„Und die Wände musst du auch neu tapezieren“, setzte sie hinzu. Wenn sie einmal Blut geleckt hatte, war sie nicht zu bremsen.
Demonstrativ sah ich mich im Raum um. „Die Tapeten sind hell und freundlich, die Decke weiß, und ...“
Sie legte mir den Finger auf die Lippen. „Lenke nicht ab, du weißt, was ich meine.“ Mühsam nickte ich und ließ meinen Blick auf das untere Drittel der Räume, auf Hundenasenhöhe fallen.
„Ob wir ihr das noch abgewöhnen können?“, fragte sie, während meine Augen unruhig umherwanderten. Keinesfalls verspürte ich Lust auf Renovierungsarbeiten, aber ich musste ihr Recht geben. In Schnupperhöhe prangten deutliche Spuren. Zudem schupperte sich Emma seit jeher das Fell am liebsten an den hellsten Stellen der Strukturtapete. Besonders, wenn sie nass war.
„Hätten wir sie lieber in Portugal gelassen“, murmelte ich.
„Auf der Straße?“ Jojo war aufgebracht. „Niemals!“ Jetzt erstach mich Ihr Blick förmlich.
„Ist ja schon gut“, grummelte ich. „Renovieren wir eben.“ Erneut sah ich mich um.
„Duhu?“, rief sie leise.
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und nahm ihren Kopf in meine Hände, um ihr direkt ins Gesicht zu schauen.
„Ich hab mir überlegt, ..., naja, ich ... ich besuche eine Nacht meine Mama!“
Genervt warf ich meinen Kopf nach hinten und fixierte die Decke. Warum stotterte sie so? Natürlich konnte sie! Eine Vielzahl von Möglichkeiten die Zeit zu nutzen schossen mir durch den Kopf. Ich würde nicht die zwei Wochen bis Silvester warten müssen, damit sie freiwillig draußen in der Kälte bibberte und Raketen steigen ließ, während ich im warmen die Stereoanlage an den Fernseher anschließen konnte, um einmal im Jahr in Ruhe das Donnern eines Raumschiffes zu genießen, das aus der Ferne auftauchte und dann ...
Meine gedanklichen Ausmalungen brachen jäh ab, als SIE jetzt meinen Kopf in ihre Hände nahm: „Naja, ich wollte die Kinder hierlassen. Ist das in Ordnung? Kommst du klar?“
Das imaginäre Raumschiff zerplatzte.
„Eine Nacht? Das sind zwei Tage!“
Sie fixierte mich wortlos.
„Klar komm ich klar!“, bellte ich.
„Ach lass mal, ich nehme die Kinder mit.“
Mein Atem rasselte. „Jojo?“, fragte ich warnend, „entscheidest du dich?“
Sie spielte das weibliche Hin und Her, dieses Auf und Ab, das ihre Art ausmachte und mich hin und hertrieb zwischen meinen Ausbrüchen und mühsam erlangten Ruhepausen für den Blutfluss in meinen Adern.
„Ja, ja. Gleich.“
Einen Moment noch starrte ich sie an. Mit Mühe wartete ich ab.
„Ich lasse sie hier und gebe einen Ersatzschlüssel bei Frau Zeter ab.“
„Ersatzschlüssel bei der Nachbarin?“, echote ich. „Warum das denn?“
„Und ich brauche dein Auto, weil meine Mutter den Keller aufräumen will.“
„Keller? Du hast Angst vor Spinnen!“
„Ja, vor unseren Kellerspinnen! Der Keller meiner Mutter ist nicht so muffig wie unser.“
Da war sie wieder, die Frauenlogik.
„Und warum mein Auto? Es ist neuer. Deines ist doch schon fast scheintot!“ Sie ignorierte meinen Seitenhieb auf das Alter ihres Wagens. Ich war ganz froh darüber, denn keinesfalls wollte ich sie auf den Gedanken bringen, ein neues Auto zu kaufen. Nein, bei unserer Finanzlage wollte ich dies wahrlich nicht.
„Hab ich doch gesagt, weil wir den Keller aufräumen!“
„Und du willst die Sachen in mein Auto räumen, um deines nicht schmutzig zu machen?“
„Deines ist doch sowieso immer schmutzig“, rief sie. „Und du weißt, dass mich jeder kleinste Krümel, jede kleinste Delle und jeder Hauch einer Schramme an meinem Auto stört!“
„Botschaft angekommen“, murrte ich. „Kein Kratzer, keine Delle und kein Schmutz wird es dahinraffen“, rief ich spöttisch. „Es wird eines Tages das kratzerloseste Auto sein, das auf dem Schrottplatz steht!“
Ihr zweifelnder Blick tat weh.
„Deinem Auto wird nichts geschehen“, rief ich endlich. „Du weißt, wie sparsam ich bin. Ich fahre vorsichtig, ich will ja unser Geld nicht in Reparaturkosten anlegen und Verlust machen!“ Kurz überlegte ich, warum sie eigentlich den Keller ihrer Mutter aufräumen wollte, aber bei einer Nachfrage lief ich allzu schnell Gefahr, in die Aktion eingespannt zu werden. Ich schwieg und ließ ihr ihren Spaß an ihrem Vorhaben. Da sie mich aber so abwartend ansah, rang ich mir eine andere Frage ab: „Und warum so kurzfristig?“
Statt zu antworten, stand sie auf und küsste mich erneut auf die Stirn. „Machst du den Backofen für die Pizza an?“
Sie schien enttäuscht, vielleicht sollte ich doch meine Hilfe anbieten? Jedoch nickte ich nur und wartete auf ihren üblichen Nachsatz.
„180 Grad, alles darüber verursacht Krebs!“
Ich tat Jojo den Gefallen, unterdrückte einen Kommentar und drückte mein Gesicht fast gegen den Ofenknopf, um kein Zehntelgrad zu viel einzustellen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie genervt den Raum verließ. Ich lächelte. Hoffentlich konnte ich die Kinder von einem Science-Fiction-Film mit vollem Getöse über die Soundanlage überzeugen!?
Der nächste Morgen war schwer für mich. Ich war es nicht mehr gewohnt, schon um 8 Uhr aufzustehen. In der Wohnung herrschte Stille wie sonst nie. Offensichtlich waren Jojo und die Kinder schon weg. Hatte sie die beiden also doch mitgenommen! Ich warf fünf Eier in die Pfanne, machte den Deckel drauf und ließ sie 8 Minuten brutzeln. Der Hund träumte wie immer in der Ecke von irgendetwas und ich zog mich fein an. Anzug, Krawatte, sauberes Hemd. Das weiße Leinen spannte leicht über meinem Bauch. „Hatte ich auf der dritten Seite meines Lebenslaufes nicht etwas geschrieben von sportlich, fröhlich, elegant und daneben das Bild einer Küchenschabe platziert?“, murmelte ich zu mir selbst.
„Auffallen, um jeden Preis!“, schauspielerte ich die Worte meines Bewerbungscoaches vom Arbeitsamt nach. Nun, er hatte es mir geraten und ich probierte es einfach einmal aus. Unter dem Bild mit der Küchenschabe hatte ich gesetzt: ‚Alles Weitere erläutere ich Ihnen vor Ort; -)‘
Das Ergebnis: Sie luden mich tatsächlich ein! Meine Gedanken hüpften von Synapse zu Synapse, während ich mir mit der linken Hand nervös durch das Haar fuhr: ‚Stimmt, dünner geworden.‘
Eiligst hastete ich in die Küche, um die Eier umzurühren. Es sollten ja Rühreier werden.
„Ich hab’s!“ Meine linke Hand donnerte in die rechte: „Ich fahre mit dem Rad zum Vorstellungsgespräch. Das zeugt von sportlichem Elan selbst bei winterlicher Kälte. So kann ich auch auf den unbequemen Anzug verzichten und stelle mich mit offenem Hemdknopf, leger gekleidet und gut gelaunt vor!“
Die Krawatte landete in der Ecke, meine Frau war ja eh nicht da, um die entstehende Unordnung mitzubekommen. Sie würde es nie erfahren. Ich huschte zur Wohnungstür und trappelte pfeifend die Stufen hinab. Schon stand ich vor der Tür zum Keller. Voller Stolz über meinen tollen Einfall schloss ich auf und stieg die Steinstufen in den Keller hinab. Ein leichter Klaps auf den modernen Stromspar-Lichtschalter brachte Funzellicht. Worin auch immer der Vorteil von einer Lichtquelle liegen sollte, die so schwach leuchtet, dass man eigentlich noch eine Taschenlampe zusätzlich brauchte, war mir nicht klar. Den Anschlag im Hausflur, der mich vielleicht etwas erleuchtet hätte, hatte ich mir natürlich nicht durchgelesen. Was sollte da auch stehen. Die Funzel sparte halt Strom. Ich war auch zu sehr mit meinem Weg beschäftigt: Links den Gang entlang, an der Stelle, an der das Entwässerungsrohr durch die Decke des Kellergewölbes verlief, duckte ich mich automatisch, und bog rechts ein. Nach und nach warfen die Stromsparlampen mehr Licht.
„Ah, die Funzel funzelt nach wenigen Minuten heller“, freute ich mich.
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