1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Puhdys aus der Musikbox, klar, was sonst.
„Kleiner Planet“
Scheiße, das brachte mich jetzt wirklich fast zum Kotzen. Geht´s ein bisschen weniger pathetisch? Zum Glück hatte ich nur die letzten Takte zu ertragen.
Aber was dann kam, haute mich um. Klänge, die so gar nicht in diesen Schuppen passten. Verdammt rockig, richtig gut. Ich bin ehrlich kein Rock-Fan, aber das hatte etwas. Gutes Timing, gute Geschwindigkeit, guter Sound. Dreckig und einfach heraus, mit einer überraschenden Steigerung, wirklich gut.
Bis der Gesang begann.
Heiland, wieder die Puhdys. Wie hieß das Stück?
„Neue Helden!“
Jesus bewahre.
Da saß ich dann, auf einem harten Holzstuhl, zur letzten Instanz. Meine Arme verschränkt auf dem klebrigen, stinkenden Tisch vor mir und den Kopf darauf abgelegt. Ein volles Bier und ein voller Schnaps gleich neben mir. Unfähig, eines davon zu heben und zu trinken. Ich driftete weg.
Meine rechte Arschbacke schlief ein, so lange saß ich dort reglos, und als die Taubheit unerträglich wurde und langsam zu schmerzen begann und ich mich gerade dazu entschlossen hatte, mal mein Gewicht zu verlagern, da geschah es: mein Weihnachtswunder!
Ich hörte eine Stimme über mir, die sprach.
Eine weibliche Stimme, zart und weich, und sie sagte:
„Mein Gott, sind Sie das, Mulder? Ist ja widerlich!“
Ich war wirklich fest entschlossen, meinen Kopf unten zu halten und nicht zu schauen, wer mich da mit diesen treffenden Worten erkannte. Ich hegte, nicht unglücklich dabei, kurz den Gedanken, es sei vielleicht ein Engel, der da sprach, und der die Anweisung bekommen hatte, mich auf meinem letzten Weg zu begleiten, dem dann allerdings schlagartig klar wurde, dass er irgendwann, irgendwo, irgendwie einmal verdammten Mist gebaut haben musste.
Doch dann wurde, laut schlurfend, ein Stuhl von einem anderen Tisch an meinen herangezogen und zweifellos setzte sich jemand gleich mir gegenüber.
Ich schnellte hoch und war nicht weniger überrascht, als hätte der heilige Bimbam persönlich vor mir gesessen.
Eine Frau in den Fünfzigern.
Schwarzes, glattes, volles Haar.
Topgepflegt.
Weißer Teint, rote Lippen, perfekt geschminkt, streifte ihren Pelzmantel von den Schultern auf die Rückenlehne ihres Stuhles. Und unter dem Pelzmantel ein stilvoller schwarzer Blazer mit weißer Bluse darunter. Die oberen zwei Knöpfe geöffnet. Dazu passend einen kurzen schwarzen Rock. Sie sah aus, als wäre diese Garderobe für sie erfunden worden.
Ihr Haar war gewellt und offen auf den Schultern liegend.
Schwarze Nylonstrümpfe in schwarzen Hochhackigen.
Es kribbelte im Sack, und das kam nicht von der Arschbacke.
Hatte ich lange nicht mehr.
Sie war umwerfend.
Sie war ... beängstigend.
Nicht beängstigend schön, eher beängstigend beängstigend.
Es war in ihren Augen gewesen. Eine Kälte, die durch ihren ersten Blick huschte, als ich hochgeschnellt war und sie unvermittelt angesehen hatte, die aber sofort wieder verschwand, als sie sich gefasst hatte. Aber sie war da gewesen und ich hatte sie gesehen und sie hielt mich fest und aufmerksam, soweit mein Zustand das zuließ.
Ich kannte sie, mir wollte nur zum Verrecken nicht einfallen, woher.
Mann, ich war echt im Arsch.
Wenn du eine Sache als Bulle benötigst, dann ist es ein gutes Gedächtnis und ich verlor meines gerade.
Sie sprach: „Sie erinnern sich an mich?“
Ich konnte sie bloß anschauen.
Sie sprach wieder: „Mann, Sie sind wirklich kaputt.“
Sag ich ja!
„Ich habe Sie gesucht, schon eine ganze Weile. Ich war bei Ihnen zu Hause.“
Sie wusste, wo ich wohne?
„Da waren Sie nicht, zumindest nicht, wenn ich da war. Wann waren Sie das letzte Mal zu Hause, haben geduscht, etwas gegessen?“
Ich hatte verdammt noch mal keine Ahnung.
Gestern?
Heute Morgen?
Wie spät war es?
Ich schaute aus dem Fenster und sah Zwielicht. Es war Dezember, also noch recht früh am Abend.
Sie schnipste mit ihrem Mittelfinger und Daumen vor meiner Nase.
„Sind Sie hier, Mulder?“
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, und bekam langsam Panik.
Schlief ich?
Träumte ich?
Verdammt, wer war sie?
„Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?“, fuhr sie fort. „Ich suche Sie schon seit einer Weile. Ich war in jeder Spelunke zwischen hier und Köpenick, unfassbar, wie viele kaputte Leute es gibt, war das schon immer so? Kein Wunder, dass das Land vor die Hunde gegangen ist, und unglaublich, wie viele von den kaputten Typen sagen, dass sie Sie kennen.“
Sie sah mich an und wartete offensichtlich auf eine Reaktion von mir, nur auf welche? Hatte sie einen Scherz gemacht, den ich verpasst hatte?
„Okay“, fuhr sie fort, „mein Name ist Eva Schulte“, und sah mich an.
Ich begriff immer noch nicht.
Sie seufzte, offensichtlich genervt davon, dass es nicht gleich „klick“ bei mir gemacht hatte.
„Ich bin Max Schultes Mutter. Wir sind uns schon begegnet, drei-, viermal, auf der Polizeiwache, und Sie waren bei uns zu Hause, können Sie sich erinnern?“
Ich schwöre beim Jesuskindlein: Was dieser Satz in mir auslöste, hatte ich nie zuvor für möglich gehalten. Es war, als würde ein Männlein in meinem Hirn den Außenborder anschmeißen, dreimal dran gezogen, stotter, stotter, stotter und ich war da.
Selbstverständlich, Max Schultes Mutter.
Das war verdammt noch mal Max Schultes Mutter, die da vor mir saß.
Ich lächelte sie an, freute mich für einen Moment aufrichtig, sie zu sehen, ein Gesicht aus besseren Zeiten. Hob meinen Zeigefinger, deutete auf sie und krächzte: „Ja!“ Zu mehr war ich zunächst nicht fähig, meine Hirn-Sprech-Synapsen waren noch betäubt.
Sie lächelte und nickte im Takt zu meinem Finger, wie man es mit Bekloppten macht.
Sie hatte mich gesucht. Wie hatte sie mich gefunden? Und was zum Henker wollte sie von mir? Ich ließ meinen Finger sinken, und nuschelte; „Was zum Henker wollen Sie von mir?“
Ihr Lächeln verschwand und sie antwortete.
„Ich suche Sie jetzt seit fast zwei Wochen. In jeder Kneipe, in der ich war, gab es zwar immer mindestens einen kaputten Typen, der Sie zwar kannte, der mir aber maximal nur eine weitere Kneipe nennen konnte, in der ich Sie vielleicht finden würde. Die Kneipen wurden immer schäbiger und die Typen immer verschlossener. Also öffnete ich weitere Kanäle, um Sie zu finden, und lande schließlich hier.“ Sie schaute sich um, verzog leicht ihren Mund und den Ekel nahm ich ihr echt ab.
Ich erinnerte mich an den Polizisten, der mir gefolgt war. Ist er einer ihrer weiteren Kanäle? Wahrscheinlich.
Ich sagte: „Nur Typen, keine einzige Frau?“
„Was?“
„Es waren immer nur Typen, die mich kannten, keine einzige Frau?“
Sie verstand mich nicht.
„Das ist aber frustrierend“, sagte ich.
Der Wirt kam und fragte nach ihrem Wunsch. Sie bestellte Kaffee und er sah mich so an.
Ich zuckte mit den Schultern und wir beide wussten, zum Verrecken würde sie den nicht trinken.
Er ging.
Drei Augenzwinkern später war er wieder da mit dem Kaffee.
Konnte unmöglich für den Kaffee sprechen.
Sie fuhr fort und begann mir einen Vortrag darüber zu halten, was sich alles in unserem Leben nun ändern würde, da die Mauer gefallen war. Dass wir doch alle jetzt im selben Boot sitzen würden und auf irgendeine vollkommen schräge Art zusammenhalten müssten.
Ich verstand kein Wort.
Max Schultes Mutter saß vor mir und erzählte mir was vom Goldenen Kalb. Ich konnte ihr nicht folgen und in meinem Kopf drehte sich alles.
Was wollte diese Frau von mir, hier und jetzt?
Und sie redete immer weiter, bis ich endgültig ganz abschaltete. Weder wollte ich weiter zuhören, noch konnte ich.
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