1 ...8 9 10 12 13 14 ...32 Ulrike wunderte, warum ihr das nicht selbst einfiel. „Danke“, warf sie ihm zu, und auf einmal zog es sie unwiderstehlich zur alten Herdstelle. Von dieser Stunde an mochte sie Eike wieder irgendwie; der nüchterne Wink zeugte von gesundem Menschenverstand und bewies, Eike machte sich Gedanken. Durch ihn wieder zuversichtlich gestimmt, wandte sie sich der überschaubaren Dorfstraße zu, und der Himmel über Berne war enzianblau wie Birtes Augen. Die Freundin sah sie zwinkernd an. „Ist doch ein Lieber, der Eike… musst du zugeben. Außerdem könnte ich mir dann leicht Bolke angeln. Einen für dich, einen für mich.“
Die klappernde Mühle und das tosende Wehr blieben hinter ihnen – es zog Ulrike mit beschleunigten Schritten zur alten Schmiede. Dort fanden sie ihren Vater. Lüder rieb sich grüblerisch den Stoppelbart und konnte sich nicht entschließen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Die Stirn gesenkt, stierte er aus glasigen Augen auf den Pott mit Most, zu dem er sonst eher selten griff. Wie viel von dem scharfen Obst er sich bereits einverleibte, zeigte die rote Nase. Er lallte hörbar, mit ihm zu reden, hätte sie sich sparen können. Er schob sich eine triefende Pflaume in den Rachen und kaute langsam und genießend. Vom Rummel wollte er nichts wissen - bevor Birte die Geduld verlor und empfahl, sie könne vorausgehen.
Endlich machte Lüder sich Luft. „Dieser aufgeblasene Hundsfott wird mich schikanieren“ stellte er brummig in den Raum. „Du kennst mich als Gemütsmensch, Rike, mir fällt es verdammt schwer, dann nicht gereizt zu klingen.“ Er schlug krachend die Faust auf den Tisch, die Augen sprühten vor Zorn. „Ich bin keiner, der katzbuckelt… und das hier aufzugeben, das heißt, einem Hund gleich den Schwanz einzukneifen.“
„Vater, nimm das Gute mit, das dir der Graf anbietet. Arbeite vorläufig am alten Amboss, dann an dem, den er dir hinstellt und komme zu uns, mit auf den Aumundhof, die Kammer ist allemal so groß wie das hier. Obendrein hättest du stets was zu tun. Ich erinnere mich, oft fehlte uns das Geld fürs Brot. Vergiss nicht, wie dir zumute war… hast du in der Schmiede gesessen und die Daumen gedreht.“
Es traf den Punkt, den er in seiner Verzweiflung vergessen hatte. Lüder erhob sich unbedarft, wankte heftig, und grinste als sie ihn stützte. „Du bist so klug wie deine Mutter war, Rike“, lobte er sie mit mühsam gebändigter Zunge. “Was soll aus uns werden… hält Eike auf einmal um dich an?“
Sie schüttelte den Kopf dazu und schmunzelte hintergründig. Er hütete sich, noch ein Wort darüber zu verlieren. Dann hakte sie sich bei ihm ein, und sie kehrten mit ihrem heftig schwankenden Vater auf den freien Platz am Rathaus zurück. Den Einzug der mit Blumengirlanden geschmückten Erntewagen hatten sie verpasst, ebenso das Ritual, in dem ein Junge die letzte Garbe vom Stoppelfeld bringt, und das Sackhüpfen der Kinder. Auf dem Stuhl des Bühnengerüsts saß ein grün und gelb gekleideter Barde. Er griff kraftvoll in die Saiten, und der Klang der Laute fuhr ihr in die Knie. Sie sang gern und genoss den Zauber des ihr fremden Instruments. Es war ein trauriges Lied von einem edelmütigen Ritter, dem die Geliebte schmollte, weil er ihr einen Freund erschlug. Wurde zum Tanz aufgespielt, war üblich, eine Seite der Bankreihen den Männern zuzuordnen, die andere Hälfte, von den Linden bis zum Tor mit der Bernebrücke blieb den Frauen. Scheue Blicke wechselten von hier nach dort, ehe ein mutiger Jüngling sich der weiblichen Gemeinde näherte.
Vor der Bühne tanzten bereits einige, da stieß Birte Ulrike an. Ihr Blick zielte auf Eike von Bardenfleth, der sein Angelzeug bei sich hatte und quer durch die Sitzreihen gezielt auf sie zu steuerte. „Birte… nein“, raunte sie. Bisher gelang ihr, sich vor dem Tanzen zu drücken; sie fürchtete, sich zu blamieren, und seine Absicht war klar.
„Du bleibst“, verlangte Birte. „Zeig‘ Courage, Rike. Der Eike ist ein brauchbarer Kerl. Stoß ihm nicht vor den Kopf. Hörst du?“
Also ließ sie sich auffordern, brachte mit Eike ihren ersten Reigen hinter sich und floh schleunigst wieder an ihren Platz. Erneut beschwor er sie, mit ihm den Heuschober aufzusuchen, ja drängte sie, und die strengen Regeln von Sitte und Anstand geboten, unberührt zu bleiben, bis die Glocke von Berne in den Hafen der Ehe rief. Die Bitte nach einem zweiten Tanz schlug sie barsch ab und blieb auch hart, als er sich verstohlen entschuldigte. Jedenfalls zog Eike traurig ab. Birte weigerte sich, das stumm hinzunehmen. Ihr Gespräch wurde lebhafter. Birte klang vorwurfsvoll, und Ulrike sträubte sich, noch einmal auf Eike zuzugehen. Ja, sie behauptete kühn, sie könne auf Eike verzichten, ebenso auf jeden anderen Kerl. Lüder sorge für genug Aufregung. Sie übertrieb, aber es tat gut, danach über das zu reden, was sie wirklich belastete, und die Zeit verging darüber wie im Flug.
Als ein kunterbunter Gaukler die Bühne betrat und eine lohende Feuerlanze in die Luft spie, hielt Ulrike fasziniert wie alle den Atem an. Es dämmerte allmählich, ein Häscher im Oldenburger Wappenrock entzündete Talglichter und steckte am Rand des Festplatzes einige Fackeln in den festgetretenen Lehm. Ulrike blies ungeduldig über ihre dampfende Schale mit Biersuppe, da erschien jemand in hohen Reitstiefeln vor der Bank, an der Ulrike mit ihren Schwestern und der Freundin saß. „Ist der Platz neben dir frei?“
Ein freudiger Schreck spiegelte sich in ihren Zügen. Sie erkannte das fein geschnittene Gesicht des humorvollen Edelmanns wieder, der ihnen zu nächtlicher Stunde am Brookdeicher Gehölz begegnet war, weil sein Pferd lahmte. Wieder lächelte er sein breites, unbefangenes Lächeln. Auch er hatte nicht vergessen, wer ihn damals zu später Stunde zu einem Schmied brachte. In seinen wachen, dunklen Augen blitzte ehrliche Wiedersehensfreude. Ulrike brauchte einen Moment, ehe ihr unsicher „äh… ja“ heraus rutschtet.
Schon saß er bei ihr, stellte seinen Bierkrug bei ihnen auf den Tisch. „Meine Freunde nennen mich Dirk“, stellte er sich vor. „Weißt du noch…?“
Sie registrierte das Wappenbild, ein goldener Schild mit zwei roten Balken. Im Vordergrund glänzten matt zwei gekreuzte silberne Schlüssel. Ansonsten schimmerte das Hemd in der Bleiche eines Kohlweißlings und ließ sich durch Bänder enger schnüren, bei kühler Witterung. Als sie stumm blieb und vor Verlegenheit rot anlief, fragte er leise: „wie heißt du?“
„Ulrike“, brachte sie tonlos vor.
„Wie geht es deinem Vater?“
Sie musste überlegen, wo sie anfangen sollte… und wollte ihm von den vielen erzählen, die in den letzten Tagen Hab und Gut verloren, da lockten Fiedel und Sackpfeife mit frischer Kraft zum Tanz. Als die Laute einstimmte forderte er sie mit einem feurigen Blick auf, die Hemmungen über Bord zu werfen und sich zu beteiligen. Die Paare fanden sich gerade und Schwung kam auf, sie wirbelten im Kreis, dass die Röcke flogen, und Ulrike genoss es wie in einem Taumel, bis sie völlig außer Atem abbrach. Glücklich wieder am Tisch und völlig aus der Puste, wagte sie endlich, ihn offen anzuschauen. „Seid Ihr ein Ritter, Herr von Keyhusen?“
Er nickte bloß, für ihn schien es nichts, vor dem sie Ehrfurcht haben müsste. „Hör zu, Ulrike, ich bin letztlich ein Mensch wie du“, gab er zu verstehen, und sie griff schweratmend nach ihrer Bierschale und strahlte ihn vergnügt an, gespannt auf seine Geschichte.
„Meine Burg steht nahe Rastede, bei dem gleichnamigen Kloster, weißt du. Hast du schon vom Zwischenahner Meer gehört?“
Ulrike schüttelte den Kopf. Sein Gesicht gefiel ihr, und seine Wesensart zog sie an wie kein Mann vor ihm. Doch wie sollte sie es ihm zeigen? Ihn offen anzulächeln wäre aufdringlich bei einer ihres Standes. Abweisen wollte sie ihn auch nicht, und sie ahnte, wie verstockt sie auf den angenehmen Junker wirkte. Zum Glück hielt ihn ihre Schüchternheit nicht ab, gesprächig zu werden. „Ich bin mit einem Freund hier in Berne. Ein Waffenbruder aus früheren Tagen lud uns ein auf Burg Lechtenberg, doch geriet ich im Rittersaal mit Graf Moritz von Oldenburg aneinander. Er ist ein Welfe, und ich bin ein Staufer... und gut über Philipp von Schwaben zu reden, genügte einem selbstherrlichen Protz wie ihm, mich nicht länger zu mögen. Graf Moritz ekelte mich von der Burg, könnte man sagen. Ich sah keinen Anlass, mich deshalb dem Erntedankfest fern zu halten. Du brachtest mich ja derzeit im Gasthof Bunter Hahn unter, und die alte Absteige war noch frei.“
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