Hanna reagierte wieder nicht, was sollte sie auch machen.
„Was ist das denn?“, fragte er, „Comics, finde ich geil, nicht Jens?“, rief er seinem Fotografen zu, der immer noch knipste. Er musste inzwischen zig Fotos geschossen haben. CANON, resp. dem Motor der CANON, sei Dank. Und wahrscheinlich alle perfekt scharf und belichtet, weil auch das die CANON automatisch erledigte. Der Fotograf musste seine CANON nur in die richtige Richtung halten und auf den Auslöser drücken, den Rest erledigte die Kamera.
„Seit wann das denn?“, gab der zurück, „höchstens, weil du doch gar nicht lesen, sondern nur Bilder begucken kannst, vom Schreiben ganz zu schweigen.“
„Blödmann!“, war die harsche Antwort. In dem Moment kam Ernstl mit zwei Tellern mit Würstchen und Kartoffelsalat. „Nimm mal die Bücher hoch“, wies er einen der beiden Kaffeetrinker an, „damit da keine Flecken drauf kommen!“, und zu dem Reporter sagte er: „Von mir selbst angemacht – ein Rezept meiner Großmutter, ganz besonders lecker und die Würstchen sind die besten in München, mein Wort drauf. Brauchen sie Senf?““
Einer der beiden verbliebenen Kaffeetrinker beeilte sich der Anweisung Folge zu leisten und sagte erklärend zum Reporter, dass die Bücher wahnsinnig teuer seien, schon wegen der Autogramme, aber auch sonst, geradezu unbezahlbar seien die.
„Ach nee“, sagte der Angesprochene, „das hätte ich nicht gedacht und schon gar nicht hier… Wie heißen die „Der Killer“? Na, Sie lesen Sachen hier, sind die denn eigentlich erlaubt?“
„Ach“, sagte der Informant arglos, „da drinnen hat der Ernstl noch ganz andere Sachen, ganz hartes und geheimes Zeug, und noch viel teurere…“, und damit schaute er sich stolz um, „und damit tut er richtig geheimnisvoll – die darf nicht jeder sehen! Nicht einmal wir. Die holt er nur raus, wenn die richtigen Leute da sind.“
Hanna schwante Böses und deshalb sagte sie: „Unsinn. Was erzählen sie denn da für einen Blödsinn! Das sind ganz normale Comics, nichts Besonderes, nichts Geheimnisvolles und schon gar nichts Wertvolles.“
Der Informant fühlte sich irgendwie auf den Schlips getreten und widersprach, nein, nein, da wären Sachen dabei, man, die wären so etwas von scharf und geheim... und auch noch richtig wertvolle Schwarten dabei, Erstausgaben und so und mit Sign…, naja Unterschriften halt!
„Tatsächlich?“, fragte der Dicke und lächelte seinen Informanten süffisant an, „naja, da verstehen Frauen ja wohl nichts davon, die sollen lieber nähen und waschen und was Frauen sonst halt so machen“, und fügte mit Blick auf Hanna hinzu, „wenn sie es können, sonst werden die komisch, oder? Und reden von Dingen, von denen sie nichts verstehen. Das kennt man ja.“
Sarah sah inzwischen stinkwütend aus und war drauf und dran, ihm entweder eine zu kleben oder ihm den Kaffeerest ins Gesicht zu kippen – aber der Fotograf hatte das wohl geahnt und schon wieder seine Canon in Schussbereitschaft gehalten, deshalb hatte Sarah sich zurück gehalten.
Ernstl kam mit einer Tüte in der Hand und reichte sie dem Dicken: „Das Bier. Zum Mitnehmen. Und jetzt kriege ich zwölf Euro fünfzig.“
„Das ist doch nicht ihr Ernst“, sagte der Dicke und nahm die Tüte, „dass sie wahrhaftig Geld von uns haben wollen. Wir haben noch nie wo bezahlt, wenn wir so eine Story machen – egal wo, auch nicht in topp Restaurants - und hier am Kiosk, nein, ganz bestimmt nicht! Die anderen haben schnell begriffen, wie das Spiel läuft und wie man viel Reklame bekommt in der mz! Wir machen den Erfolg!“, betonte er zum Schluss, „oder die Bauchlandung... denk mal darüber nach, Lulatsch.“
In diesem Moment kippte Sarah ihm den Kaffee in ihrer Tasse über die Hose.
„Aua, eh, blöde Kuh, was soll die Scheiße?“, schrie der Dicke gleichzeitig, „Das war Absicht, das habe ich gesehen, Scheiße, das ist heiß, das Zeug. Ich bin verbrüht... Du bist mein Zeuge, Jens, die hat mich absichtlich verletzt... Hast Du das drauf?“. Er zeigte auf die Kamera.
„Oh, Entschuldigung“, sagte Sarah, „das tut mir aber leid. Ehrlich“. Sie gönnte dem Dicken ihr schönstes Lächeln, „soll ich das trocken reiben? Ich kann das“. Der Dicke hatte keine Ahnung, wie dicht Sarah damit an der Wahrheit war.
„Schluss jetzt. Papperlapapp“, sagte Ernstl jetzt, „das ist mir egal, zahlt ihr jetzt oder wollt ihr ein paar aufs Maul? Scheiß auf Deine Hose, Dicker. Ihr habt die Wahl!“. Er wurde jetzt richtig wütend, seine Meinung über die beiden war vollständig gekippt, und er ballte seine Fäuste und hielt dem Dicken eine davon vor die Nase: „Zahlen!“, sagte er tonlos, „oder...“.
„Du zahlst!“, sagte der Dicke zum Fotografen, „ich habe nicht so viel Geld dabei. Und wenn, ist es nass“.
Der Fotograf zahlte wortlos und die beiden verschwanden ohne ein weiteres Wort.
„Na, was habe ich gesagt, denen haben wir´s aber gegeben!“, strahlte Ernstl Hanna und Sarah an, „Sarah-Mädchen, gut gemacht, eine neue Tasse Kaffee aufs Haus?“
„Ich weiß nicht“, sagte Hanna, „da bin ich mir gar nicht so sicher, Ernstl, wenn das mal nicht ins Auge geht, warte mal lieber die Zeitung von morgen ab.“
„Meinst Du, Hanna? Was soll denn schon passieren. Er hat doch gar nichts erfahren?“
„Na, ich glaube doch“, sagte Hanna, „oder besser, ich befürchte... Sarah, rollen wir?“
„Wartet, Frau Doktor“, rief Ernstl, „ich habe doch auch was für Sie“, und er verschwand im Kiosk, um gleich darauf wieder zu erscheinen: „Ist ja nicht mit Widmung oder so und auch nur auf deutsch und nicht französisch, aber habe ich ganz neu“, und damit reichte er Hanna zwei Bände: „ „Der Incal“ von Jodorowski und Moebius und „Arzak“ von Moebius… Jodorowski ist der, der mit der Verfilmung von „Dune“ von Frank Herbert so grandios gescheitert ist.“
„Ach der?“, sagte Hanna, die das nicht gewusst hatte.
„Ja, habe ich heute erst gekriegt, der Typ vom Comicladen in der Fraunhoferstraße hat sie vorhin vorbeigebracht.“
„Dann haben Sie sie ja noch gar nicht gelesen?“, fragte Hanna.
„Nein, aber das ist ja nicht wichtig, ich habe ja „Der Killer“, da freue ich mich schon drauf, morgen können wir ja wieder tauschen… ist eh nichts los am Kiosk bei dem Wetter!“
Hanna bedankte sich und sagte noch einmal: „Ernstl, wenn das man nicht schief gegangen ist! Aber Danke für die Bücher, ich bringe sie morgen zurück. Nun lass uns man, Sarah. Tschüss, Ernstl“.
Damit schob Sarah Hanna wieder in Richtung Leonrodstraße und dann nach links in die Fasaneriestraße.
Sie passierten den Metallhandel mit Udos Werkstatt, Hanna hatte jetzt keine Lust mehr auf einen weiteren Besuch, obwohl es mit Udo immer sehr nett war. Als sie am Laden vorbeikamen, saß Herr F. auf seiner Bierkiste, rauchte eine Zigarette und hatte ansonsten den Hübnerplatz im Blick. Er winkte ihnen zu: „Möge der Tag ihnen positiv gesinnt nachschleichen“, sagte er.
Die beiden bedankten sich höflich und Sarah sagte, dass sie das irgendwie bezweifeln würde und fragte dann noch, was es morgen zu Mittag gäbe.
„Moment“, sagte Herr F. und erhob sich von seiner Kiste, „ich hole den Wochenplan“, sprach´s, verschwand und kam gleich darauf wieder mit einem Blatt in der Hand. Er hielt es den beiden entgegen und schaute Sarah und Hanna fragend an, wer von den beiden es haben wollte. Hanna griff zu, studierte die Angebote und entschied sich für Lauchgemüse mit Kalbfleisch-Pflanzl. Sarah meinte, sie habe morgen etwas vor und außerdem müsse sie mal wieder auf ihre Figur achten, also, nein danke, nichts für sie.
22. März. Staatsbibliothek
10.00 Uhr. Der Graf hatte mit Udo vereinbart, dass er sich zunächst einmal in der Staatsbibliothek umschauen würde, ob es denn dort überhaupt relevante Informationen für sie abzugreifen gäbe.
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