Immer wieder würde Herbert Nachmessungen und hochfrequente Therapieeinheiten mit dem teuren Gerät folgen lassen, in dessen hochwissenschaftlich verfassten verquasten Beschreibungen er etwas von „Erreichen höherer Quantenniveaus in der biologischen Resistenz des heute zunehmend gestressten Individuums“ gelesen hatte.
Da solcherart innovative Behandlung natürlich nicht in der validen Gebührenordnung von 1988 enthalten sein konnte, eröffneten sich Wege zu „Analogberechnungen“ mit Phantasiepreisen in traumhaften Höhen…
Als definitive Versorgung schwebten Herbert aufwändige Keramikinlays und –teilkronen vor, im Frontzahngebiet vollkeramische Kronen, respektive die neuerdings „Veneers“ genannten Porzellanschalen für den ästhetisch anspruchsvollen Patienten, für den das Beste gerade gut genug war. - Alles natürlich mit dualem – das hieß licht- und chemisch härtendem- Kunststoff- Zement adhäsiv verklebt, was der Haltbarkeit und der Höhe des Honorars zugutekommen würde.
Der junge Zahnarzt strahlte jetzt wieder Zuversicht aus: Wenn dieser Patient fertig saniert wäre, würde er am liebsten die Zahnarztpraxis umbenennen in „Spitzen- Institut für ganzheitlich-orale Gesundheit Fördewelle “, das sollte wohl auch Britta gefallen.
Jetzt wollte er schleunigst noch die leidige Finanzierungsfrage mit Herrn Huber besprechen. Nach den unguten Erfahrungen hatte er die Klärung dieser wichtigen Dinge zur Chefsache erkoren und begann alsbald, Herrn Huber über die Vorteile und fast zu vernachlässigenden Risiken der geplanten Maßnahmen zu informieren und – en passant – auch auf die geschätzten Gesamtkosten von 27.000 D-Mark hinzuweisen; ein detaillierter Heil- und Kostenplan würde folgen.
„Nullo Problemo, Dokterchen, i woiß scho´ wie´s G´schäft läuft“, meinte Huber grinsend: „Nächstes Moal bring i dir fünf Riesen als a-Konto- Zahlung mit, dann koanst beruhigt anfangen, is scho recht…“
Herbert nickte hocherfreut, dass Huber mit den „Riesen“ keine Hunderter meinte, verstand sich ja wohl von selbst, dafür sprach auch der weiße Porsche – Targa, der vor der Praxis im Halteverbot parkte. Frohgemut wurde der erste Behandlungstermin ausgemacht. Jetzt erschien auch schon die „Azubine“ mit dem Retriever nach ihrem ausgedehnten Spaziergang im Schrevenpark, Huber übernahm nonchalant die Leine und brauste kurz darauf samt Luxushund im Luxusauto davon.
Tatsächlich kam er einige Tage später mit den 5000 zum Termin und ließ sich die ersten Amalgamfüllungen nach der Natur-Resonanzenmessung und –behandlung ausbohren, natürlich vorschriftsmäßig unter Kofferdam- Gummi und mit ständiger Absaugung. Den Golden Retriever hatte er jetzt zuhause gelassen und erwies sich auch sonst als angenehmer Patient und Zeitgenosse.
Jedenfalls stimmte die Chemie zwischen Arzt und Patient, und so nahm das anspruchsvolle Werk tatsächlich in wenigen Wochen Gestalt an: eine optimal sitzende, vermessene keramische Seitenzahnversorgung und super ästhetische Veneers und Kronen in der Oberkiefer- Front, dazu eine Amalgamausleitung nach allen Regeln der „ganzheitlichen“ alternativ- zahnärztlichen Kunst.
Auch der Zahlungsfluss lief bis zur Gesamthöhe von 27.000 Mark einwandfrei: sukzessive nach Behandlungsfortschritt und meistens in bar – und großteils „steuerfrei“! Man wolle doch nicht die Falschen mästen, bemerkte Huber mit vielsagendem Blick.
Herbert konnte der Versuchung nicht widerstehen, sein eigentlich auf Raten erstandenes rotes Golf-Cabriolet auf einen Rutsch zu bezahlen. Von der Steuer hatte er es ohnehin nicht absetzen dürfen, dann ginge das Finanzamt doch wohl auch nichts an, dass er ein „bisschen“ Geld nicht ausschließlich über das Kassenbuch vereinnahmt hatte…
Der gute Huber bedankte sich für die „super Behandlung“ dann auch noch mit einer Einladung in sein Unternehmen. Herbert sollte einmal sehen, wo sein gutes Geld herkäme: Huber war Chef und Mehrheitseigner eines landesweit bekannten hiesigen Glücksspielhauses. Er hatte Herbert mit Britta zu einem Gala-Abend eingeladen, anlässlich der Wiedereröffnung nach großzügiger Renovierung. Eine Hamburger Chanson-Sängerin sollte auftreten, anschließend würden die Gäste natürlich auch die Möglichkeit haben, an den Roulette- und Black-Jack-Tischen Platz zu nehmen und ein Spielchen zu wagen. Für Herbert hatte der großzügige neue Freund sogar eine Tüte mit Jetons hinterlegt – im Wert von immerhin 250 D-Mark. Da wollten sie auf jeden Fall hingehen.
Im mit gedämpftem Licht dezent ausgeleuchteten Spielsaal herrschte eine fast mondän zu nennende Atmosphäre: Huber und seine Leute hatten es geschafft, das neu gestaltete Etablissement so mit gediegener Einrichtung und geschmackvollen Accessoires auszustatten, dass alles einen vornehmen Hauch von Luxus ausstrahlte, ohne dass die Grenze zum Schwülstig-talmihaften überschritten wurde: Nichts sollte auch nur im Entferntesten eine Verbindung zum nicht weit ab gelegenen Rotlicht- Viertel vermuten lassen.
Noch waren die großen ovalen Tische für das American Roulette, das Black-Jack und das Französische Roulette mit grünem Tuch abgedeckt, als ein smarter Ansager im cremefarbenen Diner-Jackett den Star des Abends ankündigte: Gabriella aus Hamburg, die auch schon im Mitternachts-Special des NDR aufgetreten war und mit ihrer rauchigen, eindringlichen Stimme ihr Publikum in den Bann schlug. Elegant bewegte sie sich im lang geschlitzten, fast knöchellangen Etui-Kleid über den weichen roten Flor auf der überschaubaren, leicht erhöhten Bühnenfläche.
Mit den Plakaten und der geschickt in Zeitung und Kino platzierten Werbung für dieses Programm in dem luxuriösen, nur ganz leicht verruchten Ambiente hatte Huber ins Schwarze getroffen: Eine bunte Gesellschaft aus fast allen gesellschaftlichen Kreisen hatte sich eingefunden, nicht nur die bekannten, extrovertierten Gesichter der Provinz-Schickeria, sondern auch Vertreter der Prominenz aus Rathaus und Landespolitik quer durch alle Parteien, Interessierte aus Verbänden und Vereinen und jede Menge „Normalos“.
Dass dabei die Menschen aus den betuchteren Stadtteilen des Kieler Westufers deutlich überrepräsentiert erschienen waren, störte die Macher überhaupt nicht. Schließlich war das ja auch in den hochsubventionierten Musentempeln für Drama und Musiktheater der immer eher links-regierten Landeshauptstadt so. Auf die dickeren Geldbörsen hatte man es ja schließlich abgesehen, sollten sich doch die anderen nach der Show gerne ins Untergeschoss zu den Slot-Automaten und „einarmigen Banditen“ verkrümeln…
Als sich dann gegen 22 Uhr die Chansonnette nach begeistertem Schlussapplaus in ihre Garderobe zurückgezogen hatte, kam man zum eigentlichen Kern und Sinn des Galaabends. Allerdings hatten sich jetzt auch die wirklich hochrangigen Leute, vielleicht um kompromittierende Fotos zu vermeiden, diskret zurückgezogen. Sie hatten wohl eigentlich nur einem wahrscheinlich beachtlichen neuen Steuerzahler die Ehre geben wollen, ihm aber damit zum schon vorhandenen Glamour den Anstrich biederer Seriosität hinzugefügt.
Alles verlief wie geplant: Die Glücksspieltische wurden aufgedeckt, und der Conférencier säuselte ein paar abgedroschene Worte vom Glück im Spiel und in der Liebe und dass der wahre Kenner von beidem genießen müsse.
Alkoholische Genüsse hatte es schon reichlich gegeben: Im Untergeschoss schäumte das Freibier aus dem Fass und hier oben gab´s Schampus bis zum Abwinken. Das lockerte die Zunge der Plaudernden und stärkte die Risikobereitschaft fürs Große Spiel.
Mit witzigen Pointen wurden jetzt die Spielvarianten erklärt, nicht ohne zu erwähnen, dass es bedauerlicherweise wohl ein paar spielsüchtige Zeitgenossen gebe, aber welcher Genuss berge nicht auch abgründige Seiten, die aber normal vernunftbegabte Menschen eigentlich niemals beträfen, denn wie immer im Leben mache die Dosis das Gift und es käme darauf an, das rechte Maß zu finden und einzuhalten.
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