1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Jem West sprach sehr wenig, und nur, wenn man ihn fragte. Er ertheilte seine Befehle mit klarer Stimme, in kurzen Worten, die er nicht wiederholte, doch so, daß er schon das erste Mal verstanden werden mußte und... die Leute verstanden ihn auch.
Ich mache ausdrücklich auf diesen Typus eines Officiers der Handelsflotte aufmerksam, der dem Kapitän Len Guy ebenso wie der Goëlette »Halbrane« mit Leib und Seele ergeben war. Es machte den Eindruck, als ob er eines der lebenswichtigen Organe seines Schiffes bildete, als ob diese Vereinigung von Holz, Eisen, Leinwand, Kupfer und Hanf ihre Lebensfähigkeit von ihm erhielte und als ob eine vollkommene Identität zwischen dem einen, dem Bauwerk des Menschen, und dem andern, dem Geschöpfe Gottes, bestände. Und wenn die »Halbrane« ein Herz hatte, dann klopfte es gewiß in der Brust Jem West's.
Zur Vervollständigung der Schilderung der Mannschaft führe ich hier noch den Schiffskoch an – einen Neger von der afrikanischen Küste, namens Endicott, der, jetzt dreißig Jahre alt, schon seit acht Jahren den Dienst als »Coy« oder Koch unter dem Befehl des Kapitän Len Guy versah. Der Hochbootsmann und er standen im besten Einvernehmen und schwatzten oft kameradschaftlich miteinander. Hurliguerly glaubte sich übrigens im Besitze mancher trefflichen Küchenrecepte, die Endicott zuweilen auszuführen suchte, ohne je damit bei seinen Tischgästen Aufsehen zu erregen.
Die »Halbrane« war unter den günstigsten Umständen abgefahren. Es herrschte eine lebhafte Kälte, denn unter dem achtundvierzigsten Grade südlicher Breite ist in diesen Theilen des Großen Oceans und in jetziger Jahreszeit noch vollständiger Winter. Das Meer war aber ruhig und darüber wehte ein leichter, beständiger Ostsüdostwind. Wenn diese Witterung – wie zu erwarten und zu wünschen war – anhielt, so brauchten wir unsere Segelstellung voraussichtlich nicht ein einziges Mal zu verändern und hatten höchstens die Taue ein wenig nachzulassen, um bis nach Tristan d'Acunha hinauf zu gelangen. Das Leben an Bord verlief sehr regelmäßig, sehr einfach und – was freilich nur auf dem Meere Geltung hat – in einer Eintönigkeit, die doch eines gewissen Reizes nicht entbehrte. Zu Schiffe zu sein, das ist die Ruhe in der Bewegung, das Schaukeln im Traume, und ich beklagte mich nicht über meine Isoliertheit. Höchstens hätte meine Neugierde gern über Eines Befriedigung verlangt: Warum mochte sich der Kapitän Len Guy bezüglich seiner anfänglichen, mich betreffenden Weigerung plötzlich eines anderen besonnen haben? Den Lieutenant darüber zu fragen, wäre verlorene Mühe gewesen, und dieser kannte die Geheimnisse seines Vorgesetzten vielleicht auch gar nicht. Das hatte nichts zu thun mit seinem Dienste, und er bekümmerte sich, wie bereits erwähnt, ja um nichts, was außerhalb seiner Dienstespflichten lag. Durch die einsilbigen Antworten Jem West's hätte ich auch im besten Falle nicht viel erfahren. Während der Mahlzeiten am Vormittage und am Abend wurden kaum zehn Worte gewechselt. Ich muß aber gestehen, daß ich den Blick des Kapitän Len Guy häufig starr auf meine Person gerichtet sah, als wollte der Mann mich nach etwas fragen. Es hatte den Anschein, als wünsche er von mir etwas zu erfahren, während im Gegentheil ich es war, der etwas von ihm erfahren wollte. Thatsächlich blieben wir, der eine wie der andere, stumm.
Hätt' ich das Verlangen empfunden, nur zu schwätzen, so braucht' ich mich nur an den Hochbootsmann zu wenden, der war ja immer bereit, »ein Garn zu spinnen«. Was hätte er mir aber besonders Interessantes sagen können? Er unterließ es übrigens nie, mir mit unveränderlicher Weitschweifigkeit Guten Tag und Gute Nacht zu sagen. Dann fragte er, ob ich mit dem Leben an Bord zufrieden sei... ob mir genügte, was die Cambüse (Küche) lieferte... oder ob ich wünschte, daß er bei diesem Mohrenkopf Endicott einmal gewisse Gerichte nach seinen Recepten bestellen solle u. dgl.
»Ich danke Ihnen, Hurliguerly, antwortete ich eines Tages. Ich bin mit dem gewöhnlichen Küchenzettel zufrieden... er bietet ja genug, und bei Ihrem Freunde im »Grünen Cormoran« bin ich auch nicht besser bedient worden.
– Ah, dieser Teufel von Atkins!... Im Grunde übrigens ein braver Mann!
– Das mein' ich auch.
– Begreift es ein Mensch aber, Herr Jeorling, daß er, ein Amerikaner, sich sammt seiner Familie nach den Kerguelen verbannen konnte?
– O... warum denn nicht?
– Und daß er sich da glücklich fühlt?
– Nun, ich finde das nicht so ungereimt Hochbootsmann!
– Na, wenn Atkins etwa mit mir tauschen wollte, da sollte er schön ankommen! – Ich schmeichle mir, das angenehmste Leben von der Welt zu führen!
– Meinen Glückwunsch dazu, Hurliguerly!
– Und glauben Sie mir, Herr Jeorling, wenn man seinen Seemannssack an Bord eines Schiffes wie der »Halbrane« bringen konnte, so ist das ein Glücksfall, der einem im Leben nicht zweimal begegnet. Unser Kapitän spricht nicht viel, das ist wohl wahr, und unser Lieutenant gebraucht die Zunge noch weniger...
– Das hab' ich auch bemerkt! fiel ich ein.
– ...Thut aber nichts, Herr Jeorling, es sind doch zwei tüchtige Seeleute, das versichere ich Ihnen! Sie werden es bedauern, wenn Sie sich in Tristan d'Acunha ausschiffen....
– Es freut mich, das von Ihnen zu hören, Hochbootsmann.
– Und bei dem stehenden Südost, der uns in die Flanke bläst, sowie bei dem ruhigen Wasser, das sich nur etwas hebt, wenn es Pottfische oder Wale von unten her in Bewegung bringen, wird das nicht so lange dauern. Sie werden's ja sehen. Herr Jeorling, daß wir kaum zehn Tage brauchen, um die dreizehnhundert Meilen von den Kerguelen bis zu den Prinz Eduard-Inseln zu verschlingen, und höchstens fünfzehn Tage für die zweitausenddreihundert Meilen, die die letzteren von Tristan d'Acunha trennen.
– Solche Prophezeihungen sind unnütz, Hochbootsmann. Zunächst müßte die Witterung so bleiben, wie bisher, und wer lügen will, braucht nur das Wetter vorherzusagen... Das ist ein altes Seemannssprichwort, das man nie vergessen soll!«
Diesmal traf die Vorhersage ein: das Wetter blieb beständig. Am Nachmittage des 18. August meldete die Wache unter 42 Grad 59 Minuten südlicher Breite und 47 Grad östlicher Länge vor Steuerbord die Bergspitzen der Crozetgruppe, deren Gipfel zwischen sechs- bis siebenhundert Toisen (1170 bis 1365 Meter) über das Meer aufsteigen.
Am nächsten Tage ließen wir die, nur während der Fangzeit besuchten Inseln Possession und Schveine an Backbord liegen. Zur Zeit hatten diese als einzige Bewohner nur eine Menge von Vögeln, Heerden von Pinguinen, große Völker von Chionis, die ähnlich wie die Tauben fliegen und von den Walfängern deshalb »White-pigeons« (Weiße Tauben) genannt worden sind. Ueber den phantastischen Schluchten des Crozetberges drängten sich in mächtigen, runzligen Massen die Gletscherströme hinab, und noch einige Stunden lang konnte ich die Umrisse des Berges erkennen. Dann verschwamm alles zu einem weißlichen Scheine, der sich am Horizonte hinzog und über den nur noch die schneebedeckten Gipfel der Gruppe emporragten.
Die Annäherung eines Landes hat immer ein besonderes Interesse. Mir kam da gelegentlich der Gedanke, daß der Kapitän Len Guy jetzt vielleicht das gegen seinen Fahrgast beobachtete Schweigen brechen würde. Er that es aber nicht.
Bewahrheiteten sich die Prophezeihungen des Hochbootsmanns, so konnten kaum drei Tage verstreichen, bis die Bergspitzen der Marion- und der Prinz Eduard-Insel im Nordwesten auftauchten, an denen übrigens nicht angelegt werden sollte. Erst bei Tristan d'Acunha wollte die »Halbrane« ihren Wasservorrath erneuern.
Ich erwartete also, daß die Einförmigkeit unserer Fahrt bis dahin von keinerlei Zwischenfall unterbrochen werden würde. Am Morgen des 20. aber, als Jem West nach der ersten Beobachtung des Stundenwinkels eben die Wache hatte, erschien zu meiner größten Verwunderung der Kapitän Len Guy auf dem Verdeck, ging längs des Deckhauses hin und stellte sich auf dem Hintertheile vor das Compaßhäuschen, dessen Scheibe er – wohl mehr aus Gewohnheit, als weil es jetzt gerade nöthig gewesen wäre – beobachtete.
Читать дальше