1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Mahoud dachte nicht daran. Er wusste, was ihn erwartete, und der Heimleiter hätte die Folgen ebenso zu kennen. Dennoch fügte dieser hinzu:
»Im Emirat liegt nichts gegen Sie vor. Die Bearbeitung Ihres Asylantrags hat ergeben, dass Sie in Ihrer Heimat keinem existentiellen Druck ausgesetzt sind und nicht aus politischen Gründen verfolgt werden. Sie begehren hier ohne erwiesene Notlage Asyl und müssen deshalb abgeschoben werden.«
»Und warum dürfen die drei anderen bleiben?«, entgegnete Mahoud aufgebracht. »Der Tamile ist ein Mörder. Wären auch die beiden Nordkoreaner keine Verbrecher, könnten sie ohne Schwierigkeiten in Südkorea leben und brauchten kein Asyl in einem anderen Land!«
»Die drei dürfen bleiben, weil sie als Flüchtlinge anerkannt worden sind«, entgegnete der Heimleiter knapp und gab den Moment der Reue auf. Überhaupt sah keine Dienstvorschrift vor, sich mit einem abgelehnten Asylbewerber auf eine Diskussion einzulassen. Dennoch schien er Mahouds Ärger zu verstehen und war ebenso von der Duldung des Tamilen überrascht. Nach einer Gedankenpause gab er kleinlaut zu:
»Das Urteil verstehe ich auch nicht. Zumindest hatte der Tamile eine gute Anwältin und traf auf einen sehr nachsichtigen Vertreter der Widerspruchsbehörde.«
»Wenn ich morgen in meine Heimat zurückkehre, werde ich übermorgen tot sein!«, folgerte Mahoud ängstlich. »Sie und die Sachbearbeiter auf der Ausländerbehörde dürfen nicht daran zweifeln, dass mein Leben in Gefahr ist. Ich werde Widerspruch einlegen, um Zeit zu gewinnen.« Der Heimleiter wich seinem verzweifelten Blick aus. Mahoud sah ein, dass er von ihm keine weitere Hilfe zu erwarten hatte. Er fragte, ob er gehen könne, denn alles schien besprochen zu sein. Als er aufstand, zog ihn der Heimleiter beherzt auf den Stuhl zurück:
»Haben Sie ein Problem damit, sich von einer fähigen Anwältin vertreten zu lassen?« Offenbar kannte er jemanden und sprach aus Erfahrung.
»Nein!«, antwortete Mahoud und fragte sich verwundert, warum er den Anschein gab, als könne er gegen Frauen Vorbehalte hegen. Waren Araber wie er so leicht mit Vorurteilen zu belegen, nur weil sie aus einer archaischen Gesellschaft entstammten?
»Wir sollten versuchen, Frau Wuttke als Ihre Anwältin zu gewinnen«, empfahl der Heimleiter vertraulich und bot seine Unterstützung an. Er nahm für Mahoud Partei, schlug Dienstvorschriften in den Wind und wechselte abermals in das Niemandsland. Offenbar begann der Heimleiter, Gefallen an eigenen Entscheidungen zu finden. Ohne Mahouds Antwort abzuwarten, schickte er ihn hinaus:
»Wenn es jemandem gelingt, auch die hoffnungslosesten Fälle zu gewinnen, dann ist es diese Anwältin und niemand weiß warum. Denken Sie zum Beispiel an den Tamilen, der den besten Beweis für ihre Wunderkraft liefert«, versicherte der Heimleiter zum Abschied, als spräche er von einer Zauberin.
In der Nähe des Zauns wartete Mahoud auf einer Bank unter einer alten Buche, die im Sommer angenehmen Schatten spenden mochte. Noch fehlte das Laub. Das umgebende Gebüsch hielt kaum den kühlen Windzug ab, der über dem Bolzplatz den Staub aufwirbelte und in Schwaden heranwehte. Zumindest gab es rund um die Bank ausreichend Sichtschutz. Der Heimleiter riet Mahoud, sich nicht in den Barackenräumen mit der Anwältin zu besprechen. Die Wände aus dünnem Blech hätten Ohren. Oft wurden den Asylbewerbern nur halbherzige Anwälte zugeordnet, die von vornherein davon ausgingen, nicht viel zu erreichen. Unmut und Neid entstanden immer dann, wenn jemand bevorzugt erschien, der einen fähigeren und entschlosseneren Rechtsbeistand erhalten hatte. Renate Wuttke zählte in dieser Hinsicht zur ersten Wahl. Viele wollten von der alten Anwältin vertreten sein, die mit einer verlässlichen und vergleichsweise traumhaften Erfolgsquote als Hoffnungsträger galt. Nur wenigen wurde dieses Glück zuteil. Deshalb sollte Mahoud sich krankmelden und dem Kurs fern bleiben. So konnte keiner der andern Asylbewerber Verdacht auf eine Bevorzugung schöpfen. Renate Wuttke ließ auf sich warten. Er ahnte, dass seine Anwältin viel beschäftigt war und kaum Zeit für ihn finden würde. Dennoch setzte er seine ganze Hoffnung in sie. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sah er für sich eine gute Chance, mit ihrer Hilfe nicht abgeschoben zu werden, auch wenn alles gegen ihn spräche. Er kannte die Anwältin nur vom Sehen und dem Anschein nach als unruhigen, kettenrauchenden Menschen. Es hieß, dass sie nur denjenigen mit Erfolg verteidigte, für den sie auch Sympathie empfand. Mahoud nahm sich vor, ihr nicht die Zeit zu stehlen und in aller Kürze einen guten Eindruck von sich zu geben. Sie sollte nicht nur aus Sympathie, sondern ebenso aus Vernunft und Überzeugung für ihn kämpfen. Seine Unterlagen aus Schriftverkehr, Antrag und Ablehnungsbescheid hielt er bereit. Viel von dem Juristendeutsch verstand er nicht. Auch sein Dolmetscher konnte ihm die Einzelheiten nicht erklären. Wenn die Anwältin den Fall in ihre Hand nähme, brauchte er sich darum nicht weiter kümmern. Mahoud fing an, in der zugigen Frühlingsluft zu frieren, bis sie endlich kam. Sie kannte die Bank unter der Buche. Offenbar war es ebenso ihr bevorzugter Ort, sich mit Mandanten des Asylbewerberheims zu besprechen, sofern es nicht gerade regnete oder schneite. Kaltes Wetter schien sie nicht zu stören, denn sie selbst verströmte eine gewisse Kälte. Mahoud begrüßte sie mit festem Händedruck und stellte sich ihr selbstbewusst, höflich und nicht unterwürfig vor. Mit tadellosem Englisch und gewinnendem Benehmen versuchte er, vor ihr zu glänzen. Renate Wuttke hätte sofort zu begreifen, dass er mit guten und gepflegten Umgangsformen gelernt hatte, sich zu behaupten. Er wollte nicht wie der Tamile wirken, wie ein plumper ungehobelter Klotz. Sie fände kaum einen zweiten Mandanten, der allein von seiner Ausstrahlung her besser seinen Teil zum Gewinn eines Rechtsstreits beitrüge als er.
»Nun gockeln Sie bloß nicht so herum!«, fertigte Renate Wuttke ihn unversehens ab. »Geben Sie mir endlich Ihre Unterlagen und setzen Sie sich!«
Mahoud verlor der Faden, die Fassung und schließlich den Mut. Er fühlte sich so fremd wie auf einem anderen Stern. Was hatte ihn nur hierher gebracht, wo ihn alle abwiesen? Er überlegte, etwas zu sagen, sich zu entschuldigen, sollte er sich falsch benommen haben.
»Sie antworten nur, wenn Sie gefragt sind«, fuhr ihn die Anwältin an und ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Vergessen Sie diese Regel besonders vor Gericht nicht, wenn wir es so weit überhaupt schaffen!«
Mahoud setzte sich auf die Bank und schwieg. Die Anwältin nahm seine Unterlagen und ging lesend auf und ab. Sie rauchte dabei. Nach drei oder vier Zigaretten schien sie sich eine Meinung über ihn gebildet zu haben.
»Herr Benisad, Sie hätten eher in einem anderen Land Ihr Glück suchen oder sich hier nicht aufgreifen lassen sollen! Sie sind der aussichtsloseste Fall, der jemals an mich herangetragen worden ist. Aller Voraussicht nach wird Ihre Klage gegen den Ablehnungsbescheid vor Gericht noch nicht einmal zugelassen werden.«
Mahoud sah mit offenem Mund zu ihr hinauf und wagte es nicht, einen Laut von sich zu geben. Er zweifelte nicht daran, dass sie ihn als Mandanten dennoch annähme. Sein Fall bedeutete für sie genau die Herausforderung, nach der sie suchte und der sie nicht widerstehen konnte.
Renate Wuttke reichte ihm die Unterlagen zurück und schritt für drei weitere Zigaretten wortlos und in Gedanken versunken auf und ab. Dann wandte sie sich zu ihm:
»Falkner sind Sie? Ist das eine Arbeit, von der ein Mann leben kann?«
Mahoud sah sie verständnislos an.
»Antworten Sie, ich habe Sie etwas gefragt!«
»Es ist keine Arbeit, es ist ein Beruf, eine Leidenschaft!«, erklärte er stolz. Sein Mut kehrte zurück. »Mehr noch, es ist eine Kunst! Ich war damit auf dem Weg gewesen, Ruhm und Anerkennung zu finden und ein Vermögen zu verdienen. Ich galt als wahrer Künstler!«
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