1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Rollatoren gegen Einkaufswagen gegen Kinderwagen gegen Warenpaletten an strategisch perfekten Verstopfstellen. Elendig langsam schiebt und drängelt Jessica durch die Regalreihen. Ihr Magen beginnt zu knurren. Der Einkaufswagen füllt sich.
An der Kasse wuchtet sie zuerst Unmengen an Wein- und Wasserflaschen auf das Band, plus eine 5 Kilo schwere Eispackung. Danach das, was der knurrende Magen ihr diktiert hat. Der Scanner piept, piept, piept.
„Das macht 113 Euro und 74 Cent“, verkündet die Kassiererin.
Jessica reißt vor Schreck die Augen auf und ermahnt sich, dringend ihren Kontostand zu prüfen.
Zumindest streikt die Kreditkarte diesmal noch nicht.
„ Diese Schwüle, draußen kühlt es einfach nicht ab! Kann ich schnell bei dir duschen?“ Bea torkelt förmlich in den Flur und weiter zum Bad.
Es klingelt erneut.
„Das fängt ja gut an“, mäkelt Jessica und drückt auf den Türsummer.
Im Wohnzimmer liegt noch der halb fertige Ventilator auf dem Boden.
„Hast du Eis da? Am besten ein ganzes Glas voll“, quengelt Caro schon von der Treppe her.
„Mir dasselbe.“ Hintendrein schleppt sich Lina hoch.
„Habt ihr das Essen vergessen?“, fragt Jessica argwöhnisch.
„Macht Susan“, ruft Caro hinter der geöffneten Kühlschranktür.
„Und wo bleibt die?“
„Kommt später, sitzt auf dem Schoß ihres Profs nach.“
„Super von euch getaktet.“
„Ist dein Kühlschrank zur Plünderung freigegeben?“
„Krieg dich. Für das Weinreservoir habe ich meinen Dispo fast ans Limit getrieben. Das übrige Zeug muss bis nächsten Ersten reichen.“
„Banker beschleimen“, rät Caro prompt.
„Uäääh!“
„Oder so eine Budget-App auf dein Handy packen“, schlägt Lina vor.
Jessica tippt sich an die Stirn. „Bin ich Buchhalterin oder was?“
Die vier Mädels aalen sich, nachdem Lina unter dreiseitiger Aufsicht den Ventilator fertig montiert und angeschmissen hat, auf der ausgeklappten Schlafcouch. Jede presst ein Weizenbierglas, randvoll mit Wein on the rocks, an die Stirn.
„Dein Dad ist Gold wert. Mal eben so ein irres Luxusteil hier abwerfen“, meint Bea bewundernd.
„Nun mach schon an, die Kiste“, fordert Caro.
„Was wollt ihr sehen?“, fragt Jessica und legt eine Kunstpause ein. Verschmitzt fährt sie fort: „Vielleicht die neue Staffel von ‚Jessica Jones‘?“
Bea, Caro und Lina johlen um die Wette.
Gerade als Teil 1 endet, tanzt Susan an – ohne Essen. „Keine Panik!“ Sie schnippt auf ihr Smartphone und verkündet: „Der Typ von Lieferando karrt in schlappen acht Minuten an.“ Dann pfeffert sie ihren Rucksack in die Ecke, schmeißt sich mit auf die Couch und brüllt: „Drink her!“
Ohne eine Miene zu verziehen, drückt Bea ihr eine lauwarme Wasserflasche in die Hand.
„Willst du mich vergiften? Noch dazu, wo Lina bereits selig weinblau anläuft?“
„Hunger“, stöhnt Lina prompt. Mit Leidensmiene tätschelt sie ihren flauen Bauch.
Wie aufs Stichwort klingelt der Lieferservice.
Die Mädels hocken sich auf dem Fußboden um die „Tausenderlei Köstlichkeiten“ herum.
„Bea, mach mal ein Groufie. Aber das hippe Smartteil muss mit drauf“, verlangt Caro.
„Eine Extraschale mit Peperoni? Bei dieser Hitze?“ Lina, die eifrig sämtliche Schalen inspiziert hat, rümpft ihre Nase.
Susan streckt fordernd eine Hand danach aus. „Gib her, du Weichei.“
„Die schaffst du nie, jede Wette.“ Jessica sieht sie herausfordernd an.
„Für ein Date mit Sascha? Schlag ein.“
„Vergiss es.“
Plötzliche Totenstille mit acht hochgradig gespitzten Ohren.
„Was?“ Jessica guckt in die Runde.
„Dich hat es voll erwischt!“, schreit Bea.
Als wäre sie ein verknallter Teenager, schießt Jessica zu allem Überfluss das Blut ins Gesicht.
„Süüüß!“, necken ihre Freundinnen.
An Stelle einer Antwort schnappt sich Jessica die längste Peperoni, greift nach ihrem Smartphone und schießt ein Selfie, während ihre Zunge langsam an der Peperoni heruntergleitet.
„Uuuuh, du solltest Sascha schleunigst deine Schlafcouch vorführen“, säuselt Susan.
„Wollen wir die Filmkiste wieder anwerfen oder was?“, weicht Jessica grummelnd aus.
„Mach hin“, drängelt Lina.
Anderthalb Stunden später gähnt Caro: „Habt ihr noch Lust? Die ersten Staffeln waren um Meilen besser.“
Bea sieht von ihrem Handy auf. Lina schwankt mit der nächsten Weinflasche heran.
„Jetzt zeig mal, was deine Kiste wirklich draufhat“, fordert Susan.
„Und das wäre?“
„Youporn?“
„Oder Xhamster.“
„Abstimmen.“
Bea winkt ab. „Mehr Eis, ansonsten mir egal.“
Aufgekratzt haut Susan im Rhythmus auf die Matratze. „Youporn, Youporn, Youporn!“
Grölen, anfeuern, quieken, lästern und japsen bestreiten den Rest bis tief in die Nacht hinein.
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Comment: >#Sonnenbrand Das ist echt der dämlichste Commy, den ich jemals gelesen habe.<
11:13 >Totlangweilig…megagähn…Was geht ab? Caro<
13:36 ”Reiter/Emma”
Content: >Hallo, Jessica!< …details
15:08 >Welches Futter präzise, Süße? Susan<
15:21 ”Ruben/Theo“
Content: >Sehr geehrte Frau Jaensch!< …details
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Foto:
20:02 Facebook
>Jessis cooler Smart TV< show photo
20:08 Facebook
>Too hot today< show photo
00:27 Facebook
>Watching Youporn< show photo
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Wie, um alles in der Welt, soll sie nur diesen Tag im Büro kaputt kriegen? Jessica presst ihre Finger zum wiederholten Mal erfolglos gegen die hämmernden Schläfen. Auf dem Desktop wartet eine Schlange von weiteren vier monströsen Dateien. Sollte Mario mit seiner Durchstarte-Parole etwa kein bisschen übertrieben haben? „Hat jemand Aspirin?“ krächzt sie in den Raum.
Eine Packung klatscht als Wurfgeschoss auf ihre Tastatur.
„So wie du aussiehst, nimm gleich die volle Dröhnung“, knurrt Anna, die sich kurz umdreht.
Liegt das an Jessicas brennenden Augen oder sieht Anna mindestens so fertig aus wie sie selbst? „Gehaltserhöhung gefeiert?“, rät sie ins Blaue.
„Heftig.“
„Drei Stunden geschlafen.“
„Halbe Nacht gekotzt.“
Sie winken einander lahm zu.
Nachdem die Tabletten heruntergewürgt sind, verordnet sich Jessica: „An die Maloche.“ Das Dauerjingeln geht ihr ausnahmsweise gewaltig auf den Zeiger. Freiwillig verbannt sie das Smartphone tief in ihren Beutel. Die sexistischen Comments zu ihrem nächtlichen Peperoni-Selfie fraßen bereits an ihrem Restnerv, bevor sie überhaupt den Wochentag identifizieren konnte.
Jessica stiert wieder auf die verschwommenen Buchstaben der geöffneten Datei. „Tauchen Sie das Gerät, das Netzkabel oder den Netzstecker niemals in Wasser.“ Mal wieder für ganz Doofe! „Überprüfen Sie, dass die Anschlussspannung, bla, bla, bla. Scheiße, was habe ich übersetzt? Überlaufen Sie, dass die Haarspannung…“ Greinend verkündet sie: „Beerdigt mein Hirn möglichst getrennt vom Rest.“
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