"Nichts als Plage, nichts als Plage", seufzte sie in einem fort mit ihrem Fistelstimmchen. Wer wollte es ihr verdenken! Schließlich: neben ihrem Beruf hatte sie auch noch fünf Fledermauskinder großzuziehen, das war, weiß Gott, kein Pappenstiel!
Endlich waren die den Staatsgästen vorbehaltenen Turmzimmer sorgfältig eingestaubt, mit Spinnweb verziert und mit Efeuzweigen in Fülle als Hängemöglichkeit ausgestattet. Zwischen dem dunkelgrünen Laub würden die mächtigen Delegierten jedes Landstrichs ihre bedeutenden Häupter hervorragend kopfüber betten können. Ja, Violetta Ciobanu, die ehrsame Kastellanin der schwarzmodernden Burg konnte stolz auf ihr Werk sein!
Nahm eines Menschen Seele Notiz davon, was an den folgenden Tagen rund um den Ruinenfels geschah? Wie zu den Stunden, da die Sonne rotgolden auf- oder niederzugehen gedenkt, rauschende, dunkle Wolken auf das Gemäuer zuflogen, das sich im fahlen Abendlicht wie ein gestürzter Riese hinbuckelte? Wie sie es tanzend umschwirrten, dann in eleganten Schwüngen durch das gähnend-schwarze Haupttor fuhren, die zerborstene Wendeltreppe des Turms hinauf, artig geleitet von der Kastellanin, die den hohen Herrschaften die Unterkünfte zuwies und zur ersten Stärkung nach der oftmals langen Anreise Glühwürmchenpunsch und gut sättigende Kartoffelkäferpuffer reichen ließ?
In der Burgruine wurde es jedenfalls überaus lebendig, denn bis auch die letzten hochgeehrten Gäste angereist waren, vertrieb sich die sinistre Gesellschaft die Zeit mit Jagen, Tanzen und vielerlei Lustbarkeiten.
Violetta Ciobanus fünf Kinder konnten sich an all der kosmopolitischen Pracht, die sich da entfaltete, nicht satt sehen und mussten mehrfach unter Strafandrohung und Ohrwatschen zum Schlafen und zur Ordnung gerufen werden.
"Nichts als Plage, nichts als Plage", seufzte ihre vielbeschäftigte Mutter und grollte um so mehr und bitterer dem Verursacher all ihrer Mühsal: dem Menschen. Da sollte mal eines von diesem zweibeinigen Gelichter wagen, sich ihrer Burg zu nähern, wenn sie in gereizter Stimmung war! Na, das würde sich aber wundern, wie sie ihm die Haare zausen würde!
Der Turm war voll. Die Tage der fröhlichen Feiern waren vorüber, nun wurde ernsthaft konferiert. Im Folterkeller, der ausreichend groß, solide und mit Schandmasken, Ketten, Streckbänken und spanischen Stiefeln pittoresk geziert war, begann die Tagung. Der Vorsitzende des Kongresses saß auf der Eisernen Jungfrau und hielt die vielbeklatsche Begrüßungsrede.
"Hochverehrte Gäste - liebe Gäste darf ich sagen -, ich begrüße Sie auf das Allerherzlichste in diesen heiligen Hallen unserer Gemeinschaft, die einst geeint hat unser kühner, wunderbarer Fleder, Vlad, der Pfähler!" Die Fledermäuse klatschten respektvoll bei der Nennung dieses Namens aus längst vergangenen, doch historisch bedeutsamen Tagen.
"Damals, meine hochverehrten Freunde, herrschte noch Einklang zwischen den beiden Welten, in die sich unsere schöne Erde teilt: hominem mundo und mundus animalis. Die Natur war intakt. In Zufriedenheit lebten Mensch und Federmaus nebeneinander und es kam allenfalls in bedauerlichen Einzelfällen zu Battements zwischen den Spezien, die die Fledermäuse stets siegreich für sich entscheiden konnten." Angelegentliches Klatschen auf Seiten der Patrioten.
"Verkörpert fand sich diese lange Allianz von Mensch und Fledermaus symbolhaft und großartig, um nicht zu sagen: sagenhaft, mythisch, im Helden Vlad." Alle klatschten.
Der Vorsitzende senkte seine Stimme von heroisch-beschwingt zu bedauernd-nachdenklich: "Diese Zeiten sind vorüber. - - Vieles musste die Natur seither erdulden und wir mit ihr, die unsere Nährmutter ist. Wie wurde sie geplündert, misshandelt, vergewaltigt!" Ein empörtes Raunen ging durch den Saal.
"Ich muss es an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Es genügt zu sagen, dass wir mit unserem Jahreslauf nicht mehr übereinkommen, weil es viel zu warm und dann wieder viel zu stürmisch ist, dass wir immer öfter Hunger leiden und darben, da der Käferbestand drastisch zurückgeht!" - An dieser Stelle merkte die Kastellanin Violetta Ciobanu kurz auf, die dabei war, die Platten mit den Kanapees aus Spinnenbrust und Grillenaugäpfen zurechtzurücken. - "Nicht nur uns, nein, vielen anderen Tieren geht es ähnlich in der Not, den Pflanzen ebenso - ich komme gerade von einem Meeting aus Brasilien, wo mir eine Seemandel von zweiundzwanzigtausend täglich sinnlos hingemordeten Urwaldbäumen berichtete." Eine Welle der Empörung und des Mitleids ging durch die Folterkammer. Der Redner führte einige weitere Beispiele an, die wir aber alle schon kennen, und fand nach einigen, kunstvollen rhetorischen Schlenkern zum Schluss seiner Rede.
"Und doch, sage ich, und doch: Kühnheit! Kühnheit kann auch unsere Zeit ihr eigen nennen! In all dem tristen Schwarz des Unglücks und des Elends bleibt das Grün der Hoffnung. Kühnheit!"
Der Vorsitzende war selber sehr bewegt von diesem Wort und die Fledermäuse aller Nationen lauschen ergriffen.
"Es bedurfte einiger Mutiger unter uns, um den Menschen in seine Schranken zu weisen. Jenen Helden, die auf dem Schlachtfeld der Ehre blieben, ist es zu danken, dass der Mensch wieder mit angstvollem Respekt auf die Natur sieht, ihre uneingeschränkte Macht, ihre oft bestürmte, doch nie gebrochene Herrschaft erkennt und vor ihr erzittert, von der er sich so schmählich, verbrecherisch, verblendet seit Jahrhunderten abgewandt!" Allgemeiner bestätigender Beifall.
"Kühn war es, den Menschen in einem Himmelfahrtskommando mutierte Viren zuzuspielen, sodass eine Epidemie, ach, was sage ich, eine Pandemie den homo stultus auf seinen rechtmäßigen Platz zuunterst aller anderen Kreaturen verweist! Wie schon in der Bibel steht, dass der Mensch zuletzt erschaffen wurde, gleich dem Geschmeiß aus nichts als Dreck!" Aufbrausender Beifall.
"Kühnheit! Diese wollen wir heute feiern, nichts weniger. Sie zeichnet uns Fledermäuse vor allen anderen Tieren aus, sie leitete unsere Märtyrer, die sich, ihr Fleisch, hingaben, auf dass der Mensch es äße und daran erkanke. Ich sage stellvertretend für uns alle: habt Dank, ihr Helden der Kühnheit, habt Dank." Ergriffenes Murmeln.
"Ich bitte alle um eine Minute des stillen Gedenkens an unsere zerkochten und gegessenen Helden." Respektvolles Schweigen. Selbst die Kastellanin hielt einen Moment in gedankenschwerem Schweigen inne.
"Ich bitte nun die Vertreter unserer Helden zu mir auf die Jungfrau", ergriff der Vorsitzende nach gebührender Dauer erneut das Wort: "Wir möchten Ihnen stellvertretend für unsere gefallenen Märtyrer den höchsten Orden unserer Gemeinschaft verleihen, den Dracu-Orden am grünen Bande." Ein Raunen der Anerkennung ging durch die Reihen. Unter stürmischem Klatschen und Bravo-Rufen empfingen die Stellvertreter die Auszeichnungen.
"Bevor wir nun nach einer kurzen Pause, in der uns unsere brave Kastellanin..." Freundliches Klatschen. "... mit ihren berühmten Spinnenbrustkanapees erfrischt, in Arbeitsgemeinschaften unserer Aufgabe widmen, nämlich der Planung wie wir effektiv den Virus weiterverbreiten können, möchte ich die Verbrüderungsakten weiterer Tierarten vorlesen, die sich mit uns in unserem hehren Kampfe wider den Menschen vereinen wollen..." Hallo-Rufe und Beifall. "...und bitte, das in den entsprechenden Arbeitsvorgängen zu berücksichtigen: da sind vorrangig zu nennen die Nerze, die Achatschnecken und ... ja, die Schafe und das Hausschwein." Klatschen.
"Liebe Gäste, liebe Freunde", schließt der Vorsitzende: "Wenn Sie nun an ihre Arbeit gehen, seien Sie gründlich und vergessen Sie die Kühnheit nicht, die seit jeher uns Fledermäuse auf ihren starken Schwingen getragen hat und immer tragen wird. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!" Der Vorsitzende verbeugte sich unter Beifallsstürmen und empfing erste Glückwünsche.
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