1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Schon an der Schule hatte sie immer nur so viel getan wie unbedingt nötig war, um zwischen 15 und 10 Punkten in ihren Kursen zu erzielen, das war zwischen 1 und 2.
Wenn sie - was selten genug vorkam – eine Arbeit verhauen hatte, ging sie zur Lehrkraft, knipste ihr berückendes Lächeln an und versprach, dass es ihr ein Leichtes wäre, eine Schippe draufzulegen. Das tat sie dann auch, und der Notenschnitt pendelte sich bald wieder auf das gewohnte Niveau ein. Immer war ihr noch genügend Zeit geblieben für das Reitpony, das ihr die Eltern zum 12. Geburtstag geschenkt hatten und das zum 17. gegen ein ganz ansehnliches Dressurpferd ausgetauscht wurde, einen 8-jährigen Hannoveraner Rapp-Wallach mit den besten Anlagen, nicht billig, aber ihre Eltern betrieben ein mittleres Taxi-Unternehmen und hatten nur die eine Tochter…
Eigentlich kriegte Britta immer alles, was sie wollte, mit 16 auch den Klassenprimus, der gar nicht gewusst hatte wie ihm geschah, als sie ihm in der Schüler-Disko schöne Augen machte. Jedenfalls hatte es sich für sie ausgezahlt; die 1,4 im Abi 1984 waren ganz okay und würde sie den numerus clausus für Zahnmedizin locker überspringen lassen.
Das Abitur war in den 80ern auch nicht mehr das, was es mal gewesen war: Die „Sekundärtugenden“ früherer Tage hatten endgültig ausgedient: Warum noch Formeln, Geschichtszahlen und Vokabeln pauken, fast alles ließ sich doch spielend über „learning by doing“ erreichen. Geschickt hatte Britta ihren Schwerpunkt und die Leistungskurse auf „Soziales, Wirtschaft und Politik“ gelegt, dazu wählte sie noch Grundkurse in Biologie und Erdkunde und anstatt Religion lieber „Philosophie und weltanschaulichen Unterricht“.
Ihr selbstbewusstes Auftreten und die intuitive Eloquenz, die ihr eigen war, erwiesen sich in diesen Fächern schon als „halbe Miete“ für gute Noten. In den Mathe- und Physik-Grundkursen dagegen ließ sie sich manchmal von ihrem Freund coachen, außerdem war der Fachlehrer für ihren gespielt naiven Augenaufschlag nicht unempfänglich.
Zur großen Abi-Feier schritt sie noch mit ihrem linkischen Primus zu den Klängen einer Pop-Hymne durch den Bodennebel über die Bühne des Ballsaals. Es war eine rauschende Nacht gewesen, aber am nächsten Morgen packte sie ihre Koffer für den von Papa spendierten Zweimonats-Trip durch die Vereinigten Staaten.
Nach ihrer Rückkehr ließ sie den Favoriten ihrer Jugend kühl abblitzen: Jetzt kam bald die Uni, und da musste sie sich alle Optionen offenhalten.
Das erste Semester wurde wider Erwarten hart. Nicht dass Britta Probleme mit dem theoretischen Teil bekam; in Biologie hatte sie immer gut aufgepasst und sich wegen ihres Pferdehobbys auch für einschlägige Krankheiten interessiert, seien sie durch Amöben, Bakterien oder Band- und Spulwürmer ausgelöst. Auch Physik und Chemie konnte sie wegen ihres Primus-Schulfreundes ganz gut nachvollziehen. Außerdem gab es einigermaßen übersichtliche Vorlesungsskripten, die den Besuch im Hörsaal weitgehend überflüssig machten. – Fürs Vorphysikum würde es schon reichen. Aber da war noch der Zahntechnik-Kurs in den Laborräumen der Vorklinik. Hier sollte sie zuerst einen übergroßen Schneidezahn aus Knetgummi modellieren – eigentlich lächerlich! - aber gar nicht mal so einfach: Jeder Winkel und jede Wurzelkrümmung mussten stimmen.
Der Kurs dauerte jeden Tag zwischen drei und fünf Stunden; der Plastilin-Zahn verschlang drei Kurstage, und bei der Abgabe – in der Schlange vor dem gestrengen Oberarzt Dr. Lehrmann wurden die Objekte mit feuchten Händen gedreht und gewendet und verglichen. Immer wieder gab der Leiter der Vorklinik ein missratenes Monster wortlos und kopfschüttelnd zurück, nicht ohne es vorher zu einer handlichen Kugel zusammen gepresst zu haben: „Bitte nochmal!“ sollte das wohl heißen.
Beim zweiten Versuch wurde Brittas Ding akzeptiert und als nächstes ein ähnliches Teil verlangt, diesmal aus einem Gipsblock geschnitzt, was sich als um einiges schwerer erwies. Nachdem alle Grübchen und Rillen eingearbeitet waren, kam der Feinschliff mit Schmirgelpapier und Nagelfeile und das Zuschwemmen zutage getretener Poren mit Gipsbrei, was die Oberfläche zwar glatter aber nicht gerade schöner machte.
Manchmal beneidete sie jetzt die Klassenkameraden ihrer frühen Schulzeit am Gymnasium, die ab der Quarta „werken“ durften, während die Mädchen wie selbstverständlich „Handarbeitsunterricht“ bekommen hatten; sie hatte das Stricken und Häkeln immer gehasst.
Bald wurde es aber in der Vorklinik interessanter: Die original grünen Zahntechnik-Modellierwachsstangen wurden ausgepackt, und auf vorbereitete Gipsmodelle eines Normgebisses in natürlicher Größe mussten Backenzahn- Kauflächen gestaltet werden. Mit Wachsmesserchen, die über Bunsenbrennner-Flammen gefährlich heiß gemacht wurden, musste nun aufgeschichtet, geformt und geschabt werden. Schließlich wurde – nach Erlangung des „Vortestats“ für die Modellation – das Ganze vom Gipskiefer abgehoben und mittels quarzhaltiger feuerfester Massen zum Guss in eine „Muffel“ eingebettet.
Spätestens als Britta in die Handhabung der großen horizontalen Federschleudern eingeführt wurde, war ihr wieder mal klar geworden: sie würde Hilfe brauchen…
Die Kommilitonen halfen sich natürlich ohnehin gegenseitig: Zu zweit standen sie ziemlich ratlos an der großen, stahlblechbewehrten, waagerechten Rundschleuder, eine holte zitternd die glühend heiße Muffel aus dem 900-Grad-„Vorwärmofen“, während der Partner die Plättchen mit goldimitierendem „Phantommetall“ im Gusstiegel mit dem Schweißbrenner auf gut 1000 Grad erhitzte. Dann musste es ganz schnell gehen: Muffel platzieren, etwas Schmelzpulver zugeben und weiterfeuern, bis die Masse rötlich-gold spiegelte, die zuvor aufgedrehte Federspannung mechanisch auslösen und schnellstens die Köpfe einziehen.
„Heute muss die Glocke werden…“ zitierten manche Scherzbolde Friedrich Schillers Gedichtklassiker. Wenn aber die glühende Muffel sich wider Erwarten aus der Mulde befreit hatte und geschossartig durch die Gussnische des Labors flog und zu Boden krachte, war den beiden „frischen Gesellen“ nicht mehr zum Lachen zumute.
Britta ahnte, dass sie bis zum Abschluss dieses Studiums noch viele Güsse zu absolvieren hätte und sann auf kompetentere Hilfe als die von ihrem freundlichen aber ebenso ungeschickten Nebenmenschen.
Sie fand sie in Karlheinz, einem nicht besonders attraktiven Pickelgesicht zwei Laborreihen weiter. Er hatte kein ganz so gutes Abitur gebaut, dafür aber schon drei Jahre Zahntechnikerlehre hinter sich und den Gesellenbrief in der Tasche.
Die zielstrebige Britta schenkte ihm ihren schönen Augenaufschlag und bat um Hilfe beim nächsten Guss. Er wurde natürlich ständig angefragt, aber da sie zur Mittagszeit verstohlen ihre Hand in die seine gleiten ließ, als sie nebeneinander zur Mensa schlenderten, war´s um ihn geschehen, und sie wurden ein „eingeschweißtes“ Team, das mindestens bis zum Physikum zusammenhalten sollte. Keine Frage, dass der gutmütige Karlheinz neben den Metallgüssen auch die ein oder andere weitere Laborarbeit für die hübsche Freundin übernahm und ihr bei Modellation, Politur und Prothesenaufstellung nach Kräften zur Hand ging.
Sie atmete tief durch und fand endlich wieder mehr Zeit für ihren mittlerweile 9-jährigen Hannoveraner, dessen Gesellschaft sie der von Karlheinz dann doch eindeutig vorzog.
Nach dem 4. Semester gab es noch den sommerlichen Ferienkurs im Labor, der mit Karlheinz´ Hilfe und zunehmender eigener Erfahrung ohne Probleme zu absolvieren war und sogar noch etwas Zeit fürs Segeln auf der Außenalster ließ. Das war Karheinz´ Leidenschaft, und Britta musste einige Male mit, um ihn sich für das Physikum warm zu halten, das ja auch einen praktischen Teil beinhalten würde.
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