Da sich übrigens der Abend bereits herabsenkte, wurde John beordert, aus dem Weltschiff Zelte und Esswaren herbeizuschaffen; denn alle freuten sich darauf, im Freien zu kampieren.
Brennholz war reichlich vorhanden; Feuer wurden entzündet zur Bereitung eines warmen Mahles und zur Abhaltung etwaiger wilder Tiere.
Alle, auch Mietje, waren mit Gewehren und Dolchmessern bewaffnet und mit Explosionskugeln versehen.
Flitmore wies auf die langgestreckten Sümpfe: „Sehen Sie, Professor“, sagte er: „Diese endlos erscheinenden dunkeln Streifen, die teils nebeneinander herlaufen, teils einander kreuzen, können sehr wohl bei großer Entfernung den Eindruck von Kanälen machen.“
„Aber die Veränderlichkeit der beobachteten Gebilde erklären sie nicht“, wandte Schultze ein.
„Vielleicht finden wir auch dafür noch eine Lösung“, meinte Heinz.
„Die Marsluft ist übrigens ganz herrlich“, rühmte der Kapitän tiefatmend: „Ich schlage vor, dass wir hier einen Luftkurort und eine Sommerfrische gründen: Ausgezeichnete Geschäfte werden wir damit machen.“
Mietje erhub nun die Frage: „Wie lange wird die Nacht hier dauern.“
„Nicht viel länger als eine gewöhnliche Erdennacht“, belehrte sie Schultze: „Der Mars dreht sich um seine Achse in 24 Stunden, 37 Minuten und 22½ Sekunden. Dagegen sind die Jahreszeiten dahier verhältnismäßig lang: Ein Marsjahr hat 668 Marstage, was etwa 682 Erdentagen entspricht. Auf der nördlichen Halbkugel, auf der wir uns befinden, hat der Frühling 191, der Sommer 181, der Herbst 149, der Winter 117 Marstage; auf der südlichen Halbkugel sind Frühling und Sommer viel kürzer, nämlich 149 und 147 Tage, aber auch viel heißer, weil der Planet in dieser Zeit der Sonne am nächsten kommt; Herbst und Winter mit 191 und 181 Tagen sind dagegen dort um so kälter, da sie mit der Sonnenferne des Mars zusammenfallen.“
Nach eingenommenem Mahl wurden die Nachtwachen verteilt, und dann begab man sich zur Ruhe.
11. Die Schrecken des Mars.
Heinz hatte die zweite Nachtwache.
Ihm war etwas unheimlich zumute auf diesem fremden Weltkörper, der völlig neue und unbekannte Gefahren bergen mochte. Eigentliche Angst hatte der junge Mann zwar nicht, dazu besaß er zuviel persönlichen Mut, verbunden mit körperlicher und geistiger Gesundheit; aber eines eigentümlichen, beklemmenden Gefühls konnte er sich nicht erwehren.
Das Lager befand sich auf einem breiten Hügelrücken, auf dem die Sannah gelandet war und der sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Ebenso unendlich hatte bei Tageslicht der Sumpf ausgesehen, der die etwa 200 Kilometer breite Vertiefung zwischen dieser und der nächsten Hügelkette ausfüllte.
Und diese sumpfige Niederung schien bei Nacht in unheimliche Lebendigkeit zu geraten.
Bestimmte Laute konnte der junge Wächter nicht vernehmen, wohl aber ein dumpfes Gemeng von Tönen, als ob da Tausende von Geschöpfen raschelten und plätscherten.
Unwillkürlich kamen dem Aufhorchenden die unsterblichen Verse aus Schillers Taucher in den Sinn:
„Da unten aber ist’s fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht,
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.“
Und weiter:
„Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie’s von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt’ in dem furchtbaren Höllenrachen.
Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers greuliche Ungestalt.
Und schaudernd dacht’ ich’s, — da kroch’s heran,
Regte hundert Gelenke zugleich ...
Soweit war Heinz in seinen Gedanken gekommen, da kroch wirklich etwas heran. Es schien eine Schlange zu sein, an und für sich kein besonders großes Tier, etwa armsdick und ungefähr drei Meter lang; aber als der Schein des Feuers den glatten, feuchten, rötlichen Leib erleuchtete, kam es dem Jüngling doch wie ein grauenerregendes Ungeheuer vor; denn es glich einem Regenwurm, und für einen solchen war seine Größe doch geradezu riesenhaft.
Der spitz zulaufende Kopf zeigte zwei äußerst kleine, blasse Augen, die kaum als solche zu erkennen waren; der Mund glich nur einem runden Loch und schien zum Saugen und nicht zum Beißen bestimmt.
Der widerliche Wurm kroch geradenwegs auf Heinz zu und kümmerte sich nicht um das Feuer. Hinter ihm tauchte ein Zweiter auf und dann ein Dritter, — ja der ganze Abhang schien sich zu beleben. In Scharen rückte das Gewürm an, als habe der Sumpf seine Heere ausgesandt, die unberufenen Eindringlinge auf dem Mars zu vernichten.
Zunächst sandte Heinz dem vordersten Wurm eine Explosionskugel in den Leib, die ihm jedoch nur eine kleine Wunde beibrachte, da sie in der weichen Masse auf keinen Widerstand traf und daher überhaupt nicht zum Platzen kam.
Der Wurm krümmte und wand sich, schnellte dann aber plötzlich vor und ringelte sich um des Schützen Fuß, in raschen Windungen an ihm hinaufkriechend.
Von Schauer und Ekel erfasst, griff der junge Mann nach seinem Dolchmesser und bearbeitete das Tier mit Stichen und Schnitten; allein er sah sich auf einmal von allen Seiten angegriffen: Da erhob sich ein schlüpfriges Haupt, dort ein zweites und drittes; und sie wanden sich an ihm empor, all diese unheimlichen Geschöpfe und so viel Köpfe er abschnitt, seine eigenen Kleider in der Eile der Abwehr zerfetzend, die Zahl war zu groß, er konnte nicht mit ihnen fertig werden!
Ein stechender Schmerz im Nacken ließ ihn nach hinten greifen: Er berührte den kalten schleimigen Leib eines der Würmer, der sich dort festgesogen hatte und ihm das Blut aussaugte; und schon hing ein andrer der grässlichen Köpfe an seiner Wange.
Heinz warf sich zu Boden und wälzte sich wie wahnsinnig umher. Aber er kam nicht los: Nur immer neue schlüpfrige Ringe spürte er sich um seine Glieder ziehen.
Flitmore war durch den Schuss geweckt worden und trat aus seinem Zelt. Mit lautem Hallo weckte er die Genossen und stürzte sich selber mit dem Messer auf das überall sich ringelnde Gewürm; denn mit dem Gewehr war hier nichts anzufangen, das sah er gleich.
Es gelang dem Lord, den jungen Freund frei zu machen; aber er selber war bereits von einigen der Würmer umschlungen und auch Heinz wurde alsbald wieder angefallen.
Laut kreischend stürzte Mietje aus ihrem Zelt: Die widerlichen Sumpftiere waren dort eingedrungen und eines davon hing an ihrem weißen Arm.
Aber wie sah es hier draußen aus! Sie schauderte, denn überall trat ihr Fuß auf ähnliche ekelhafte Geschöpfe, die sich krümmten und an ihr emporwanden.
Inzwischen war auch Schultze auf dem Plan aufgetaucht. Die wimmelnden und sich bäumenden Geschöpfe, die den Boden bedeckten, erregten zunächst sein wissenschaftliches Interesse.
„Das sind ja Ringelwürmer von fabelhafter Größe“, rief er aus: „Lumbriciden oder Regenwürmer, nichts andres! Wirklich kolossale Geschöpfe! Aber eigentlich nichts Auffallendes: Gab es Schalentiere, Schneckenarten von riesenhaften Formen, warum nicht auch Nacktschnecken und Würmer? Ich vermute sogar, dass ähnliche Geschöpfe zur Zeit der Ammoniten auch die Erde bevölkerten; Spuren ihres Daseins konnten sie natürlich nicht hinterlassen, da sie knochenlose Weichtiere sind.“
„Helfen Sie uns lieber, Professor“, keuchte Heinz: „Später wollen wir dann meinetwegen eine wissenschaftliche Unterhaltung über diese Höllenbrut beginnen, falls wir mit heiler Haut davonkommen.“
„Sie haben recht“, sagte Schultze: „Das scheinen ja in der Tat ganz verflixte Kumpane zu sein: sie gehen ja geradewegs auf mich los! Aber meine Hochachtung, junger Freund! Sie kämpfen wahrhaftig nach Schwabenart. Bravo! Das war wieder ein Schwabenstreich!“
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