„Mit keinem einzigen Wort“, erklärte er mit Bestimmtheit, „habe ich auf die Intelligenz Ihrer Tochter die Rede gebracht oder auch nur auf sie angespielt. Ich habe sie lediglich gefragt, ob sie die von mir gestellten Übungsaufgaben ganz selbständig gelöst habe.“ „Offensichtlich“, erwiderte die Frau herablassend, „verfügen Sie noch nicht über genügend pädagogische Erfahrung, um richtig einschätzen zu können, was eine für Sie harmlose Frage in der Seele eines sensiblen Mädchens anzurichten vermag.“
„Vielleicht“, dachte P. auf einmal, „ist es töricht von mir gewesen, das Mädchen nach der Herkunft der Lösungen gefragt zu haben. Hätte ich doch nach dem, was sie mir über ihr Zuspätkommen zur ersten Stunde erzählt hat, wissen müssen, dass sie meine Frage vermutlich nicht ehrlich beantworten würde.“
Sich aus seinen Gedanken wieder herausreißend, sagte P. zu der Mutter der Nachhilfeschülerin: „Ich habe meine Frage nicht leichtfertig gestellt. Aufgrund der derzeit sehr lückenhaften mathematischen Kenntnisse Ihrer Tochter ist es mir wichtig gewesen, ihr durch meine Frage zu verstehen zu geben, dass sie ihre Leistungen in Mathematik nur verbessern kann, wenn sie jede ihr gestellte Übungsaufgabe ernst nimmt. Im Übrigen“, schloss P., „habe ich die verneinende Antwort Ihrer Tochter auf meine Frage sofort akzeptiert.“
„Wie wenig Sie damit“, erwiderte die Frau abwehrend, „den von ihnen vorher angerichteten Schaden wiedergutzumachen konnten, zeigt, dass meine Tochter wegen der durch Sie verursachten Magenprobleme heute nicht die Schule besuchen kann. Es liegt auf der Hand“, fuhr sie mit Nachdruck fort, „dass Sie aufgrund des zerstörten Vertrauens meiner Tochter in Sie nicht mehr ihr Nachhilfelehrer sein können. Das Geld, das ich Ihnen schulde“, ergänzte sie noch, „werde ich Ihnen morgen in einem Briefumschlag in Ihren Briefkasten werfen.
„Ich bedauere sehr“, setzte P. an, wurde jedoch von der Frau ungeduldig unterbrochen. „Ich bin auf dem Sprung zur Arbeit und möchte Ihnen deshalb nur noch eines sagen: Halten Sie bitte in Zukunft zu meiner Tochter und mir Abstand! Leben Sie wohl!“
Nachdem die Frau den Hörer wieder aufgelegt hatte, stand P. einen Augenblick lang still. In ihm wechselten sich Selbstzweifel und Wut auf das Mädchen und dessen Mutter ab. Schließlich ging er zu seinem Sofa, ließ sich auf ihm nieder und legte den Hörer darauf ab.
Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, schaute er zum Fenster hinaus. Die Baumkrone davor lag noch im Schatten. Trotz der frühen Stunde drang durch den Spalt des angekippten Fensters schon sommerlich warme Luft.
Als sich P.s innere Unruhe etwas zu legen begann, hörte er durch den Fensterspalt das anhaltende Geräusch eines niedrigtourig laufenden Motors. P. erhob sich, trat ans Fenster und sah sich in dem bestätigt, was er eben vermutet hatte. Schräg unter ihm saß der Freund seiner inzwischen ehemaligen Nachhilfeschülerin auf seiner Vespa, die er im Stand laufen ließ.
Da, plötzlich, erblickte P. das Mädchen. In verwaschene Jeans-Shorts und ein weißes T-Shirt gekleidet, hüpfte sie mit leuchtend weißen Sneakers und einer Art Campingbeutel auf dem Rücken ihrem Freund freudig entgegen. Nur wenig später brausten beide mit der Vespa davon.
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