Mein Auszug ist um vier bis fünf Wochen aufgeschoben. Solange werde ich hier allein leben, mit meinem kranken Hund und ohne Dich. Ob Du in ein Hotel gezogen bist, bei Deiner Freundin nächtigst oder bei Deiner Ehefrau, interessiert mich nicht mehr.
Die Kisten, die ich für meinen Auszug schon gefüllt hatte, habe ich teilweise wieder ausgepackt, der Rest stapelt sich in meinem Schlafzimmer. Es lohnt sich nicht, die Sachen zurück in den Schrank zu räumen. Nur das Bett ist in der neuen Wohnung geblieben, aber das macht nichts, weil ich ohnehin weiter meine Matratze ins Wohnzimmer schleppe, um neben meinem Hund zu schlafen.
Außer meiner Lieblingssendung schaue ich abends nicht mal mehr fern, sondern hülle mich in meine Wolldecke und setze mich zur Abwechslung auf die Gartenbank, lausche den klaren, lauten Gesängen von Nachtigallen und Amseln, die von keinerlei Stadtgeräusch übertönt werden.
Nicht nur mein Hund ist krank – ich bin es auch. Ich bin so dünn geworden, dass jeder erschrickt, der mich lange nicht gesehen hat. Hin und wieder muss ich weinen, weil ich gescheitert bin.
Der Frühling ist in diesem Jahr viel zu trocken, die Temperaturen fast sommerlich. Schon jetzt im Mai muss der Garten jeden Abend gewässert werden. Das werde ich beibehalten, bis ich ausgezogen bin, denn ich möchte die Blumen, von denen viele gerade erst Knospen bilden, nicht vor meinen Augen verdorren sehen.
Die kaukasischen Vergissmeinnicht unter den Hortensien pflanzte ich erst letztes Jahr – sie haben riesige, schön gezeichnete Blätter, über denen die winzigen, hellblauen Blüten schweben. Im Gestrüpp unter der Zierkiefer gehen zum ersten Mal die Maiglöckchen auf, und ich bücke mich oft, um daran zu schnuppern. Ein dunkelglitzernder Star hüpft über den Rasen und piekt seinen Schnabel ins Gras. Eine Flotte Kindersegelboote schwappt vorbei, sie sehen aus wie ein Schwarm weißer Schmetterlinge. Das Motorboot des Trainers folgt ihnen.
Der Postbote taucht hinter der Hecke auf, blinzelt mir zu und reicht die Briefe über das Tor. Wir kennen uns lange genug, um manchmal gar nichts mehr zu sagen, dann winken wir einander nur zu. Von Dir weiß er nur den Namen, der auf den Briefumschlägen steht.
Mein Hund muss furchtbare Schmerzen haben. Manchmal nehme ich mir ein Kissen und lege mich hinter sie auf ihr Bett, so dass wir beide in gleicher Augenhöhe über Rasen, Uferkante und das Wasser schauen, sie meinen Herzschlag spürt und ich ihren warmen, glatten Rücken. „Kontaktliegen“, heißt das in der Tierpsychologiefachsprache.
Dass Dein Raum da oben leer ist, macht nichts, im Gegenteil. Ich gieße Deine beiden Orchideen, mein Blick streift im Vorbeigehen über geschäftliche Schreiben, die Du nie wegsortierst. Auf dem Dielenboden bilden sich Staubmäuse, aber ich sehe nicht, weshalb ich für Dich noch den Staubsauger hochschleppen soll. Der Haushalt fährt auf Sparflamme, nur die Hecken habe ich geschnitten, die werden sonst zu hoch.
Wer soll das machen, wenn ich nicht mehr hier bin? Wer wird Unkraut jäten, im Frühjahr den Hortensien die vertrockneten Blütenköpfe abschneiden? Wer wird den Efeu im Zaum halten, den Giersch zurückdrängen, wer düngen, gießen, verstaubte Spinnweben unter dem Dach wegfegen, die Regenabflussrohre reinigen? Du eher nicht, denn Du zertrittst blicklos frisch gepflanzte Stauden und gräbst ohne Rückfrage einen teuren Zwergahorn aus, um ihn dann mit nacktem Wurzelballen bei dreißig Grad in der Sonne vertrocknen zu lassen.
Ich gebe zu, dass es mir eine gewisse Genugtuung bereitet, mir vorzustellen, wie Du Dich von Fast Food ernähren wirst und um Dich herum das Chaos immer größer werden wird. Es wird ein paar Wochen dauern, bis Du es bemerken wirst. Dann wird kein Kaffee mehr da sein, kein Waschmittel. Dann wirst Du Dein Fertigpesto nicht mehr finden und schon gar nicht das amerikanische Müsli, das ich Dir regelmäßig gebacken habe. Dann werden die Kalkflecken im Bad gelb und die Fensterscheiben trübe. Ameisen werden bis in die Küchenoberschränke vorgedrungen sein. Aber diese Genugtuung wiegt nur wenige Gramm gegenüber der Tatsache, dass ich geglaubt habe, dass dieses Haus meine Heimat für immer sein würde.
Seit Du weg bist, mache ich tatsächlich nichts, sitze nur da, behüte meinen Hund, schaue hinaus und rieche die Blütenluft. Wenn Wind aufkommt, segeln tausend rosa Blättchen von dem Zierapfelbaum zwei Grundstücke weiter. Der weite Blick nach vorn ist immer gleich, aber vor meinem inneren Auge zieht unsere Geschichte vorbei. Wie aus einer späten Liebe so ein heilloses Desaster werden konnte, zeichnet sich darin ab. Ich mag mich nicht mehr gern daran erinnern, weil alles von heute aus gesehen einen bitteren Beigeschmack hat.
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