Danksagung Danksagung Für: Jimi, Charlie und Nic „Your world is nothing more, than all the tiny things you`ve left behind.“ Jamie Cullum
Prolog
10. November 1989
Ben Mulder
Polizeipräsidium Keibelstraße
Oberst Karl Steinhoff
Wer das wohl war?
Max Schulte
Ein Telefonat
Eva Schulte
Gerechtigkeit ist Vergeltung
Der erste Morgen danach:
Brunnen der Fruchtbarkeit
Auf zu neuen Ufern
Schöne neue Welt
Doc
Alex
Die Akte
Polizeipräsidium Keibelstraße 2.0
Oderkahn
Gezeichnet: W.N.
Hildi
Nachbarschaftshilfe
Sarah Schuhmann
Mauerblümchen
Anarchie
Immanuelkirchstraße 11
Zweites Telefonat
Ich lebe.
Weltraumstrahlung
Irische Seele
Kalter Schweiß
Oliver Gold
Heinersdorf
Schnüffler
Bilanz ziehen
Eberbach
Richard Linden
Anna
Fährte
Otto
Motive
Café Europa
…
Verrat
Oberst Steinhoff
Entgegen dem Plan
Das schreckliche Ende
Impressum neobooks
Danksagung
Für:
Jimi, Charlie und Nic
„Your world is nothing more, than all the tiny things you`ve left behind.“
Jamie Cullum
Prolog
Re I vo I lu I ti I on: französisch révolution
Ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Er kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen.
Friedlich, das war sie.
Die wenigsten verliefen friedlich. Die meisten waren gewaltsam und brutal, und die Fundamente, auf denen sie erbaut wurden, waren Gruben voll von Leichen.
Unsere aber war friedlich.
Sie war laut.
Sie war ausdauernd.
Sie war klug und überwältigend.
Und hat nicht ein einziges Menschenleben gekostet.
Ich stand auf einem Auto, das jemand inmitten der Massen auf der Bornholmer Straße hatte stehen lassen, und sah die Menschenmengen auf das Nadelöhr Bornholmer Brücke zufließen wie Reisig in einem langsam fließenden Fluss auf einen quer gelegten Ast. Nach Schabowski war ich mit ein paar weiteren aus Metzer`s Eck hierhergekommen, um mich selbst zu überzeugen. Ich war knapp haltlos vom Alkohol und knapp klar von den Amfis, die ich intus hatte, um eine weitere Nacht durchzustehen. Es brachte mich in einen Zustand, in welchem mir die Realität schubweise entglitt und es mir unmöglich wurde, die Emotionalität des Moments aufzunehmen und zu speichern. Was ich fürchterlich bereute und mir wünschte, ich hätte zwei Tage früher noch einmal neu beginnen können. Dann wäre ich nüchtern und ausgeschlafen gekommen, um diesem einzigartigen geschichtlichen Ereignis die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. So aber fühlte ich mich äußerst mies und hatte das Gefühl, den Kampf meiner Brüder und Schwestern mit Füßen zu treten. Doch jetzt mal ernsthaft, wer hätte das vor zwei Tagen denn ahnen sollen?
So schwebte ich in einer Metaebene über dem Geschehen, beobachtete und registrierte.
Ich sah zu, wie die Masse sich langsam vor dem Schlagbaum nach hinten hin aufstaute. Wie sich aus anfänglichem Zögern Mut erhob. Wie aus diesem Mut, Frust und Wut über altgewohnte Starrköpfigkeit wuchs. Und doch blieb es weiter friedlich. Ein Wunder und Sieg der Menschlichkeit. Hunderte standen vor einer Handvoll. Nichts wäre leichter gewesen, als sich seiner Wut hinzugeben und sie zu überrennen. Was Leben gekostet hätte, hüben wie drüben, egal. Stattdessen wurde gesungen, skandiert und diskutiert, bis der Staudruck übermächtig wurde und der Durchbruch gelang. Die Massen kamen wieder in Bewegung. Zuerst nur langsam, einzeln flutschten sie durch die erste Spalte, die sich ergab. Und dann immer mehr und immer schneller, bis sich der Pfropfen schließlich ganz löste und die Bornholmer Straße sich mit einem langen, riesigen Schwall entleerte. Von drüben waren Gesang, Jubel und Böller zu hören, und ich stand mit offenem Mund auf dem Trabant und suchte die Szene zu fassen. Es gab nicht mehr viel, was mich sprachlos machen konnte, dieser Moment aber überwältigte mich sogar in meinem desolaten Zustand so sehr, dass sich ein riesiges Vakuum in mir ausbreitete. Bis jemand an meinem Hosenbein zupfte und zu mir sprach:
„Ist das Ihr Auto?“
Ich schaute runter und sah einen Mann in grauer Hose mit leichtem Schlag. Grünem Rollkragenpulli und braunem Mantel darüber. Er trug eine dicke Hornbrille, hatte lange Koteletten, einen Schnäuzer, schütteres Haar, welches er sich von links nach rechts über die Platte gekämmt hatte und sah mich herausfordernd von unten an.
„Wer will das wissen?“, fragte ich ihn.
„Kommen Sie sofort da runter.“
Ich tat wie mir geheißen. Rutschte dabei von einem Kotflügel ab und klatschte vor ihm auf die Straße. Rappelte mich wieder auf, spürte aber keinen Schmerz.
„Fahren Sie bitte weiter, Sie können hier nicht stehen bleiben.“
Ich sah mich um. Autos fuhren an mir vorbei und hupten, was mir bis dahin gar nicht aufgefallen war.
„Nun ja, würde ich ja gerne, ist aber nicht mein Auto und außerdem bin ich viel zu betrunken zum Fahren.“
„Nicht Ihr Auto, wie?“
„Nein, mein Herr.“
Er schaute an mir vorbei und betrachtete den Wagen.
„Sie haben das Dach verbeult und, wie mir scheint, auch die Motorhaube.“
Ich drehte mich um und sah prüfend auf das Dach.
„Glauben Sie? Sieht doch halb so wild aus.“
„Folgen Sie mir bitte!“
„Ach hören Sie schon auf“, erwiderte ich, „offensichtlich ist dem Besitzer der Wagen nicht so wichtig, sonst hätte er ihn ja nicht einfach so hier stehen lassen, und an solch einem Tag …“, ich zeigte in Richtung Brücke, „… wen interessieren da ein paar Beulen? Hier wird gerade Geschichte geschrieben und wir sind mittendrin. Davon können Sie Ihren Enkeln einmal erzählen. Genießen Sie das Spektakel.“
„Folgen Sie mir!“, wiederholte er.
Stattdessen zog ich meinen Ausweis und schwankte nach Hause.
10. November 1989
Heute wird es enden, dachte er. Nach so vielen Jahren wird es tatsächlich heute Nacht enden, so oder so.
Seine Hand entspannte sich für einen kurzen Moment und der Griff ums Messer löste sich leicht, doch nur um gleich danach umso fester wieder zuzupacken.
Er hielt sich das Messer eng an seine Brust gepresst.
Er musste seine Nähe spüren.
Er brauchte gerade ein wenig Halt.
Viel zu früh war er da gewesen und bereute dies nun.
Zweifel krochen in ihm hoch wie eine verdammte Schmarotzerranke an einem alten Baum.
So viel Zeit war vergangen, seit alles begonnen hatte. So viel Zeit, dass er schon fast gelernt hatte, damit zu leben. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell. Gestern war er noch einsam und unsichtbar eine Million Lichtjahre von seiner Vergangenheit entfernt, um sich nun, einen Tag und einen Anruf später, mitten in ihr wiederzufinden.
Und er war so aufgeregt gewesen, dass er es nicht abwarten konnte und zu früh gekommen war, was er jetzt bereute. Zu viel Zeit zum Nachdenken.
Alles hatte er damals aufgegeben und war weggerannt. Es gab nichts mehr, was er hätte tun können. In diesem Land war er nicht nur von dicken Mauern aus Beton und hohen Zäunen aus Stahl umgeben gewesen, sondern auch in einem undurchdringlichen Geflecht von Korruption und Vertuschung gefangen.
Deshalb war er fortgelaufen, sonst hätte es ihn seinen Verstand gekostet. Hatte alles, was er noch liebte, aufgegeben und war an einem neuen Ort in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Und er hatte überlebt. Getragen von der Hoffnung auf Vergeltung überlebte er die Jahre. Doch die Zeit heilt nun einmal die Wunden, und der Wunsch nach Rache verblasste allmählich unter einer stetig wachsenden Kruste aus Normalität.
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