Werner Koschan - Déjà vu eines Versagers
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›Von wem redest du? Wer ist Schicki?‹
›Na, der Kerl soll doch mal Schickelhuber geheißen haben oder so. Das Mistvieh mit dem Bärtchen, der Hitlinger! Meine Güte, bist du schwer von Begriff!‹
› Der hätte besser frühzeitig ins Gras gebissen!‹
›Ausgezeichnete Idee. Was dann wohl gewesen wäre?‹
Ich zwinkerte Holger zu. ›Keine Ahnung, was dann gewesen wäre. Aber wenn meine Oma einen Pimmel gehabt hätte, wäre sie mein Opa gewesen. Das hat mein Zahnarzt mal gesagt.‹
Holger lehnte sich mit tränenden Augen an einen Stromkasten am Bürgersteig.
›Ich habe schon die drolligsten Zitate von den sonderbarsten Leuten gehört, aber dass jemand seinen Zahnarzt zitiert, ist der Gipfel der Krönung.‹«
6.
Im Wäscheschrank hatte ich die Luftmatratze gefunden.
»Na endlich, da ist sie. Müssen wir aufpumpen. Wo mag nur die Luftpumpe sein?«
Die Fußpumpe blieb unauffindbar, also pusteten wir die Luftmatratze mit dem Mund auf. Mir wurde ganz schnell schwindelig. Sonja hatte mehr Puste.
»Jetzt könnte ich ein Bier vertragen.«
»Ich mag keine Bier trinkenden Männer.«
»Ist auch keines da.«
Die Kühlschranktür schloss ich heftig. Völlig vergessen, dass das Ding absolut leer war. Wovon hätte ich denn einkaufen sollen? Ich hatte das Geld für die Schuhe doch vorhin erst beim Amt abgeholt. Und davon war das meiste bereits weg.
»Zu trinken habe ich nichts mehr da und auch nichts zu futtern. Und die paar Fritten von vorhin reichen mir heute nicht. Nur Nudeln habe ich noch da.«
»Nudeln sind prima.«
»Danke«, winkte ich ab. »Seit anderthalb Wochen habe ich nichts anderes mehr gehabt. Die stehen mir bis hier. Wir müssen erst was einkaufen. Das heißt, wenn dir eine weitere Runde Treppensteigen nichts ausmacht. Sonst kannst du hier bleiben.«
»Nein, danke, ich bleibe nicht gern allein in einer fremden Wohnung, das gibt nur Missverständnisse.«
»Ich muss erst zum Großmarkt und etwas Vorschuss holen. Von der Stütze für die Schuhe ist kaum was übrig. Ich hoffe, dass deine Pillen wirklich etwas taugen, sonst wäre es schade um das schöne Geld, Sonja.«
Sie atmete ganz sanft mit gespitztem Mund aus. »Worauf du dich verlassen kannst. Wie viel Knete hast du?«
»Bloß einen Zwanni. Das reicht nur für zwei Flaschen Rotwein und ein paar Kleinigkeiten dazu.«
»Lass mal stecken, Achim, das kriegen wir schon hin.«
Im Supermarkt schob ich den Einkaufswagen. Ein Netz Äpfel legte Sonja hinein.
»Mit einer Scheibe Brot würde mir das durchaus als Abendessen genügen«, bekannte sie.
»Spinnst du? Ich habe Hunger. Ich möchte ein Steak haben und ein paar Flaschen Bier dazu. Ach so, gut. Dann eben kein Bier. Gegen Rotwein hast du nichts, oder?«
»Nein, aber weshalb Steaks? Okay, okay, dann wenigstens viel Salat dazu. Ich esse für mein Leben gerne Salat. Du auch?«
»Klar. Salat ist doch das Wichtigste an jedem Essen«, sagte ich vollmundig. Wann hatte ich zum letzten Mal welchen gegessen? In diesem Jahr keinen. Salat! Bin ich ein Kaninchen?
Sonja suchte einen Salatkopf aus und legte ihn zu den Äpfeln in den Wagen. Ebenso eine gelbe Paprika, ein Bund Radieschen und eine Schale brauner Champignons.
»Hast du was zu Hause, um eine Soße anzurühren?«
»Mayonnaise«, erwiderte ich.
»Pfui Teufel, Achim. Ich meine Olivenöl oder Sahne.«
»Nein, vergiss es, das wäre viel zu teuer. Ich habe bloß den Zwanni. Die Stütze ist erst am Montag auf dem Konto. Kennst du Kollberg? Nein? Ist ein Geldsack, der hat mich mal gefragt, was wohl am schwersten zu tragen ist. Weißt du was?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, nun sag schon.«
»Ha ha, ein leerer Geldbeutel. Hm, findest du nicht lustig? Okay, weißt du denn, was einen Armen von einem Reichen unterscheidet? Stammt auch von Kollberg.«
»Nein, weiß ich nicht. Der Typ scheint dich ja sehr beeindruckt zu haben.«
»Ja, kann man so sagen, an dem bin ich nämlich gescheitert. Ach, vergiss es.«
»Und was unterscheidet die nun? Meine Zeit, bist du vergesslich, die Armen und die Reichen meine ich.«
»Ach so, nur der Arme glaubt, dass man für Geld alles kaufen kann. Und ich bin ein Armer, deswegen können wir hier nicht alles einkaufen, was wir wollen. Tut mir leid, Sonja.«
»Ich bin keine Schnorrerzicke, Achim. Nur sehr vorsichtig, wenn ich mit einem Mann zu ihm nach Hause gehe. Ich bin oft genug von Männern gezwungen worden – das ist nicht weiter schlimm. Aber wenn mir einer zusätzlich mein Geld abnimmt, das ist übel. Ich habe keinerlei Skrupel, einem geilen Sack hinterher sein Geld zu klauen, schließlich hat er ja wohl seinen Spaß gehabt. Wie es mir geht, danach fragt kaum einer – höchstens, ob er gut war, so ein Scheiß. Wenn du mir versprichst, mich nicht zu zwingen, können wir uns für ein paar Tage zusammenschmeißen. Einen Zwanni habe ich auch noch.«
Sonja suchte zwei Zitronen aus, prüfte verschiedene Flaschen Olivenöl und entschied sich dann für eine kleine Flasche, die so teuer war wie eine Familienflasche Rotwein. Während ich den Kopf darüber schüttelte, dachte ich plötzlich an Holger. Bei ihm hatte ich früher recht oft Salat gegessen. Er hatte Soßen aus Eiern, Dijonsenf und Olivenöl zubereitet. Komisch, grübelte ich, habe ich schon sehr lange nicht mehr gemacht und völlig vergessen. Vielleicht, weil ich so viel von Holger erzählte, fiel mir einiges wieder ein.
»Salat zuzubereiten«, hatte Holger doziert, »ist eine besondere Kunst. Ob eine Salatsoße mit Sahne, Joghurt oder Olivenöl gebaut wird, ist Geschmacksache. Nehmen wir Eier, Dijonsenf, Zucker, Salz und Sonnenblumen und Kürbiskerne, das wird eine prima Soße. Und etwas Putenbrust. Und Butter.«
Ich hörte seine Worte förmlich und gab sie nun an Sonja weiter.
»Kürbiskerne in die Soße? Die sind recht teuer. Du musst ja nicht gleich übertreiben.«
»Ich übertreibe gar nicht, Sonja. Es macht mir unheimlich viel Spaß, mit dir die verschiedenen Dinge auszuwählen und zu prüfen. Ich habe in den letzten Monaten immer nur das gekauft, worauf ich gerade Appetit hatte. Hauptsächlich Pommes und Pizza. Was ich gerade über Salat gesagt habe, ist nicht auf meinem Mist gewachsen, das stammt von Holger Lenz. Ich weiß nicht wieso, irgendwie habe ich das sichere Gefühl, dass du mein Leben vollkommen aus der eintönigen Bahn werfen wirst. Keine Sorge, Sonja, ich will dich nicht anbaggern, ich befürchte nur, ich habe mich in den letzten paar Stunden bis über beide Ohren ...«
»Schluss, Achim, rede bitte nicht weiter! Ich erwarte nichts, weil ich nicht gerne enttäuscht werde. Und das, was du da sagen willst, birgt große Enttäuschungen in sich. Und das muss nicht sein. Mit deiner Erwartung setzt du mich dermaßen unter Druck, dass ich am liebsten gleich verschwinden möchte. Denn ich habe erlebt, dass der Wunsch, aus Liebe eine solide Existenz aufzubauen, häufig zum psychischen Zusammenbruch führt. Ich kann viel eher mit irgendeinem fremden Mann schlafen, als mich in die Obhut seiner angeblichen Liebe zu begeben. Du bist zwar älter als ich, aber anscheinend fehlt dir die Erfahrung in der Liebe. Wenn man liebt, sollte man nicht verwöhnen, sondern freilassen. Wenn du etwas halten willst, wirst du es zwangsläufig verlieren – wenn du es freigibst, kannst du nur gewinnen. So oder so. Und nun sei friedlich, ich habe Hunger und möchte heute Nacht nicht unter einer Brücke pennen, Holzkopf!«
»Danke schön für den Holzkopf. Die Blätter von dem Eisbergsalat (mir fiel sogar der Name ein) schneiden wir in schmale Streifen und Tomaten in Scheiben. Ach ja, wir müssen kurz zum Gemüsestand zurück, Tomaten habe ich vorhin vergessen. Ein Glas Oliven dazu und alles in einer Salatschüssel angerichtet. Die Putenbrust als Ganzes angebraten, dann in dünne Streifen geschnitten, Salz und Pfeffer drauf und in brauner Butter kross gebraten – das ist der ganze Trick!, hat Holger gesagt. Das Fleisch über den Salat, die Körner dazu, dann erst die Soße aus Öl, Ei und so weiter. Was habe ich bei Holger nicht alles über die gute mediterrane Küche gelernt und durch die Umstände wieder vergessen. Keine Sorge, mein Anfall ist schon vorbei.«
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