„Unter Arets Verantwortung starben zwei meiner Krieger. Außerdem brachte er ohne meine Erlaubnis einen Fremden in die Festung. Seine Strafe dafür sollen fünf Hiebe mit der Peitsche sein.“
Zwei Wachen traten hinter den Vorhängen auf den Balkon, flankierten Aret und führten ihn weg. Milia konnte nur einen kurzen Blick auf sein ausdrucksloses Gesicht erhaschen. Die Bewohner waren wieder unruhig geworden, doch der Schah brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Milia verstand nicht, was hier vor sich ging.
„Der Sklave Ebo wird bei uns bleiben, seine Wunden werden versorgt werden. In zehn Tagen wird er seine Fähigkeiten im Kampf unter Beweis stellen. Danach entscheide ich, ob er in der Festung bleiben darf oder nicht.“ Der Schah streckte seine Hand nach Milia aus. Reflexartig legte sie ihre hinein. „Das hier ist Aimilia aus Atlantis, Tochter des Periandros. Sie ist mein Gast und lebt mit meiner Familie im Palast.“ Der Schah nickte Milia freundlich zu, doch sie konnte sich nicht bewegen. Das war alles zu viel für sie und ihr blieb keine Zeit, die unzähligen Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen.
Die Menge wurde unruhig. Milia sah unter dem Balkon einen freien Platz, auf den nun Aret geführt wurde. Ruhig nahm er erst seinen nachtblauen Schleier ab, dann den Umhang und übergab beides einem der Wachen. Schließlich zog er auch sein Hemd aus, legte es auf den Boden und ging zu einer Säule, die am Rande des Platzes stand. An ihr waren steinerne Griffe befestigt. Auf zwei davon legte Aret seine Hände und blieb regungslos stehen. Einer der Wachen ging nun auf ihn zu, er hatte eine Peitsche in der Hand. Milia wusste nicht, woher er sie hatte. Ein leises Wimmern drang an ihre Ohren und sie glaubte, die alte Frau zu sehen, die Aret so tränenreich begrüßt hatte.
Milia hätte am liebsten weggesehen, doch seltsamerweise konnte sie ihren Blick nicht von Arets nacktem Oberkörper abwenden. Es schien ihr fast, als wären darauf alte, bereits verheilte Narben zu sehen. Sie waren ihr vorher nie aufgefallen. Die Wache mit der Peitsche stellte sich hinter ihn und holte aus.
Das Geräusch fuhr Milia durch alle Knochen.
Die Wache rief laut ein Wort. Milia vermutete, dass er zählte.
Dann schlug er erneut zu. Aret gab keinen Laut von sich, sondern hielt sich nur mit aller Kraft an der Steinsäule fest. Seine Arme zitterten vor Anspannung. In Fetzen hing seine Haut von seinem Rücken, zwei blutrote Striemen kamen dazwischen zum Vorschein.
Nach dem dritten Schlag löste sich Milia aus ihrer Starre und wandte sich ab. Die Wache zählte weiter.
Ein weiterer Schlag.
Die Bewohner waren ganz ruhig.
Milia schossen Tränen in die Augen. Auch wenn Aret sie entführt hatte, sie durch die Wüste geschleppt und respektlos mit ihr umgegangen war, sie verstand diese Strafe nicht. Er konnte nichts für den Tod der Anderen. Und hätte er Faras Wunsch ignorieren sollen? Es war ungerecht!
Der fünfte Peitschenhieb.
Unsicher drehte Milia sich wieder zu dem Platz. Aret war auf die Knie gesunken, sein Rücken schien nur noch aus Hautfetzen zu bestehen. Milia wurde schlecht bei seinem Anblick. Die Wache blickte erwartungsvoll hinauf zum Schah, der ruhig nickte, sich umdrehte und zurück in den Palast ging. Die anderen folgten ihm, Milia wurde von Atif sanft hinein geleitet. Das Letzte was sie sah, waren mehrere Menschen, die auf Aret zuliefen, um ihm aufzuhelfen. Danach verschwand die Szene hinter den leichten Vorhängen.
Der große Raum fühlte sich für Milia schrecklich kalt an. Der Schah sagte ein paar kurze Worte zu einer Wache, danach wollte diese Ebo wegführen. Ohne nachzudenken, rief Milia erschrocken: „Wo bringt ihr ihn hin?“ Sie hatte diese Frage wohl etwas zu heftig hervorgebracht, denn alle Anwesenden blickten sie einige Zeit schweigend und stirnrunzelnd an.
„Zu einem Arzt“, antwortete schließlich der Schah ruhig. „Er ist sehr schwach.“ Dann schickte er mit einer Handbewegung die Wache mit Ebo hinaus. Noch während Milia auf die mittlerweile geschlossene Tür blickte, wandte sich der Schah direkt an sie.
„Werte Aimilia, Ihr seid sicher erschöpft von Eurer Reise. Rhani wird Euch in Euer Zimmer führen. Dort könnt Ihr Euch waschen und umziehen. Wir werden heute Abend mit meiner Familie speisen.“
Sanft wurde Milia von Rhani Richtung Tür geführt. Unfähig zu antworten, ließ sie es geschehen.
Es dauerte einige Zeit, bis in der eilig herbeigetragenen Wanne genug Wasser war, um darin zu baden. Rhani bekam dabei Unterstützung von einigen anderen Sklavinnen. Milia hatte währenddessen auf dem Bett gesessen und ihr offenbar neues Zimmer begutachtet. Es war nicht sonderlich groß, doch war alles darin, was man brauchte: eine schlichte Kommode aus hellem Holz, ein Spiegel, einige Truhen, auf deren Deckeln teilweise bunte Kissen platziert waren, um sie auch als Sitzgelegenheit zu nutzen. Ein kunstvoller Wandschirm aus Holz und rot eingefärbten Stoffbahnen. Und natürlich das Bett auf dem sie saß, drapiert mit Kissen in verschiedenen Größen sowie einer zarten und einer gröberen, dickeren Decke.
Sie schaffte es nicht wirklich, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder sah sie Aret vor sich, an der Steinsäule gestützt mit zerfetztem Rücken. Ohne einen Schmerzenslaut hatte er die Peitschenhiebe über sich ergehen lassen.
Rhani berührte Milia sanft am Arm. Offenbar war das Bad fertig, auch wenn in der Wanne nicht annähernd genug Wasser war, damit sie darin hätte versinken können. Dennoch stand sie auf und ließ sich ohne Widerstand entkleiden. Ihr Gewand war vom Sand der Wüste grau und steif geworden. Vorsichtig stieg sie in die Wanne. Das Wasser war lediglich lauwarm, doch Milia fehlte die Kraft, um die Sklaven zu Recht zu weisen. Routiniert begannen sie, ihr den Sand vom Körper zu waschen und ihr Haar zu entwirren. Immer wieder gossen sie dabei frisches Wasser aus Eimern über sie. Ihr Badewasser färbte sich braun vor lauter Sand.
Als Milia aus der Wanne stieg und abgetrocknet wurde, musterte Rhani sie streng und sagte dann ein paar Worte zu einem jungen Mädchen, das danach verschwand. Sie begann dann, die Form von Milias Augenbrauen mit einer Pinzette zu zupfen, während eine andere Sklavin ihr Haar mit wohlriechenden Ölen pflegte. Nach einiger Zeit kam das Mädchen zurück, in ihrer Hand ein Behälter mit einer dampfenden Substanz. Rhani nahm es ihr ab und bedeutete Milia, sich auf das Bett zu legen, nachdem sie die Decken zur Seite geschlagen hatte.
„Das ist Halawa“, erklärte sie. „Heißer Zucker. Gegen die Haare.“ Damit deutete sie auf Milias Achseln, ihre Beine und ihre Scham.
Erschrocken fuhr sie zurück.
Doch Rhani sah sie unbeeindruckt an. „Keine Angst. Ich bin vorsichtig.“
Der Schah hatte einen Peplos bereit legen lassen, falls Milia in ihr bekannter Kleidung zum Abendessen erscheinen wollte. Die Sklavinnen jedoch wusste nicht, wie man ihn anlegte, weswegen er wenig elegant wirkte. Dennoch genoss Milia das vertraute Gefühl des schweren Stoffes auf ihrer Haut. Als sie allerding ihr Zimmer in Begleitung von Rhani verließ, schlug ihr eine Welle aus Hitze entgegen, sodass ihr das lange Kleid bald am Rücken zu kleben begann.
Das Abendessen wurde in dem großen Raum eingenommen, in den Milia früher am Tag geführt worden war. Der Schah saß nun jedoch nicht auf dem reich verzierten Thron, sondern am Kopf des großen Tisches. Auf dem Boden lagen lauter Kissen, um gemütlich sitzen zu können. Bei ihm saßen noch andere Personen, von denen Milia nur Atif, seinen Sohn, erkannte. Alle trugen weite Obergewänder und bauschige Hosen. Um die Hüften hatten einige Gürtel geschlungen. Sie trugen aber ihre Schleier nicht mehr derart Streng vor ihrem Gesicht, sodass er öfter zur Seite rutschte. Milia fühlte sich mit ihrem Peplos zwischen ihnen äußerst unwohl. Der Stoff war zu warm, engte sie ein und drückte.
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