Miriam probierte zögernd, rollte entzückt mit den Augen und ließ sich zu Steffis Zufriedenheit gleich noch das Rezept geben.
Kerstin nahm das angeregte Gespräch der beiden zum Anlass, nach den übrigen Gästen und ihrem Mann zu schauen. Martin unterhielt sich mit Karsten und Simone. Er stand am Grill und freute sich, als Kerstin von hinten die Arme um ihn schlang und ihm ein Bier in die Hand drückte.
»Na, alles gut?«
»Ja, danke. Brauchst du Hilfe?«
»Nein, passt schon. Georg hat eben die ganze Zeit hier gestanden, ich habe ihn gerade mal wieder abgelöst.«
Kerstin drückte Martin einen Kuss auf die Wange. Karsten kam ins Schwärmen: »Simone, schau dir das an, nach so vielen Jahren bringt sie ihm Bier und knutscht ihn sogar anschließend noch ab. Nimm dir mal ein Beispiel! Autsch!«
Simone hatte ihm wohl etwas zu hart in die Seite geknufft. Sie sagte zu Kerstin: »Männer. Gib ihnen Bier und Sex und sie sind glücklich.« Karsten und Martin protestierten einstimmig.
In dem Moment gesellte sich Kerstins Chef mit seiner Frau zu der Gruppe. »Dürften wir wohl noch zwei von diesen Spießen bekommen? Die sind wirklich lecker.«
Karsten und Simone streckten ihre Hände aus und stellten sich vor. »Wir kennen uns noch gar nicht. Simone und Karsten Engel. Unsere Kinder gehen in die gleiche Klasse. Also, unsere Tochter Marie und die Nele.«
»Ah, freut uns. Hans Grothe. Das ist meine Frau Birte. Wir haben allerdings keine Kinder. Obwohl, doch. Ich habe meine Agentur, das ist ja fast wie ein Kind – braucht genauso viel Aufmerksamkeit. Nicht wahr?«, zwinkerte er Kerstin zu und ergänzte: »Ich bin der Chef der reizenden Dame, der wir diesen wundervollen Nachmittag zu verdanken haben. Apropos: Danke für die Einladung, Kerstin. Aber da fällt mir noch etwas ein. Wir müssen uns nächste Woche unbedingt zusammensetzen wegen des neuen Auftrags. Das Zeitfenster ist wirklich knapp und ich weiß nicht, ob du das allein schaffst. Du hast dann ja auch Urlaub. Ich würde dir gerne jemanden beiseite stellen. Vielleicht die Jule?«
Kerstin schaute ihn irritiert an: »Äh, das schaffe ich schon. Aber lass uns tatsächlich nicht jetzt darüber diskutieren. Am Montag nach dem Meeting können wir das gerne besprechen.«
Hans Grothe wollte noch etwas hinzufügen, aber seine Frau stupste ihn an: »Mir ist heiß, Liebling, können wir uns nicht drinnen etwas hinsetzen? Da ist es kühler. Hat mich gefreut.«
»Möchten Sie noch etwas zu trinken haben, Frau Grothe?«, fragte Kerstin und ergänzte: »Einen eisgekühlten Hugo vielleicht? Ich kann Ihnen die Variante mit Sekt anbieten oder auch die ohne Alkohol, unseren ‚Kinder-Hugo‘. Total lecker. Die Minze ist aus unserem Garten und der Holunderblüten-Sirup stammt vom Hofladen am Ortseingang. Das ist ein echter Geheimtipp.«
Birte Grothe entschied sich für die alkoholfreie Variante und Kerstin machte sich auf den Weg, die Zutaten zusammenzusuchen. Sie musste dann gleich zwei große Karaffen ansetzen, so groß war die Nachfrage.
Es war kurz nach Mitternacht, als die letzten Gäste sich verabschiedeten. Kerstin und Martin waren vollkommen geschafft und froh, ins Bett zu kommen. Judith hatte sich schon eine Stunde vorher auf ihre Matratze in Neles Zimmer zurückgezogen.
»So unentspannt wirkte der Hans jetzt gar nicht«, sagte Martin, als sie endlich in ihrem Bett lagen.
»Was?«, entgegnete Kerstin aufgebracht. »Muss er unbedingt heute so eine Diskussion anfangen?«
»Aber er hat doch nur gesagt, dass er gerne nächste Woche mit dir reden möchte.«
»Martin!« Kerstin hatte sich aufgesetzt. »Er hat mir gesagt, dass er mir nicht zutraut, dass ich meine Arbeit ordentlich mache! Hast du das nicht mitbekommen?«
Martin war todmüde und hatte keine Lust, sich mit seiner Frau zu streiten, setzte aber dennoch zu einer Verteidigung an: »Ich habe mitbekommen, dass das Zeitfenster knapp ist, du hast bald drei Wochen Urlaub und Jule könnte dir bei dem Projekt helfen. Das heißt doch nicht, dass er dir das nicht zutraut.«
»Oh doch, das heißt es. Erst sagt er großzügig: ‚Ach, ich stell dir noch jemanden für das Projekt ab.‘ Wenn es dann gut läuft, war es Jules Verdienst und wenn es nicht gut läuft, bin ich schuld gewesen, egal ob Urlaub oder nicht. Das ist nicht das erste Mal, dass er das macht.«
Kerstin war nun wirklich aufgebracht. »Ich kenne den Kunden und ich kenne das Zeitfenster. Und ich kann sehr wohl in der vorgegebenen Zeit meine Arbeit schaffen.«
Martin hätte gerne noch entgegnet, dass es Kerstin vielleicht gar nicht schlecht tun würde, wenn sie etwas Unterstützung bekam. Vor allem, wenn sie in Ruhe in die Ferien fahren wollten. Ohne dass Kerstin ständig ihre E-Mails checkte. Aber für diese Diskussion hatte er nun wirklich keine Nerven mehr. Also bestätigte er seine Frau lieber und entschuldigte sich, dass er die Intentionen ihres Chefs missverstanden hätte.
Kerstin aber rollte sich zur Seite und schmollte. Einschlafen konnte sie jetzt nicht mehr. Zum einen, weil sie sich zu sehr in ihre Aufregung hineingesteigert hatte. Zum anderen, weil Martin trotz der Diskussion relativ zügig eingeschlafen war und nun schnarchte.
Hatte er recht? Bedeutete es gar nichts, wenn Hans ihr jemanden zur Seite stellen wollte? Oder war das ein Alarmsignal? Lag es daran, dass sie eine Frau war, dass sie sich ständig Gedanken machte, ob ihre Arbeit gut genug war? Hatte sie nicht genügend Selbstvertrauen? Diese und viele weitere Fragen waberten ihr durch den Kopf, bis sie zwei Stunden später endlich einschlief.
***
Am Sonntag stand Kerstin erst gegen Mittag auf. Sie hatte einen leichten Kater und war nicht unglücklich, dass Judith fitter war und am Morgen zusammen mit den Kindern schon ein wenig aufgeräumt hatte.
Als Kerstin nach unten in die Küche kam, brummte schon die Spülmaschine. Es roch nach Kaffee, frischen Brötchen und nach Spanien.
»Ach, Kerstin, da bist du ja endlich. Wir wollten schon einen Suchtrupp schicken«, lachte Judith und drückte ihr eine Tasse mit Kaffee in die Hand.
»Ihr seid die Besten. Danke, Schwesterherz«, stöhnte Kerstin. Dann blickte sie sich um: »Wo ist denn Martin?«
»Der ist Joggen gegangen.« Judith schaute auf die Uhr. »Er ist schon eine Stunde weg. Also kommt er sicherlich bald wieder. Gut drauf war er aber nicht. Habe ich gestern noch etwas verpasst?«
»Ach, ich war nicht besonders freundlich zu ihm. Hab mich über Hans Grothe geärgert und es an ihm ausgelassen. Dabei wollte er mich nur beruhigen.« Kerstin schaute bekümmert auf ihre Füße und wechselte dann das Thema: »Was riecht hier eigentlich so lecker?«
»Ich mache gerade ‚Albondigas‘. Ich hatte das Fleisch besorgt, aber gestern ganz vergessen, die Bällchen zu machen. Egal, es gab sowieso viel zu viel Essen. Der halbe Kühlschrank ist voll. Hungern werdet ihr nächste Woche nicht.«
Kerstin verdrehte entzückt die Augen. Judiths Hackfleisch-Bällchen waren fast wie ein Ausflug nach Spanien.
Leon und Luis kamen in die Küche getanzt und sangen: »Ich bin ein Fan von Fleischklößchen. Judith, wann gibt’s Essen, wir haben so’n Hunger!«
Hinter ihnen tauchte Martin auf. Kerstin drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Hallo, Schatz. Tut mir leid wegen gestern Abend. Ich wollte mich nicht so aufregen.«
»Passt schon, wir waren alle hundemüde und nicht mehr so ganz nüchtern. Schon vergessen. Fast.«
Martin lachte und gab seiner Frau einen Kuss. Die drückte sich kichernd weg: »Boah, Martin! Du bist pitschnass und stinkst nach Schweiß! Geh erst mal unter die Dusche!«
Martin machte eine Kehrtwende Richtung Badezimmer und rief zurück: »Jetzt sind wir quitt.«
Nach dem Mittagessen packte Judith ihre Sachen ins Auto und machte sich mit Luis, Leon und Nele auf den Weg nach Heidelberg. Die beiden jüngsten Mitglieder der Familie Frei wollten die kommende Woche bei ihrer Tante verbringen. Jonas hatte keine Lust, er blieb lieber zu Hause bei seinen Freunden, mit denen er sich fast täglich im Jugendhaus zum Skaten, Kickern und Chillen traf.
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