„Hey, wie war die Arbeit?“ gab ich ihm einen Kuss auf die von Schmieröl befleckte Wange und flüsterte ihm sehnsüchtig ins Ohr, worauf er nur angetan lachte und mich fest umarmte „Nicht so schön, wie dich im Arm zu halten!“ „Wie ich sehe, hast du wieder mit Kat geschrieben, was?“ schmunzelte er, als er den aufgeklappten Laptop sah, was mir eine leichte Röte auf die Wangen huschen ließ. „Em, ja, aber nur ganz kurz!“ musste ich zugeben, dann flitzte ich in die Küche und holte schon einmal Brot aus dem Schrank. „Was möchtest du eigentlich dazu essen?“, fragte ich liebevoll, worauf sein Blick mir verriet, dass er zwar Hunger hatte, aber nicht auf das Brot, welches ich in einen Korb gelebt hatte. „Du musst was essen!“ hob ich die Augenbrauen und musterte ihn genau, was ich schon länger nicht mehr getan hatte. Er war wirklich sehr dünn, fast schon erschreckend dürr, was mir eine Blässe ins Gesicht schlug. „Hattet ihr in der Werkstatt viel Stress?“ versuchte ich mich eher selbst abzulenken, doch Peter schlenderte an mir lächelnd vorbei ins Bad, um sich Hände und Gesicht zu waschen. „Warum weichst du mir aus?“, fragte ich ihn besorgt im Türrahmen stehend, worauf er sich, nachdem er sein Gesicht abgetrocknet hatte, zu mir herumdrehte und seine blauen Augen, unter den dunklen Wimpern liebevoll ansahen. „Ich weiche dir nicht aus!“, lachte er gespielt lässig, doch etwas an ihm verriet mir, dass ihm etwas Angst machte. „Was ist denn los Peter?“ verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an, doch sein Blick wich dem meinen. „Ich bin nur müde, das ist alles!“, log er und das, ohne rot zu werden, was mich fast zur Verzweiflung trieb. „Jetzt sag mir, was los ist?“ ging ich auf ihn zu, nahm seine Hände in meine und versuchte ihm in die Augen zu blicken, doch er wich meinem Blick immer und immer wieder aus, was mir Angst machte. „Ich war gleich nach der Arbeit beim Arzt!“, schluckte er schwer, als wollte er aufsteigende Tränen unterdrücken, doch als er mich dann ansah, bahnten sie sich ihren Weg über seine blassen Wangen. „Ich wollte es nicht glauben, doch wenn ich dich jetzt so sehe, wird es mir nur umso bewusster, dass ich dir nicht das geben kann, was du so sehr willst!“ Unsicher, geschockt und hilflos ließ ich seine Hände los, wich von ihm zurück und traute meinen Ohren kaum. „Wie meinst du das?“, bebten meine Lippen, bei dem Versuch diese Worte kraftvoll herüberzubringen, doch es endete in einem unsicheren Stottern. „Wir haben doch versucht ein Baby zu bekommen, aber dann …“, konnte er nicht weiter sprechen, da es ihn noch immer zu sehr mitnahm, dass wir zwei Monate zuvor unser Baby in der elften Schwangerschaftswoche verloren hatten, ebenso mir und alte Wunden rissen zum erneuten Mal auf. „Warum sagst du das jetzt? Ich verstehe dich nicht?“, stand ich den Tränen nahe, schüttelte ungläubig meinen Kopf und wich einen erneuten Schritt zurück. „Bitte Susanna, ich habe Angst dich zu verlieren!“, streckte er seine Hand nach mir aus, berührte mich fast an der Wange, doch verstand ich noch immer nicht, was er von mir wollte, oder nicht wollte. „Peter, was war beim Arzt?“, schrie ich ihn fast schon an, worauf er schluckte und schluchzte. „Ich kann dir keine gesunden Kinder schenken!“ Eine Welt brach für mich zusammen. Ich schien alles zu haben. Ich hatte einen wunderbaren und liebevollen Mann, einen gut bezahlten Job, eine neue Wohnung und dann diese Hiobsbotschaft, das mein größter Wunsch eine Familie mit dem Mann zu gründen, den ich liebte, sich nie erfüllen würde, riss mir den Wind aus den Segeln und spürte, wie ich auf dem Boden der Tatsachen aufprallte. Der Schock saß mir noch Stunden, nachdem Peter mir diese Beichte abgelegt hatte tief in den Knochen, riss mir etwas von meinem Lebenstraum hinfort. Oh Gott, ich liebte diesen Mann über alles, so sehr dass ich nie auf die Ratschläge anderer gehört hatte, dass ich ihn nicht heiraten sollte, sondern jemand anderen finden sollte, der mir mehr bieten konnte. Einerseits wünschte ich mir nichts mehr, als dass ich auf sie gehört hätte, doch kannte ich Peters gute Seiten genau so gut wie seine schlechten und ich habe die letzten Jahre mit ihm so viel durchgestanden, dass ich mir vornahm, mit ihm diese schwere Bürde auch zu bewältigen, egal wie.
Peter war bereits ins Bett gegangen, da er am nächsten Morgen sehr früh raus musste, um ein Kundenfahrzeug noch vor neun Uhr morgens an seinen Kunden ausliefern zu können. Doch ich konnte nicht schlafen, bei dem Gedanken daran dass ich wohl nie das Gefühl erfahren würde ein kleines Bündel über neun Monate in mir groß werden zu spüren und dann seine rosigen Wangen zu streicheln, wenn es zur Welt gekommen ist. Ein verzweifeltes Schluchzen entfuhr meinen Lippen, zu tief saß dieser bittere Schmerz, der mich um eine wunderbare Erfahrung mehr brachte. „Beruhige dich Sanna, du hast es sonst auch immer geschafft allem und jedem zu trotzen, dann schaffst du das doch mit links!“, ermahnte ich mich selbst, bis ich mich wieder an Ville erinnerte und daran, dass ich ihn gefunden haben könnte. Der Gedanke daran übermannte schnell meine düsteren Gedanken und füllte mich mit Euphorie, dass ich den Internetprovider öffnete und auf Twitter Zugriff, um Helsinki1976 anzuschreiben. Doch während sich das Fenster aufbaute, verließ mich mein Mut und in meinen Gedanken herrschen Unsicherheit und Angst. Ich hatte Angst, dass wenn es Ville sein sollte, er mich hassen würde, dafür, dass ich ihn gefunden hatte. „Was mache ich jetzt?“ saß ich vor meinem Laptop und starrte den Bildschirm unentschlossen an, überlegte was Katharina an meiner Stelle tun würde. Sie würde ihn einfach anschreiben, verdammt noch mal und nicht nur da sitzen und darüber nach zu grübeln, was wäre wenn. Noch lange saß ich nur da und starrte den Bildschirm unsicher an, bis ich mich dazu entschied, etwas ganz Einfaches zu schreiben wie „Hi, wie geht’s dir“ in einem mehr oder weniger unsicheren Englisch, in der Hoffnung er würde antworten, dann drückte ich auf senden. Es hätte keinen Sinn ergeben zu warten und zu hoffen, da es bereits nach elf Uhr abends war, und fuhr den Laptop herunter, ehe dass ich auch zu Bett ging, nur mit einem Gedanken im Kopf „Würde er mich mögen?“
Nach einer langen von Albträumen gequälten Nacht, war es wie ein Segen als die Morgensonne durch das gekippte Bogenfenster in unserer Altbauwohnung schien und die sanfte Wärme der Sonnenstrahlen, gepaart mit der frühsommerlichen Luft, welche eine seichte Note von weißem Flieder mit sich trug, mich aus dem Schlaf holte. Es fühlte sich an wie ein willkommener Segen, als würde ein Geliebter seine Arme sanft um mich legen und mir zu verstehen geben, dass jede Nacht, egal wie schrecklich und grausam sie ist, einen wunderschönen Morgen hat. Noch müde und halb schlafend, schlenderte ich ins Bad, schaltete die kleine Heizung an und fing an mir die Zähne zu putzen, während meine Gedanken bereits wieder abschweiften. Wieder musste ich an ihn denken, an Ville Lenjo, an dessen charismatisches und süchtig machendes Lächeln. Ich war wie besessen von diesem Mann, doch wie viele waren es noch? Es waren viel zu viele, da war ich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein in der Liste der Frauen, die ihm hinterher schmachteten, ein Nichts, ein Niemand. Wehmütig schnaufend zog ich die Zahnbürste aus meinem Mundwinkel und spuckte den nach Minze schmeckenden Schaum heraus, ehe dass ich meinen anderweitigen allmorgendlichen Bedürfnissen nachging, angefangen beim Gang zur Toilette und endend bei einem frisch aufgebrühten Kaffee mit einem Schuss Milch und drei Würfeln Zucker. Während ich an meinem Kaffee nippte, stand ich am Fenster und blickte auf die Straße hinaus, auf der einige Passanten rasch hin und her eilten um ihren Zug oder Bus noch rechtzeitig zu erwischen. Eine junge Frau trug ihr kleines Baby auf dem Arm, während dieses vergnügt mit ihrem Schlüssel spielte. Dieser Anblick war es, der mir nur wieder vor Augen tat, dass ich dieses Glück mit Peter wohl nie erfahren würde, jedenfalls nicht gemeinsam, das stand so fest wie das Amen in der Kirche.
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