Alle saßen beim Abendessen, bis auf Albert. Die Tafel war reichlich gedeckt. Nach dieser anstrengenden Reise futterten alle, als gäbe es morgen nichts mehr. Albert betrat den Raum mit einem großen, dicken Buch in den Händen. Angestrengt ließ er das schwere Buch neben zwischen Paul und Sam auf den Tisch knallen.
„Das sind alle Aufzeichnungen, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe. Nachdem meine Frau umkam, begann ich dieses Buch zu schreiben. Hier stehen alle unsere Reisen und alle unsere Erlebnisse drin. Viel Spaß beim lesen“, sagte Albert lächelnd und setzte sich an den Tisch. Paul kaute nur noch zögerlich. War doch die Neugier riesengroß, was da wohl drinstehen würde. Den letzten Bissen spülte er mit Rotwein runter, dann öffnete er das Buch. Auch Sam musste immer wieder ins Buch schauen. Es dauerte nicht lange, da waren beide äußerst fasziniert in das Buch vertieft. „Oh, mein Gott“ „Der Wahnsinn“ oder „Ich glaube es nicht“, war immer mal wieder von beiden zu hören.
Mittlerweile war es Nacht geworden. Die Tafel war längst leer. Paul und Sam saßen immer noch über dem Buch. Sinclair saß in einer Ecke und schnarchte fröhlich vor sich hin. „Es gibt also unzählige Welten da draußen und man kann sie alle besuchen“, stellte Sam fasziniert fest. Die Augen der Beiden leuchteten, wie bei kleinen Kindern, die gerade ihre Geschenke auspackten. „Ja. Wir können also mit allen Lebewesen kommunizieren, weil wir die angehenden Hüter sind. Und es gibt Lebewesen, von denen wir nicht mal zu träumen wagten.
Leben wir wirklich, wie ein Floh auf einem Hund, auf oder in anderen Lebewesen?“, stellte Paul fasziniert fest. „Alle meine Bücher, meine Ideen…, oh Mann, unsere Vorstellung von Größe, Raum und Zeit sind ja so klein und engstirnig. Ich komme mir vor, wie diejenigen, die mal behaupteten, die Erde wäre eine Scheibe.“ „Wie meinst du das denn jetzt, Dad?“ „Na ja. Der Floh ist sich nicht bewusst, dass er auf einem Hund sitzt. Er ist sich nur, vielleicht, darüber im Klaren, dass es seine Nahrungsquelle ist. Wir sind uns nur über die Erde und das Sonnensystem im Klaren. Vielleicht ist das Universum mehr als nur das, was wir darüber bereits wissen.“ „Das ist sehr verwirrend, Dad.“ „Das sagten die Menschen, die die Erde für eine Scheibe hielten auch, über diejenigen, die schließlich behaupteten, dass die Erde rund sei“, sagte Paul mit einem flüchtigen lächeln. Sam begann zu gähnen, während Paul immer tiefer ins Buch eintauchte.
Der Morgen brach an. Während Sam mit dem Kopf auf dem Tisch schlief, las Paul noch immer im Buch. Immer wieder rieb er sich seine müden Augen. Sinclair deckte den Frühstückstisch. Als er eine Gabel auf den Tisch fallen ließ, schreckte Sam hoch. Albert kam herein und begrüßte alle mit einem freundlichen Lächeln.
„Na, meine Freunde. Wie ich sehe, seid ihr äußerst angetan von meinem Tagebuch“, sagte er und setzte sich an den Tisch. Sinclair servierte Albert ein großes Glas Milch, was er in einem Zug austrank. „Mmh…, so beginnt man einen Tag“, sagte er und rieb sich die Hände, während sein Blick neugierig über den Tisch wanderte.
Mia und Maik betraten gleichzeitig den Saal und scherzten miteinander, was Sam etwas missfiel-war Maik doch ein junger, attraktiver Mann. Ein gequältes Lächeln verließ Sam als er freundlich von Mia begrüßt wurde. Alle stürzten sich erstmal über das Buffet her. „Was ist der Plan für heute, Albert?“, fragte Paul nebenbei kauend. „Mia und Sam könnten Sinclair bei einigen Einkäufen helfen. Sie, lieber Paul, brauchen wohl erstmal eine Mütze voll Schlaf.“ Paul nickte zustimmend. „Ich hingegen werde mal herausfinden, wo wir den Herrn der Zeit antreffen können. Der hat nämlich für alles einen Zeitplan. Wahrscheinlich ist er in Ägypten bei den Pyramiden oder in China bei der großen Mauer. Da hält er sich am liebsten auf. Er nennt sie die „Zeitlosen“, sagte Albert mit einem frechen grinsen.
Albert befand sich wieder im Kellergewölbe und stand vor dem Marmorbecken. Er atmete nochmal tief durch und legte dann seine Hände auf die Wasseroberfläche. Er schloss die Augen und plötzlich begann er wild zu zucken. Der Raum begann zu funkeln und zu leuchten, als ob man eine Discokugel anstrahlen würde und gleichzeitig die Wellen eines Sees das Licht reflektieren. Seine Gesichtszüge wechselten von Lächeln über Trauer bis sehr konzentriert. Auch kurze Aufschreie blieben ihm nicht verschont.
Langsam schwanden seine Kräfte. Die Beine wurden schwerer und schwerer und er sank zu Boden. Das Leuchten verschwand wieder allmählich. Albert hatte Mühe sich wiederaufzurichten. „Oh je, …, dieses Schwert raubt mir immer schneller meine Kräfte“, dachte er, während er sich am Marmorbecken hochzog.
Er schleppte sich zum Eingang des Raumes, wo sich eine Sprechanlage befand. „Sinclair…, ich könnte ihre Hilfe beim Auge gebrauchen“, sagte er mit letzter Kraft. Dann sackte er zusammen. Einige Minuten später kam Maik zu Albert geeilt.
„Was machen sie hier, Maik?“, fragte er mit leiser Stimme. Maik half ihm auf die Beine und stützte ihn. „Sie haben doch Sinclair zum Einkaufen geschickt.“ „Ach, ja. Bringen sie mich bitte ins Bett, Maik.“ „Es scheint sie mehr und mehr anzustrengen, Albert.“ „Ich habe mich seit vielen Jahren nicht mehr so schwach gefühlt. Sagen sie bitte meiner Tochter nichts. Versprechen sie mir das.“ „Sie wird nichts erfahren, Sir.“ Dann brachte er ihn ins Bett.
Sam, Mia und Sinclair waren bei einem Einkaufscenter angekommen. „Wenn sie möchten, können sie vorerst ihren Interessen nachgehen. Ich kontaktiere sie, wenn ich fertig eingekauft habe“, sagte Sinclair, während sie aus dem alten Mercedes ausstiegen.
Sinclair hatte eine Vorliebe für schöne Autos. Als ehemaliger Rennfahrer schwor er dieser Leidenschaft nie ab. Besonders diesen 1960er S-Klasse Mercedes mochte er. Fast alle seine Wagen waren weiß. Albert hatte dafür nicht allzu viel übrig, dass überließ er ganz Sinclair.
Sam stoppte Mia an den Schultern. „Hast du eigentlich noch diese Kugeln, mit denen wir Mutare am See aufgehalten haben?“, fragte er. „Jede Menge“, antwortete Mia und warf Sam einen verträumten Blick zu. „Komm mit. Ich habe eine Idee.“ Sam nahm Mia an der Hand und eilte mit ihr, gut gelaunt, in das Einkaufscenter. Drin angekommen, gingen sie in ein Elektrogeschäft, geradewegs auf die Drohnen-Abteilung zu. Sam nahm einen Karton mit einer Flugdrohne und bestaunte ihn. „Was hast du vor damit?“, fragte Mia ungläubig. „Ich kann die Dinger so umbauen, dass sie uns begleiten, wie ein Mückenschwarm“, sagte er mit glänzenden Augen.
Mia fiel unterdessen ein großer, dunkelhaariger Mann auf, der sie die ganze Zeit zu beobachten schien. „Okay. Nimm ein paar Drohnen mit. Wir müssen weg hier“, drängelte sie und zeigte Sam unauffällig diesen Mann. Als sie das Geschäft verließen, folgte ihnen der Mann. Mia drehte sich nochmal um und sah es. Daraufhin gingen sie etwas zügiger.
Der Mann ging an einer jungen Frau vorbei und streifte ihren Arm. Plötzlich begann auch die junge Frau Sam und Mia zu verfolgen. Der Mann und die Frau berührten immer mehr Menschen, die dann ebenfalls folgten. Sam und Mia wurde es immer unheimlicher. Sie rannten zum Parkplatz, wo Sinclair bereits die Einkäufe in den Kofferraum legte. Mia rief Sinclair. Als der plötzlich die große Menschentraube sah, bekam auch er Angst.
Schnell sprang er in den Wagen, startete ihn und fuhr Sam und Mia entgegen. Sam sprang als erster in den Wagen. Zwei ziemlich kräftig gebaute Männer griffen sich Mia. Die zögerte nicht lange und warf die Männer blitzartig mit ein paar Judo-Griffen zu Boden. Sie sprang in den Wagen und Sinclair gab Vollgas.
Mit quietschenden Reifen rauschten sie gerade noch davon. „Was war das denn? Wieso haben die uns verfolgt?“, fragte Sam. „Das war „Amator“. Er kann durch Berührung anderen Lebewesen seinen Willen aufdrängen. Lass dich also niemals von ihm berühren“, antwortete Mia. „Wo kommen die nur her und wieso können die das?“, fragte Sam. „Ich habe doch die Parallelwelten erwähnt“, sagte Mia. Sam nickte. „Der Hüter ist nicht nur für eine Welt verantwortlich, sondern für das ganze Universum.“ „Halt…, willst du damit sagen, dass es auf anderen Welten keine geeigneten Hüter gibt?“, fragte Sam skeptisch. „Das Wort wählt den Hüter. Es ist einfach Zufall, dass es schon wieder die Erde ist. Früher waren es andere Welten. Ist einfach so“, sagte Mia schulterzuckend. „Und wir können auf diese Welten reisen?“, wurde Sam immer neugieriger. „So ist es“, antwortete Mia mit einem verspielten Lächeln.
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