„Ich drück´ dir die Daumen, dass das was Gutes wird“, sagte der Graf, und trank seinen Kaffee aus, „was kriegst Du?“
„Nichts, eine Einladung des Hauses“, antwortete Ernstl.
„Nichts da“, wies der Graf die Einladung ab „erst nichts einnehmen und dann noch verschenken wollen, das kommt gar nicht in die Tüte! Also?“
„Mensch“, meinte Ernstl, „wenn ich euch nicht hätte – Stammkunden und dann noch so nette. Dreifünfzig.“
Der Graf gab ihm fünf Euro und meinte: „Stimmt so, den nächsten kannst du dann ausgeben, okay?“
„Gemacht, Alter, danke!“. Ernstl haute dem Grafen auf die Schulter, dass der etwas einknickte. „Oh, ´tschuldigung!“, sagte er, „das war wohl etwas zu dolle, was?“, und grinste den Grafen schief an, „naja, ihr seid ja alle mehr Kopfmenschen als unsereiner.“. Und nach einem Moment fügte er hinzu: „Du, Graf, sag´ mal, kannst du Zigaretten für Hanna mitnehmen, die hat vorhin angerufen und ich wollte sie eigentlich selber vorbeibringen, aber nun hat Helga angerufen, ob ich mit ihr ins Kino gehe.“
„Na klar, gib her, was seht ihr denn?“
„Es ist Eddi Constantin-Nacht im MAXIM an der Donnersberger Brücke.“
„Das ist aber ´was für Alte. Eddi Constantine, wie lange ist das her, den haben wir doch als Jugendliche gesehen und da waren die schon uralt? Was gibt es denn?“, fragte der Graf.
Ernstl wühlte in einer Tasche seines unvermeidlichen (nicht mehr ganz) weißen Overalls und zauberte schließlich einen Zettel hervor. „Es gibt“, las er vor, „also „Serenade für zwei Pistolen“ und „Rote Lippen, Blaue Bohnen“ und „Eddie geht aufs Ganze“.“
„Also keinen Lemmy Caution und nicht Alphaville?“
„Das sagt mir nichts“, gab Ernstl zu, „aber in denen geht es richtig rund, da langt Eddi richtig zu – fast wie ich damals im Zelt.“ Dann lachte er, „War ´ne tolle Zeit! Und Helga freut sich auch schon so, da machen wir den Laden hier“, er zeigte auf dem Kiosk, „früher zu und amüsieren uns.“
„Na dann viel Spaß!“, wünschte der Graf, „gib mir noch die Zigaretten für Hanna, bitte.“
Mit einem „Klar, doch!“, verschwand Ernstl im Kiosk und tauchte gleich darauf mit einer Stange Phillip Morris wieder auf. „Sag der Hanna, einmal kann ich ihre Marke noch bestellen, dann gibt es sie nicht mehr.“
„Was?“, sagte der Graf, „sind die pleite? Das gibt es doch gar nicht.“
„Nein, die werden dann „Marlboro Silver“ heißen, klärte ihn Ernstl auf, „das soll einer verstehen, oder? Ich habe aber gehört, in Spanien soll es Phillip Morris weiter geben, nur hier nicht.“
18.00 Uhr. Udo und der Graf fuhren am späten Nachmittag mit der Tram 21 von der Heideckstraße zum Hauptbahnhof. Dort stiegen sie aus und schauten sich erst einmal um: Der Bahnhof lag schräg rechts vor ihnen, rund herum um sie pulsierte das Münchner Stadtleben der Hauptverkehrszeit. Viele Pendler strebten aus der Innenstadt und aus den Straßenbahnen zu den Zügen. Der Graf und Udo folgten dem Strom durch den Haupteingang in die große Bahnhofshalle. Rechter Hand waren sechs oder sieben Schalter, an denen Reisende in kurzen Schlangen standen, um Fahrkarten zu kaufen, die Schalter auf der gegenüberliegenden Seite waren für S- und U-Bahnkunden reserviert. Mitten in der Halle warb ein Stand für die Reisebank; was immer die jungen Mitarbeiter dort verkaufen mochten, Udo und den Grafen interessierte es nicht. Am Stand „Ditsch“ erwarteten sie Currywurst á la „Dittsche“ (aus Hamburg), sie wurden enttäuscht, denn es gab dort nur Brot. Da hatte wohl ein cleverer Unternehmer sich den aus Funk und Fernsehen bekannten Namen von Ditsche „fast“ unter den Nagel gerissen – fast, aber nicht ganz... Es fehlte ein „e“.
Sie schauten sich um. Nein, hier stand niemand herum, der aussah, als ob er Pistolen verkaufen würde. Auch in der italienischen Segafredo-Bar sahen sie keinen „Verdächtigen“, keinen Mafioso, weder aus Sizilien noch aus Moskau oder Tirana, nicht einmal jemanden, der auch nur im Entferntesten nach Waffenhändler aussah. Nur junge unschuldig aussehende Männer und Frauen, die im Vorbeigehen einen Espresso oder eine „Latte“ tranken.
Sie setzten sich mit einem Espresso dazu und tranken langsam. Dabei schauten sie sich das Publikum an. Nichts, nada, was ihren Vorstellungen von einem freischaffenden Waffenhändler am Bahnhof entsprach. Nach einer dreiviertel Stunde schauten sich enttäuscht an.
„Gehen wir einmal nach oben auf den Balkon“, schlug der Graf vor, „da haben wir einen besseren Überblick, so von oben.“
Sie fuhren mit der Rolltreppe die eine Etage hoch, schauten dort in den „Burger King“, und die „Coffee Fellows“ – aber auch da nur junge Leute, viel zu jung, als dass die beiden ihnen den Waffeneinzelhändler abnehmen wollten. Keine ausgebeulten Jacken oder Mäntel oder auch nur Jacken- oder Manteltaschen. So ein oder zwei Pistolen, die würden ja Volumen und Gewicht haben, das würde man doch sehen, glaubten sie. Und Wechselgeld – ach nein, die würden runde Summen verlangen, die man mit Scheinen bezahlen könnte, oder?
Sie standen schließlich an der Brüstung und schauten hinab in die Gleishalle. Wo es früher ein bisschen dunkel und muffig zugegangen war, glitzerte jetzt eine lichtüberflutete moderne „take away“-Welt.
Alles zum „Awaytaken“, zum Mitnehmen: Das waren keine Bahnhofsbuden von früher mehr, die Udo und der Graf noch im Kopf hatten, als sie mit der Tram hierher gefahren waren. Nein, das war alles Edelstahl, Glas und Licht! Richtig elegante Bahnhofs-Boutiquen!
„ Lich´ und Luf´ gib´ Saf´ und Kraf´“, dachte Udo insgeheim auf seine Hamburger Art. Ganz rechts die Semmeln am Höflinger-Stand, daneben die Würstchen von Rubenbauer, in der Mitte die belegten Brote von Brioche Dorée. Am zentral in der Gleishalle gelegenen Auskunftsstand der Bundesbahn gab es nichts – außer, dass die auf Auskünfte harrenden Reisenden auf einem roten Teppich stehend die eine oder andere Verspätungserklärung erhielten... Aber die standen auch auf der großen Anzeigetafel direkt über dem Bundesbahnstand.
Linker Hand sahen Udo und der Graf die Edelstahlbuden von Vinzenz Murr (Würstchen), Pizza Panini und Dean&David. Allesamt viel zu hell erleuchtet und wohl auch zu zentral, als dass „dunkle Gestalten“ sich da rumtreiben würden.
„ Du“, fragte Udo, „Graf, sag´ mal, wie stellst du dir denn so einen Heini vor, der hier mit Pistolen dealt?“
„ Gute Frage“, antwortete der, „weiß ich auch nicht. Vielleicht dunkel, irgendwie zwielichtig, gemein, fies...“
„ Mit einer Narbe im Gesicht?“
„ Ja, vielleicht.“
„ Den gibt es nicht, glaube ich“, sagte Udo, „hier nicht, aber da ist einer, der ist ganz dunkel.“
„ Wo?“
„ Da drüben.“ Udo nickte mit dem Kinn in die Richtung, „der Neger da.“
„ Darf man nicht mehr sagen!“
„ Was?“
„ Neger!“
„ Warum nicht?“
Der Graf zuckte mit den Schultern unter seinem eleganten Mantel, „das ist nicht mehr political correct .“
„ Sagt wer?“
„ Irgendwer? Jeder? Die!“
Читать дальше