Der Autor
Heiner Bartelt (geb. 1955) studierte, nach einer Ausbildung zum Heilerziehungshelfer, Lehramt für Sonderschulen und Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt »Geistige Behinderung« an der Universität Dortmund. Danach war er zunächst 10 Jahre als Fachberater für Teams in einer Wohneinrichtung für 200 Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung im Münsterland tätig und leitete diese Einrichtung später 15 Jahre. In den folgenden 13 Jahren verantwortete er als Bereichsleiter die Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung bei einem Träger im Ruhrgebiet. Seit Mitte der 80er Jahre ist er zudem als Referent, Fortbildner und Supervisor in der Behindertenhilfe tätig.
Heiner Bartelt
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039512-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039513-8
epub: ISBN 978-3-17-039514-5
Dieses Buch will Lust auf die professionelle Begleitung von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf machen. Es will ermutigen, sich diesen Menschen und ihren Verhaltensweisen, die manchmal »schwer auszuhalten« sind, zuzuwenden und ihnen ein Beziehungsangebot zu machen, das vorbehaltlos gilt, unabhängig von sogenannten »Entwicklungsfortschritten« oder Krisen.
Dieses Buch möchte ein Plädoyer für die Stärkung von Demut (Mall 2003) gegenüber Menschen sein, die unsere professionelle Begleitung und Unterstützung in fast allen ihren Lebensbereichen benötigen und gleichzeitig oft hartnäckig an ihren erlernten Verhaltensmustern festhalten. Ich spreche von Menschen mit einer geistigen Behinderung und stereotypen Bewältigungsmustern, die sich häufig fremdaggressiv oder selbstverletzend äußern. Ich spreche von Menschen, deren besonderer Begleitungsbedarf eine Teilhabe und Partizipation erschwert und sie so aus dem Blickfeld der Inklusionsdiskussion geraten lässt. Diese Gruppe von Menschen ist und war nicht gemeint, wenn es in der bisherigen und aktuellen (heil-)pädagogischen Diskussion um Teilhabe und Partizipation ging bzw. geht.
Während in den zurückliegenden Jahren immer mehr Menschen mit einer Intelligenzminderung selbstbestimmte Wohnangebote, Arbeits- und Lernfelder nutzen, ihre Interessen und Forderungen selbst vertreten, Publikationen in leichter Sprache Selbstverständlichkeit werden, wächst gleichzeitig die Zahl der ausgrenzenden Betreuungsangebote und damit scheinbar auch die Zahl von Menschen, die nicht inklusionsfähig erscheinen.
Die Menschen, um die es mir in diesem Buch geht und die ich, soweit dies annähernd möglich ist, auch selbst zu Wort kommen lassen möchte – in den vorgestellten Lebensgeschichten und Interviews –, verbindet, dass sie alle auf eine »haltende Umwelt«* angewiesen sind. Dabei ist es manchmal bereits schwer, das erlebte Verhalten als »Suche nach Halt« zu erkennen. Noch schwieriger ist es, ein haltgebendes Angebot machen zu können und dabei gleichzeitig die Autonomie der*des Betroffene*n zu achten.
Das hört sich sehr herausfordernd an und ist es spannenderweise auch. Aber es ist möglich und manchmal vor allem sehr befreiend, nicht nur für die*den betroffenen Menschen, sondern auch für mich als professionelle*n Begleiter*in.
Der Weg dahin gelingt nicht über einen neuen therapeutischen Ansatz oder eine (heil-)pädagogische Methode. Sondern vielmehr über die Entwicklung einer Haltung der »Demut«, mit der ich meinem Gegenüber begegne, in dem ich mir Zeit nehme, innehalte, hinhöre, ohne bereits Antworten zu kennen. Haim Omer (2007) schreibt: »… es gibt keinen privilegierten Einblick in die Erfahrungswelt eines Anderen.« Es ist hilfreich, sich diese Wahrheit immer wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen, gerade wenn man viele Jahre Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit Intelligenzminderung und herausfordernden Verhaltensweisen hat. Es gibt mir die Chance, meine Wahrnehmung immer wieder zu erweitern und Gewissheiten gegenüber eine »heilpädagogische Skepsis« (Häussler) zu behalten, die mir ein offenes Hinhören und Hinschauen ermöglicht. Meinem Gegenüber gibt es die Möglichkeit, sich nicht gleich wieder im Korsett von Diagnosen, Zuschreibungen und Reduzierungen auf ihre*seine Störungen zu erleben. Daraus kann sich eine gute Grundlage für tatsächliche Begegnungen entwickeln, nicht immer, aber immer wieder.
Versuch einer Positionierung
Ich blicke auf etwas mehr als 40 Jahre der Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung und herausfordernden Verhaltensweisen zurück. Ich habe mich in dieser Zeit stets als »theoriegeleiteten Praktiker« erlebt, der in dieser Zeit viele Projekte mit der Hilfe engagierter Mitarbeiter*innen umsetzen und sie hinsichtlich ihrer heilenden Wirksamkeit durch die (non-)verbalen Rückmeldungen der begleiteten Menschen überprüfen konnte.
Der Weg in all den Jahren war alles andere als direkt, es gab Sackgassen und Vollsperrungen, unnötige Umwege und Umleitungen, die wieder am Ausgangsort endeten. Was ich aber als ganz großen Gewinn und dankbare Erfahrung aus der Begleitung vieler Menschen mitgenommen habe, sind vor allem diese beiden Erkenntnisse:
Die Orientierung an der leitenden Frage »Was braucht mein Gegenüber«?
»Was braucht sie/er ?« ist gewissermaßen das Ergebnis aus der unterstützungsorientierten Frage nach dem »Was kann sie/er nicht?«, dem ressourcenorientierten »Was kann sie/er?« und drittens der in der aktuellen Teilhabediskussion scheinbar leitenden Frage nach dem bedürfnisorientierten »Was möchte sie/er?«. Die aus dieser vierten Frage entstehende Haltung nach dem »Brauchen« nutzt (wichtige) diagnostische Erkenntnisse an Unterstützungsbedarf und Ressourcen gewissermaßen als Basis, um die Wahrnehmung teilhabebestimmter Bedürfnisse zu ermöglichen. Die Antwort auf die Frage nach dem »Brauchen« ist das Angebot einer »haltgebenden Pädagogik«, deren Handeln sinnstiftend ist.
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