1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Auch die historische Initiierung einer Afrodeutschen Frauenbewegung, die sich später in Form der Initiative ADEFRA e. V. – Schwarze Frauen in Deutschland institutionalisiert hat und mit dem Aufenthalt der Afroamerikanischen Poetin und feministischen Theoretikerin Audre Lorde an die FU Berlin ihren Anfang fand, war ein entscheidender Schritt in Richtung eigener Community-Strukturen, die über die die Schwarze Community hinaus von ebenfalls großer Bedeutung war. Lorde war Mitte der 1980er Jahre als Gastprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien eingeladen, wo sie selbst explizit eine Einladung an Schwarze deutsche Frauen aussprach, an ihrem Seminar teilzunehmen. Bis dahin waren Afrodeutsche Frauen, so die Historikerin Katharina Oguntoye, als Schwarze weibliche Subjekte in Deutschland isoliert. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen und -interessen, sei es als Schwarze Deutsche oder Afrikanisch-Deutsche oder Amerikanisch-Deutsche, beriefen sie sich nicht auf eine gemeinsame Identität als Schwarze deutsche Frauen. 14 Die im Anschluss gegründete Bewegung ADEFRA verfolgte das selbstdefinierte Ziel, Räume für eine kollektive Auseinandersetzung mit Schwarzen Lebensrealitäten in Deutschland im Allgemeinen und mit den Existenzweisen Schwarzer Frauen in Deutschland im Spezifischen zu erschaffen. ADEFRA war angetrieben von Visionen einer Community, die einen Ort einer kollektiven Auseinandersetzung, der Wissensund Gesellschaftskritik und einer zugewandten, solidarischen Teilhabe für Afrodeutsche Frauen ermöglichte. Mit Methoden wie Theaterworkshops, Körperarbeit, kreativem Schreiben und Biografiearbeit wurden Grundlagen einer gemeinsamen Wissensgenerierung und -produktion durch eigene Selbst- und Lebensverhältnisse geschaffen. Damit deckten sie Themen auf, die in der offiziellen Geschichtsschreibung selten, und, wenn überhaupt, vorwiegend in den Fußnoten vorkommen.
Der marginalisierende Umgang mit Themen, in denen Schwarze Menschen als gesellschaftliche Handlungssubjekte zentrale Akteur:innen sind, führt zu einer Unsichtbarmachung ihrer gesellschaftlichen Beiträge. Diese Form der normalisierten, systematischen Nicht-Wahrnehmung bezeichnet die Afroamerikanische feministische Theoretikerin Patricia Hill Collins als »suppression«, ein vorsätzliches Vernachlässigen von Wissensbeständen und Wissensformen: 15 »Black Women (intellectuals) create Black Feminist Thought by using their own concrete experiences as situated knowers in order to express a Black Women’s standpoint.« 16 ADEFRA machte sich dies in der Aufarbeitung ihrer eigenen – Afrodeutschen – Geschichte zu eigen. Die Verzahnung von persönlichen Erinnerungen Afrodeutscher Zeitzeuginnen mehrerer Generationen sowie Gedichte, Interviews und Erfahrungsfragmente verknüpfen sich zu einer kollektiven Geschichte und leiten eine Schwarze feministische deutsche Geschichtsschreibung ein. Damit werden grundsätzliche Fragen über den impliziten wie expliziten Voraussetzungsreichtum von Historiografie aufgeworfen: Wie kann eine verdrängte und unsichtbar gemachte Geschichte ausgegraben und erzählbar gemacht werden? Aus wessen Perspektiven und Deutungen wird diese dann historisiert und innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung kontextualisiert?
In dieser Tradition sind sowohl künstlerische als auch interventionistische Auseinandersetzungen einzuordnen. Sie sind Gegendiskurse zu hegemonialen Diskursen, die die koloniale Binarität (des Eigenen und Fremden) durch ein Hinterfragen aufbrechen und einen Diskurs der Selbstrepräsentation überhaupt erst ermöglichen. Nikita Dhawan und Maria Do Mar Castro Varela verweisen darauf, dass poststrukturalistische Ansätze das Feld der Repräsentation in Frage gestellt haben. Dies bedeute jedoch nicht, dass Repräsentation nicht möglich sei, sondern dass Repräsentationen als konstruiert und machbar verstanden werden müssen. 17
4.Nachdenken über Formen der Interventionen
Eine wichtige Intervention gegen die hegemonialen Narrative von Schwarzsein ereignete sich bei der Premiere des Stücks Kampf des Negers und der Hunde 18 von Bernard-Marie Koltès an der Berliner Volksbühne im Jahre 2003. Die Volksbühne unter der Leitung von Frank Castorf hatte sich entschieden, das N-Wort in ausgeschriebener Form als Banner vor dem Theater aufzuhängen. Diese Form der Bewerbung des Theaterstückes sorgte bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) sowie anderer solidarischer Künstler:innen und Aktivist:innen für Protest. Die ISD forderte, das N-Wort durch die Selbstbezeichnung Schwarz zu ersetzen. 19 Die Forderung zielte auf eine Brechung oder zumindest Unterbrechung des kolonialen, da erniedrigenden und damit auch ent-menschlichenden Prozesses, der sich in dieser sprachlichen Terminologie versteckt. Stattdessen entgegnete der damalige Intendant Frank Castorf, dass das Ausschreiben des N-Wortes eine bewusste Provokation sei, die entsprechend offensiv sein müsse. 20 Die Frage, an wen sich die Provokation richte und wem gegenüber tatsächlich durch die Reproduktion des kolonial-rassistischen Blicks Gewalt ausgeübt werde, wurde dabei erst gar nicht gestellt. Die Kritik an diesem (strategischen) blinden Fleck haben die Protestierenden am Abend der Premiere vor der Berliner Volksbühne mit Transparenten kundgetan, auf denen der Schriftzug »Der unbeirrte Kampf des weißen Europäers mit sich selbst« zu lesen war. 21 Während dieser erste Protest gegen den Gebrauch rassistischer (und kolonialer) Mittel (hier: Sprache) im deutschen Theater vor den Toren des Theaters stattfand, wurde in den folgenden Protesten ein Schritt weitergegangen.
Die nächste wichtige Intervention fand daher im Theater, konkret im Zuschauerraum statt. Ausgelöst durch die Ankündigung einer Inszenierung von I am not Rappaport des Schlossparktheaters Berlin im Jahre 2012, in der die Plakate einen weißen Schauspieler in Blackface zeigten, hatte sich in den sozialen Medien ein großer Protest geformt, der dann zur Gründung von Bühnenwatch führte. Bühnenwatch, die sich in der Selbstdarstellung als eine Gruppe von Schwarzen, weißen Künstler:innen und Aktivist:innen of Color verstanden, haben unterschiedliche Interventionen vorgenommen. Die wohl bekannteste Intervention von Bühnenwatch fand im Deutschen Theater Berlin während einer Aufführung von Dea Lohers Unschuld statt. In Unschuld wird ein soziales Biotop inszeniert, eine kleine Stadtgesellschaft am Rande eines Meeres, in dem eines Tages zwei Schwarze Menschen (im Text als »illegale schwarze Immigranten« bezeichnet) auftauchen und diese vor Fragen nach Schuld und Verantwortung stellen. Bereits im Theatertext ist eine auf koloniale Hierarchisierung basierende Beschreibung angelegt – die Schwarzen Figuren werden auf von außen projizierte Zuschreibungen (»illegal« und »Immigrant«) reduziert. In der Inszenierung von Michael Thalheimer treten zwei weiße Schauspieler in Blackface auf, deren Schminke im Verlauf der zwei Stunden abgeht und die Bühne verfärbt. 22 Joy Kristin Kalu hat in ihrem Aufsatz »On the Myth of Authentic Representation: Blackface as Reenactment« dafür argumentiert, dass Blackface als theatrale Darstellungsform durchaus eine wirksame und sozialkritische Praktik darstellen kann. Allerdings war Blackface nicht die einzige stereotype Darstellungsform, die in der Inszenierung gewählt wurde. Kalu beschreibt dies folgendermaßen:
However, what shocked, offended and deeply upset me as a spectator is the so far barely discussed fact that Peter Moltzen, playing the immigrant Fadoul, repeatedly slips into the posture, movements and mimicry of a monkey, imitating its sounds along with it. The recourse to this cliche, which goes back to eighteenth century quasi-scientific, craniometric studies proclaiming that black people were genetically closer to monkeys than white people and which enjoyed great popularity during National Socialism, astonished me. To invoke this cliche as a theatrical means for characterizing a character can only be interpreted as the degradation of that character, which furthermore is not at all motivated by the content of the play or the context of the production. 23
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