1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Denken Sie an die Cheopspyramide, die 3000 Jahre vor Christus erbaut wurde und deren Maße in überraschend genauem Verhältnis zum Umfang der Erde und zu einigen erst in neuester Zeit wieder entdeckten astronomischen Entfernungsmaßen stehen. Ihre Kanten sind nach den vier Himmelsrichtungen gerichtet, und in der königlichen Leichenkammer befindet sich ein Spiegel, der durch einen langen, geneigten Tunnel unaufhörlich nach dem Polarstern blickt. Wer solche Berechnungen auszuführen vermochte, besaß Fähigkeiten und wissenschaftliche Kenntnisse, eine Beobachtungsgabe und eine Denkkraft, die auch von den ersten Größen unserer modernen Astronomie Kopernikus, Keppler, Galilei und Isaak Newton nicht übertroffen wurde.“
„Sie haben recht“, gab Schultze zu: „Die Alten hatten gewaltige Geister, die ohne unsre modernen Hilfsmittel, ohne Teleskop und Spektralanalyse, beinahe so viel erreichten, wie unsre modernsten wissenschaftlichen Größen mit all den Vorteilen der Riesenarbeit ihrer Vorgänger und der vollkommensten Instrumente.
Schon der griechische Weltweise Bion lehrte 500 Jahre vor Christus die Kugelgestalt der Erde und behauptete, es müsse auf unsrer Erde Gegenden geben, auf denen es sechs Monate lang Tag und sechs Monate Nacht sei. Eratosthenes von Alexandria rechnete den Umfang der Erde mit verblüffendem Scharfsinn und erstaunlicher Genauigkeit aus, wobei er zu annähernd demselben Ergebnis kam, wie lange vor ihm die Chaldäer.
Der Geograph Strabo ahnte Amerika, da er sagte, es könne noch zwei oder mehrere unbekannte Kontinente auf der Erdkugel geben. Aristarch wagte es, die Entfernung und Größe des Mondes und der Sonne zu berechnen, wobei er die Größe des Mondes und die Entfernung der Sonne fast genau so angab, wie wir sie heute erforscht haben: Das waren Maßstäbe, die für jene Zeiten geradezu ungeheuerlich erscheinen mussten. Posidonius lieferte eine wahrhaft wunderbare Berechnung der Erdatmosphäre und der Lichtbrechung, und ebenso erstaunlich ist seine Berechnung der Größe der Sonne: Wir ahnen nicht, mit welchen Mitteln er solche verblüffende Ergebnisse erreichte.
Auch Apollonius von Pergä war ein solcher Geistesriese, der den Begriff der Parallaxe entdeckt haben soll, das heißt die Methode zur Berechnung der Entfernung der Gestirne. Hipparch berechnete den Schattenkegel des Mondes mit großer Genauigkeit und schloss daraus auf die Entfernung von Sonne und Mond.
Pythagoras lehrte die Bewegung der Erde als Ursache der scheinbaren Bewegung der Gestirne; Aristarch erkannte, dass die Erde sich um die Sonne drehe und dass die Fixsterne sich in ungeheurer Entfernung von uns befinden. Dies alles scheint übrigens Demokrit schon 400 Jahre vor Christus erkannt zu haben.
Archimedes hatte schon die ersten Ideen von der Gravitation. Aber all diese kühnen Fortschritte lagen hernach jahrhundertelang brach und vergessen, bis Kopernikus sein großes Werk schrieb, zu dessen Prophet sich der unglückliche Giordano Bruno aufwarf.
Dann kam Tycho Brahe, der große Beobachter, dem Kepler so viel verdankte. Johann Kepler stellte die berühmten Gesetze der Planetenbewegung auf, ihre elliptische Bahn um die Sonne, das Gesetz ihrer Bewegungsgeschwindigkeit im Verhältnis zu ihrer Bahn und das Gesetz des Verhältnisses ihrer Umlaufzeit zu ihrer mittleren Entfernung zur Sonne.
Galilei benutzte als Erster das Fernrohr, entdeckte die Monde des Jupiter und die Mondphasen der Venus; Cassini berechnete die Entfernung der Sonne aus ihrer Parallaxse beim Durchgang des Mars; Römer und Leverrier maßen die Geschwindigkeit des Lichts, Newton stellte die Gesetze der Gravitation auf; Kant und Laplace brachten das Weltall mit seinen Bewegungsgesetzen in ein großartiges System und erklärten seine Entstehung, Entwicklung und seine Zukunft. Endlich entdeckte Herschel den Planeten Uranus, Piazzi, Gauß und Olbers die Planetoiden, wiederum Herschel die Eigenbewegung der Fixsterne und das Vorhandensein von Doppelsternen; er war es auch, der die Nebelflecke studierte.
Als nun noch im Jahre 1838 die erste Fixsternparallaxse berechnet wurde, was uns in den Stand setzte die Entfernung und Größe der Himmelskörper außerhalb unsres Sonnensystems zu berechnen, waren die großen astronomischen Entdeckungen zu Ende, wenn wir absehen von den wunderbaren Enthüllungen durch die Spektralanalyse.“
„Danke, weisester aller Professoren!“, sagte Münchhausen lachend: „Sie haben uns da einen Vortrag gehalten, der wahrhaftig ein Abriss der Geschichte der Astronomie in den letzten 10000 Jahren genannt werden darf. Aber in einem Punkte irren Sie: Sie haben sozusagen die großen astronomischen Entdeckungen für abgeschlossen erklärt, und vergessen, dass sie eben jetzt erst recht anfangen, seit wir ausgezogen sind, das Weltall persönlich zu erforschen.“
„Und jetzt haben wir die beste Gelegenheit zu solchen Entdeckungen“, sagte Mietje, die soeben eingetreten war. Sie hatte einen Rundgang durch die Beobachtungszimmer gemacht, wie er abwechselnd jede halbe Stunde ausgeführt wurde, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein.
„Was gibt’s?“, fragte Flitmore.
„Wir nähern uns dem Mars mit großer Geschwindigkeit“, erwiderte seine Gattin.
Flitmore stand auf: „Lassen Sie uns sehen, meine Herren“, sagte er, und alle folgten ihm in eines der Äquatorialzimmer, von dem aus die Lady den Planeten beobachtet hatte.
9. Der Mars.
Die Sannah, die seit der vergangenen Nacht, wenn man von einer Nacht reden konnte, nicht mehr von dem Strom der Fliehkraft durchkreist wurde, befand sich in der Anziehungssphäre des Planeten, der seit lange den Beobachtungseifer und die Phantasie der Astronomen am meisten angeregt hat.
Man war ihm schon so nahe, dass man die größeren Gebilde seiner Oberfläche deutlich unterscheiden konnte, ohne das Fernrohr zu benutzen.
„Da hört sich ja alle Wissenschaft auf!“ war das Erste, was Schultze überrascht und enttäuscht ausrief: „Soll das wirklich der Mars sein? Wo sind denn die Kanäle, meine geliebten Kanäle, die ich so fleißig beobachtet und mit solcher Zärtlichkeit studiert habe, das Wunder, das Rätsel des Mars?“
Von Kanälen war in der Tat keine Spur zu sehen.
Flitmore meinte, zum Professor gewendet: „Ich habe nie recht an jene merkwürdigen Kanalbildungen glauben können und vermutete, dass es sich um optische Täuschung handle. Der Mars ist bedeutend kleiner als unsre Erde, sein Halbmesser beträgt wenig mehr als die Hälfte des ihrigen; seine Polarregionen sind von ungeheurer Ausdehnung, namentlich im Winter. Und nun sollen die mutmaßlichen Bewohner des kleinen bewohnbaren Erdstrichs das Land mit einem gewaltigen Netz ungeheurer Kanäle durchzogen haben?“
„Warum nicht?“, fragte Schultze eigensinnig: „Wenn es die Bewässerung des Landes verlangte.“
„Bei den ausgedehnten Eis- und Schneemassen der Pole, den ungeheuren Schneefällen im Winter und angesichts der meist äußerst raschen Schneeschmelze im Frühling kann ich an Wassermangel auf dem Mars nicht glauben.“
„Na! Aber die Kanäle sollten doch den Wasserzufluss regeln, ihn über das ganze Land verteilen und Überschwemmungen verhüten.“
„Ganz schön, wenn es Kanäle von vernünftigen Größenverhältnissen wären und von vernünftigem Verhalten. Aber diese angeblichen Kanäle zeigten eine Breite von 60 bis 300 Kilometern: Ich bitte Sie, was soll das? Das sind ja unsinnige Maße für einen Kanal! Wenn sie nun aber wenigstens beständig so geblieben wären, aber da wurde ein und derselbe Kanal einmal breiter, dann wieder schmäler; mit Vorliebe verdoppelte er sich plötzlich, oft innerhalb 24 Stunden, ebenso rasch konnte die Verdoppelung wieder verschwinden und hie und da der ursprüngliche Kanal ebenfalls; dann wieder verschwand ein alter Kanal und zwei neue erschienen an seiner Stelle.“
„Ja, ja! Das waren eben die Rätsel dieser merkwürdigen Kanäle“, beharrte der Professor.
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