte. In einer wohl eingeübten Haltung, als müsse er allgemeine Dienstanweisungen und Vorschriften wie ein Uhrwerk abarbeiten, wies er Mahoud, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Seine Verunsicherung konnte er vor ihm nicht verbergen. In einem ebenso flüchtigen wie unpassenden Anflug des Triumphs genoss Mahoud die soeben bewiesene Macht der neu erlernten Sprache.
»Herr Benisad, Ihr Asylantrag ist abgelehnt worden. Es sieht nicht gut für Sie aus«, sagte der Heimleiter mit verkrampfter Menschlichkeit, die etwas Reue verriet. Dabei geriet er auf dem Gefechtsfeld der Dienstanweisungen in ein Niemandsland, denn zu sehr hatte er eben noch Mahoud mit Schimpfworten überladen, die keine Vorschrift vorsah. Mahoud gab ihm mit einer entspannten Körperhaltung zu verstehen, dass er den freundlicheren Tonfall als Entschuldigung annahm. Er vermied es, nachtragend zu wirken und antwortete auf Englisch, um den Heimleiter nicht weiter zu beunruhigen:
»Was kann ich unternehmen, um die Abschiebung abzuwenden?«
»Sie können gegen die Ablehnung Widerspruch einlegen. Auf diese Möglichkeit muss ich Sie aus rechtlichen Gründen hinweisen. Wenn Sie mich um meine persönliche Sicht fragen, möchte ich Ihnen davon abraten. Denn das Einzige, das Sie mit dem Widerspruch erreichen, ist die Verlängerung Ihres Aufenthaltes bei uns um einige Wochen. Letztendlich werden Sie Ihre Abschiebung nicht verhindern. Sie sollten sich die Enttäuschung ersparen und widerspruchslos in Ihr Heimatland zurückkehren. Wenn Sie heute den Verzicht auf Rechtsmittel gegen die Ablehnungsentscheidung erklären, werden Sie noch in dieser Woche ausreisen.«
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