Sie war bereits fünfunddreißig Jahre alt gewesen, als sie zu ihrer eigenen großen Überraschung und dem Entsetzten ihres Gemahls festgestellt hatte, wieder schwanger zu sein…sieben lange Jahre nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes Glaoda.
Ambrosius Arzhur hatte an jenem Tag seine Herzogin angefleht, das Kind abzustoßen, denn er erinnerte sich immer noch voller Grauen an jenen anderen Tag, an dem sein jüngster Sohn auf die Welt gekommen war…genauso, wie Aodrén selbst sich natürlich daran erinnerte. Glaoda hatte Maeliennyd damals beinahe umgebracht. Doch die Herzogin war aus irgendeinem undurchschaubaren Grund ungewöhnlich stur geblieben und hatte dickschädelig darauf beharrt, entgegen alle Vernunft dieses Kind auszutragen.
Während der Geburt ihres jüngsten Sohnes, als die Schmerzen der Herzogin kein Ende genommen hatten, hatte Ambrosius Arzhur seine gepeinigte Gemahlin gar für eine kurze Zeit aus ihrem Körper geholt. Aodrén nahm an, dass sie damals gemeinsam einen Augenblick lang voller Entsetzen auf Maeliennyds geschundene Hülle hinuntergeblickt haben mussten, denn sie hatte ihrem Gemahl ein paar Tage später, als sie sich wieder etwas besser gefühlt hatte, hoch und heilig geschworen, niemals mehr ein solches Risiko auf sich zu nehmen. Cornouailles hatte zwei gesunde Söhne. Die Zukunft und das Überleben des kleinen Landes waren gesichert.
„Ich habe alles vergessen, Aodrén“, sagte die Herzogin von Cornouailles fast entschuldigend und mit leiser Stimme, „ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern. Und nein…ich bedauere es nicht“, fügte sie ein wenig lauter und sehr bestimmt hinzu, „ ich bin froh, nicht auf Dich gehört zu haben.“
Aodrén blickte sie verwundert an. Die Art und Weise, wie sie diese letzten Worte ausgesprochen hatte, hatten ihn ein wenig erschreckt. Er erinnerte sich noch sehr gut: Er hatte damals drei endlos lange Tage und drei grauenvolle Nächte an ihrer Seite verbracht; Ihr ganzer Körper hatte im Fieber geglüht. Keiner seiner Heiltränke hatte dieses Kindbettfieber zu Anfang senken können. Sein ganzes Wissen, seine ganze Kunst und die Erfahrung von Jahrzehnten schienen nutzlos. Und dann hatte die Gluthitze abwechselnden Hitze-und Kälteschauern Platz gemacht, die Aodrén vorgekommen waren, wie Wochen, Jahre, Jahrhunderte. Er konnte heute nicht einmal mehr sagen, wer damals vor sieben Jahren wirklich den Sieg über den Tod davongetragen hatte…er und seine Heilkunst und seine Zauber oder ihr walisischer Dickschädel und die legendäre Sturheit, die Maeliennyd Glyn Dwyr von ihrem Vater König Owain geerbt hatte. Vielleicht war es ja auch unwichtig.
Er schluckte kurz und trocken. In den Augen der Herzogin von Cornouailles bemerkte er eine unnachgiebige Härte und eine trotzige, geradezu kindische Entschlossenheit, die ihm furchtbare Angst einjagte. „Herzogin“, versuchte er sie zur Vernunft zu bringen, doch sie schnitt ihm barsch das Wort ab.
„Nein, Aodrén. Ich bereue es wirklich nicht und außerdem vertraue ich darauf, dass Du auch dieses Mal wieder alles tun wirst, was in Deiner Macht steht, um das Kleine gesund und sicher auf die Welt zu bringen“, sagte sie bestimmt. Ihre schlanke, feingliedrige Hand löste sich von dem Ast, an dem sie Halt gesucht hatte und legte sich in einer Geste tiefer Vertrautheit und großer Zuneigung auf die bärtige Wange des alten Mannes. „Es ist der Wille der höheren Mächte. Sie haben mir dieses letzte Kind geschenkt“, dann erhob sie sich schwerfällig und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen zurück in Richtung der Festung von Carnöet.
V
Ich erinnere mich ganz genau“, antwortete Ambrosius von Cornouailles seinem Freund trocken. Die dunklen Augen des Herzogs blickten in eine weit entfernt zurückliegende Vergangenheit, während er mit seinem Bericht fortfuhr.
„Alles hat sich damals einfach in Luft aufgelöst: die königliche Kommission wurde über Nacht entlassen, de Cramoisi wurde hinausgelobt und mit einem Sack Gold und einem Landsitz irgendwo in der Nähe von Aulnay abgefunden. Sein Sekretär verschwand in die Provinz, wo er sich im Handumdrehen eine gutbetuchte Witwe und einen Titel erschleichen konnte. Flamel erklärte alle seine großzügigen Stiftungen ohne Probleme. Sein Weib hatte von ihrem Vater, dem Zunftmeister der Buchbinder, ein ansehnliches Vermögen geerbt, das sie sehr gewinnbringend angelegt hatten. Schließlich hatten sie die Buchbinderei verkauft und damit noch einmal einen guten Gewinn erwirtschaftet. Er selbst verdiente mit seinem Skriptorium auch nicht schlecht und der Gehalt, den das Collegium Sorbonianum ihm auszahlte war beachtlich. Soweit ich mich erinnere hat niemand jemals dieses berüchtigte Grimoarium zu Gesicht bekommen….nicht Aodrén und nicht Dein Großvater, die beide wochenlang ihre Nasen an den Butzenglasscheiben des Skriptoriums plattgedrückt hatten, ja nicht einmal de Cramoisi, obwohl dieser mehrfach Flamels Haus und sein Skriptorium von oben bis unten durchsuchen hatte lassen.“
„Ich habe das Grimoarium gesehen“, sagte Guy de Chaulliac und in seiner Stimme schwangen Triumph und auch ein klein bisschen Selbstgefälligkeit. „Und nicht nur das, Ambrosius. Meister Nicolas Flamel hat mir die ganze Geschichte erzählt: Wie er das Grimoarium in die Finger bekam, seine Suche nach dem Sinn der Handschrift, seine Forschungen und schließlich seinen Erfolg. Alles, von Anfang bis Ende…ohne jeden Zwang, einfach so…vor einem warmen Herdfeuer, bei einem guten Glas Rotwein. Mein Freund, es ist in der Tat die Übersetzung, die Bernard de Clairvaux für Hugues de Payns angefertigt hat und die damals gestohlen wurde…ich bin mir ganz sicher…es ist die Übersetzung der Handschrift des Abraham Eleazar.“
„Die Bude war ein Kuriosum“, wiederholte Chaulliac die Worte von Nicolas Flamel, „Auf dem Pont-de-Change halten eigentlich nur die Goldschmiede und die Geldwechsler ihre Geschäfte. Doch der Alte, der dem Notarius damals für den reinen Metallpreis der Messingbeschläge das Manuskript verkaufte, schien ein Pfandleiher, dem es irgendwie gelungen war, sein schmieriges Gewerbe unbemerkt von den königlichen Aufsehern und den Zunftherren auf die Brücke zu schmuggeln. Die Handschrift war einfach achtlos in einen Korb voll alter Metallteile geschmissen worden. Die Beschläge, die den Einband verschlossen hielten, waren völlig verkanntet und ließen sich nur noch mit Gewalt öffnen.“
„Das ist unglaublich“, erwiderte Ambrosius leicht schockiert. „Offensichtlich hat der Mann, den der Großmeister beauftragte, die Templer-Dokumente sicher ins Ausland zu bringen, die Übersetzung doch wieder nach Frankreich zurückgebracht. Aodrén hegte diesen Verdacht ja schon von Anfang an. Ich kann Dir nicht sagen warum, aber er misstraute Diniz von Portugal. Der König schien ihm in dieser ganzen sonderbaren Intrige irgendwie zu hilfsbereit und zu uneigennützig. Ich für meinen Teil würde den Mann, der dafür gesorgt hat, dass das Manuskript unterschlagen wurde allerdings eher im engsten Umfeld der Vertrauten von de Molay selbst suchen. Vielleicht war es ja Sinclair, der Schotte. Er brachte damals nicht nur die Hälfte der Kriegsflotte des Ordens in Sicherheit, sondern auch den größten Teil ihres Schatzes: das Silbers und das Gold, das sie kaum eine Woche bevor Phillipe, de Molay und de Charnay festnehmen ließ übers Meer geschickt haben. Sinclair ist hinterher niemals wieder irgendwo in der bekannten Welt aufgetaucht. Mein Großvater hat sogar Spione nach Schottland geschickt, als Robert the Bruce allen Templern, die es wünschten ohne irgendwelche Bedingungen an sie zu stellen Zuflucht in seinem Reich gewährte.“
„Wenn ich mich richtig erinnere, dann war es doch genau diese portugiesische Hypothese gewesen, um deren Willen sich mein Großvater und Aodrén damals zerstritten hatten. Und auch mein Vater glaubte nicht daran und der Streit, den Aodrén vom Zaun gebrochen hatte, ging mit ihm ohne Unterlass munter weiter“, sagte Chaulliac lakonisch, „ denn sowohl mein Vater, als auch mein Großvater vertraten die Auffassung, dass es der Vertrauensmann von Jacques de Molay selbst gewesen war, der die Übersetzung des Abraham-Manuskriptes entwendet hat. Aodrén jedoch, tat ihn nur als einen unwichtigen Handlanger ab, unwissend und dumm; ein paar breiter Schultern und ein scharfes Schwert, weiter nichts. Ein Kriegshund, den de Molay zur Bewachung seiner Unterlagen abkommandiert hatte. Doch dieser Mann alleine hatte jede Gelegenheit, die Truhe unbeobachtet zu öffnen und das Manuskript zu entnehmen. Lediglich de Molays Testament hat versiegelt in der Kiste gelegen; alle anderen Dokumente wurden Villanova in gebundener Form übergeben, mit soliden Umschlägen aus Leder und genauen Inhaltsverzeichnissen. Der Kerl ging kein besonders großes Risiko ein, nur weil er den Inhalt von de Molays Testament nicht kannte. Er muss im Auftrag einer Splittergruppe im Inneren des Templerordens selbst gehandelt haben. Er stammte aus Okzitanien, aus dem Pays d'Oc...so viel ist sicher, auch wenn niemand je herausfand, wie er wirklich hieß oder zu welcher Familie er gehörte hat. Wir haben aber stichhaltige Beweise dafür gefunden, dass diese Splittergruppe der Templer nicht nur real existiert hat, sondern ebenfalls einen Plan vorbereitete, sich ganz Südfrankreichs zu bemächtigen und es zu einem unabhängigen Reich zu erheben, genauso, wie die Ritter des Deutschen Ordens es im Osten getan hatten, oder die Hospitaler auf der Insel Rhodos. Der Templerorden ist in den Jahren gleich nach seiner Gründung in den Provinzen von der Garonne bis an die Rhone schnell gewachsen und er war gründlich von Parteigängern der Reinen und von Credentes unterwandert worden…bis ganz nach oben in die höchsten Ämter und Würden…Männer aus den Familien Tranceval, de Montreal, Foix, Blanchefort, Verwandte der Grafen von Toulouse…’
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