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Barmänner und ihr Geltungsdrang – nirgendwo tritt er so überdeutlich zu Tage, wie beim Mixen von Cocktails. Dass das auch mal nach hinten losgehen kann, zeigt diese kurze Geschichte von Donald und seinem Ego. Sie zeigt auch, wie schwer es uns manchmal fällt, unser Versagen einzugestehen und zurück zu rudern. Stattdessen machen wir lieber weiter wie bisher und bleiben auf dem einmal eingeschlagenen Irrweg.
Ich gebe zu, auch mich ziehen diese immer wieder stattfindenden Flairtending Wettbewerbe gelegentlich noch in ihren Bann. Es sieht einfach fantastisch aus, diese wirbelnden und sich drehenden Flaschen, die flinken Hände der Wurfkünstler, denen das Auge kaum zu folgen vermag. Doch sehen wir sie als das an, was sie sind: akrobatische Wettkämpfe, die mit dem Alltag in einer Bar nicht viel zu tun haben. Von gelegentlichen kurzen und vor allem richtig getimten Showeinlagen einmal abgesehen hat Flairtending im harten Tagesgeschäft keinen Platz oder es ist jedenfalls bedeutungslos. Alles andere ist eine klischeehafte Verklärung der Realität.
Wohl die wenigsten Menschen suchen in regelmäßigen Abständen eine Bar auf und werden dort Stammgast, nur weil dort tolle Barshows geboten werden. Eine Begeisterung, die ausschließlich auf optischem Entertainment fußt und lediglich einem einzigen Bereich der menschlichen Sinne geschuldet ist, verfliegt ebenso schnell wie sie gekommen ist. Letztlich entscheiden die Atmosphäre, das kompetente und sympathische Personal und die Güte der Drinks darüber, ob wir uns hier noch öfters herbemühen werden oder eben nicht.
Ob man sich nun dem Flairtending verschreiben und viele Stunden seiner Freizeit mit der Einübung von Wurftechniken verbringen möchte, um sodann des Abends vor staunenden Gästen eine Show der fliegenden Flaschen abzuliefern, das muss letztlich jeder Barmann für sich selbst entscheiden. Doch so oder so führt das Treiben, ja schon das bloße Stehen hinter dem Tresen zu einer weiteren, für den Beruf typischen Besonderheit: man ist umringt von Menschen und befindet sich auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller. Die Leute glotzen einen bisweilen regelrecht an, starren einem aber doch wenigstens immer wieder auf die Finger und verfolgen jeden einzelnen Handgriff.
Was man auch tut, ganz egal ob man ein Bier zapft, ein paar Gläser poliert, das Wechselgeld herausgibt, eine Obstdeko schneidet oder einen Cocktail mixt, man steht unter ständiger Beobachtung der den Tresen belagernden Gäste. Manchmal erlebe ich kleine Gruppen von vier bis sechs Personen, die ganz offenbar nur aus dem einen Grund in eine Bar gehen, um den Barmann während ihres Aufenthalts ununterbrochen zu beobachten. Einige versuchen dabei sogar unter Zuhilfenahme der Getränkekarte zu erraten, welcher Cocktail vom Maestro gerade zubereitet wird. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, manche dieser Leute haben in ihrem Leben noch niemals eine richtige Bar aufgesucht und möchten dieses einmalige Erlebnis nun mit allen Sinnen in sich aufnehmen. Man fühlt sich wie ein exotisches Tier im Zoo, das von der glotzenden Menge bestaunt wird.
Natürlich gewöhnt man sich mit der Zeit an die ständig auf einen gerichteten Blicke und die wachsende Sicherheit der Handgriffe macht einen irgendwann immun gegen Nervosität. Dennoch empfinde ich solche geifernden Schaulustigen immer wieder aufs Neue als äußerst penetrant, ja unhöflich. Sie müssen sich vorstellen, Sie sind umzingelt von einer Horde fremder Menschen, Sie stehen genau in der Mitte und alle beobachten jede einzelne Ihrer Bewegungen. Die kleinste Ungenauigkeit, das unmerklichste Handzittern, das Herabfallen eines Obstspießes oder, besonders schlimm, das Überlaufen des Cocktails wird sofort von den Zuschauern registriert, unter Umständen sogar mit Sprüchen oder merkwürdigen Lauten untermalt und kommentiert.
Viele Bartender genießen es geradezu, auf diese Weise im Mittelpunkt zu stehen, vielleicht weil sie als Kind zu wenig Aufmerksamkeit genossen haben - oder man sie zu früh von der Mutterbrust entwöhnt hat. Manch einer versucht die Aufmerksamkeit der Gäste noch weiter auf sich zu fokussieren, indem er die fragwürdige Metamorphose vom Bartender zum Flairtender vollzieht. Der Flairtender verkörpert das vielleicht ewig anhaftende Image, die klassische Stereotypie des Berufs.
Auch ich war, wie bereits erwähnt, zu Beginn meines Berufslebens dem unreifen Irrtum verfallen, es gehöre unverrückbar zum Berufsbild, sich nicht nur in der allgemeinen Aufmerksamkeit der Gäste zu sonnen, sondern diese gezielt zu suchen und mit Hilfe diverser Showeinlagen zu stimulieren. Doch musste ich zu meiner anfänglich großen Enttäuschung feststellen, dass das einfach nicht meiner Natur entspricht. Ich mochte es noch nie gerne leiden, im Mittelpunkt zu stehen und alle Blicke auf mir zu spüren, ich war zu keiner Zeit ein Kind der mit Sand ausgestreuten Manege. Das wird sich in Zukunft, mit bald Mitte dreißig, wohl nicht mehr ändern.
Insofern habe ich vielleicht bei meiner Berufswahl nicht unbedingt ins Schwarze getroffen. Doch fest steht ebenso, dass zu einem Bartender noch weitaus mehr gehört, als gerne in den Blicken anderer zu baden. Mit Fug und Recht kann ich behaupten, gerade die nicht weniger klischeehafte, aber in diesem Fall wirklich zutreffende Rolle des Zuhörers meisterhaft zu beherrschen.
c. Sich ein Ohr abkauen lassen und gut dabei aussehen
Neben der Bewirtung von Gästen und der Zubereitung von Getränken aller Art obliegen dem ordinären Barmann natürlich noch eine ganze Reihe anderer Aufgaben, die entweder unbedingt notwendig sind, um diesen beiden Primärzielen erfolgreich nachkommen zu können, oder sich aus diesen Zielen zwangsläufig ergeben. Hierzu gehören die Umsetzung der hygienischen Standards, also die Reinhaltung der Bar und der Arbeitsutensilien, das Auffüllen des Warenbestandes, die Kassenabrechnung usw. Alles reichlich unspektakulär und an dieser Stelle kaum erwähnenswert. Eine Pflicht jedoch wird unbedingt und ohne Ausnahme mit der Profession des Barmannes assoziiert und nur selten ist ein Klischee derart zutreffend: die Rede ist von der Rolle des Zuhörers.
Viele Menschen suchen einen Ort wie eine Bar nicht nur auf, weil sie durstig sind. Manch einem ist langweilig, ein anderer sucht Gesellschaft, ein dritter will sich wohl tatsächlich einfach nur sinnlos betrinken, und ein vierter sucht eine starke Schulter, an der er sich ausheulen kann. Barmänner waren seit je her und zu allen Zeiten seit Erfindung des Gasthauses das bevorzugte Ziel von frustrierten, deprimierten oder sonst wie bekümmerten Gestalten, wie es sie zuhauf in jeder Art der menschlichen Besiedlung gab und gibt.
Dahinter steckt wohl eine oder mehrere der folgenden, mehr unterbewussten Denkweisen, die Menschen dazu bewegen, sich ausgerechnet den Schankwirt als Halde für den eigenen seelischen Unrat auszuwählen:
1. Der Typ hinter dem Tresen verkauft mir Alkohol, also ist er mein Freund.
2. Er ist mir gegenüber höflich, aufgeschlossen und selbstbewusst. Das schafft Vertrauen.
3. Er begegnet einer Unmenge an Menschen und muss schon allein deshalb über einen ungemein üppigen Erfahrungsschatz verfügen. Er weiß wohl über das Leben Bescheid, wie sonst vielleicht nur noch der Dalai Lama.
4. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche und hat auch kaum Möglichkeiten, mir zu entwischen.
5. Alternativ zu 4. bin ich vielleicht nur zufällig in der Gegend, geschäftlich oder im Urlaub, und egal wie sehr ich mich später vielleicht für das Gesagte schämen mag, ich sehe den Kerl vermutlich sowieso nie wieder.
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