Endlich war ich so weit geöffnet, daß die Hebamme meinte, daß es jetzt bald mit den Presswehen losgehen würde. Sie machte sich bereit für die Geburt und wurde dann herausgeholt von der Chefhebamme, die umgehend übernehmen wollte wegen dem Schichtwechsel. Ein neuer Schock. Die Wehen waren jetzt so heftig und folgten so dicht nacheinander, daß ich nicht mehr sprechen konnte. Meine sonst so nette Hebamme kam nur kurz zurück, um sich zu meiner Sorge zu verabschieden. Daß sie das in Ordnung fand, glaube ich nicht! Wir hatten uns beide darauf eingestellt, daß wir zusammen mein Kind zur Welt bringen. Danach ging auch die übernehmende Hebamme hinaus.
Ganz alleine lag ich da, und die Wehen gingen in Presswehen über und ich mußte pressen. Dann kam nach ein paar Wehen diese übergeordnete Hebamme wieder herein, über die ich seit Wochen vor der Geburt gesagt hatte, daß falls sie Dienst hätte, ich nach Hause fahren und mein Kind selber gebären würde. Jetzt war ich außer Stande, etwas dagegen zu unternehmen. Das ist Gewalt an der Seele.
Sie sprang hoch auf das Geburtsbett und fing an, sich über meine Geburtsposition zu beschweren. Wie ekelhaft. Sie hätte mich lieber unterstützen sollen, indem sie vielleicht einen Arm hinter meinen Rücken gehalten hätte. Das hier war meine dritte Geburt, und ich war nicht mehr unerfahren.
Direkt nach der Geburt von meiner Tochter und dem Mutterkuchen wurde ich sofort auf die Knie kommandiert, um selbst mein Kind zu baden. Ich schüttelte am ganzen Körper und hatte Angst, mein Kind nicht halten zu können. Aber kein Pardon. Danach rief sie noch eine ganz junge Praktikantin, die Babykleider herauslegen und mich dann sofort ins Bad begleiten sollte, während die Hebamme mein Baby ankleidete.
Stark blutend stand ich auf unsicheren Beinen unter der Dusche und mußte erleben, daß diese unmögliche Hebamme schreiend mit meinem Baby in den Armen in die Türöffnung herauskam und die junge Praktikantin beschimpfte, daß sie vergessen hatte ein Bekleidungsstück herauszulegen.
Weinend kam sie zurück ins Bad und setzte sich auf den Hocker. Ich mußte sie trösten und mich danach zu meinem Baby beeilen. Es war mir so zuwider, daß diese eiskalte Frau mein Baby in den Armen hielt. Möchte hier kurz erwähnen, daß ein Nabelbruch und ein zusätzlicher Bruch zu einer späteren Operation von meiner damals sieben Monate alten Tochter führte.
Mir ging es nicht gut, war glücklich um meine wunderschöne Tochter, aber zum selben Zeitpunkt unglücklich wegen des Todesfalles und dann diesen Geburtsumständen dazu. Am nächsten Tag kam eine Physiotherapeutin, um mit mir ein paar Übungen zu machen und sie merkte als Einzige, daß mir nicht wohl zumute war und stellte Fragen. Sie bat mich eindringlich, über diese Hebamme offiziel zu klagen, da sie auch andere unglückliche Fälle mit dieser Hebamme erlebt hatte. Tat ich später.
Trotz Warnung vom Arzt verließ ich wegen der Beerdigung das Krankenhaus am dritten Tag, um zu Hause ein bißchen für die Abfahrt nach Dänemark zu packen.
Es lag mir sehr am Herzen Kirsten, meine Schwiegermutter, zum letzten Mal zu sehen. Wegen des Babys kamen wir spät an, und ich ging alleine mit dem Baby fest an die Brust gebunden in einen Seitenraum der Kapelle zu dem noch geöffneten Sarg. Zeigte ihr meine neugeborene Tochter und sagte ihr, daß sie es diesmal richtig geschafft hatte, meine Geburt zu stören. Meine erste Geburt hatte sie auch so stark beeinflußt, daß ich auch Probleme hatte, das richtige Krankenhaus zu erreichen. Ich nahm auch Abschied für all das Gute, was sie für mich getan hatte. Es war sehr ergreifend, ehrlich und gefühlvoll. Sie hatte sich mit mir auf dieses Enkelkind gefreut und sogar Kleider gestrickt. Mein Mann mußte mich zuletzt herausholen, damit die Zeremonie anfangen konnte.
Das wurde eine längere Beschreibung, als es meine Absicht war. Führe ich den Stift oder umgekehrt? Ist es notwendig für das Buch, darüber zu berichten? Ich weiß es nicht, es wird sich zeigen.
Nach der Heimkehr von der Beerdigung in Dänemark versuchte ich einen Rhythmus zu finden mit einem Kind in der Grundschule, einem Kind halbtags im Kindergarten und der kleinen Neugeborenen zu Hause, welche noch nicht getauft war. Ich nannte sie mein „Puttibaby“. Die ersten zwei Wochen blieb meine Mutter bei uns. Während diesen zwei ersten Lebenswochen passierte das Schreckliche, daß Puttibaby aufhörte zu atmen.
Glück im Unglück?
Das erste Mal geschah es kurz nach der Heimkehr von der Beerdigung. Zum großen Glück hatte ich sie in meinen Armen und saß im Wohnzimmer mit den anderen als ich entdeckte, daß sie nicht mehr atmete und anfing, bläulich zu werden.
Ich sprang vom Stuhl auf und schüttelte sie und gab ein paar Mal Mund-zu-Mund-Beatmungen. Das Herz fing wieder an zu schlagen und wir waren alle erleichtert. Jetzt verhielt es sich so, daß der Grund hinter dieser sonst so bekannten Art von Babysterben, bei dem die Babies ohne Vorwarnung aufhören zu atmen, nachher beim Kinderarzt nicht feststellbar war.
Am Ende der zweiten Lebenswoche hörte Puttibaby wieder auf zu atmen. Auch dieses Mal war ich anwesend und hielt sie in meinen Armen. Das zweite Mal wurde sie blau, und ich kämpfte und schrie nach Hilfe. Sie kam nicht schnell zurück. Nach vergeblichen Beatmungsversuchen kehrte ich sie um und hielt sie an den Beinen mit dem Kopf nach unten und gab ihr einige Schläge auf den Hintern, wie nach einer Geburt, dann wiederholte ich alles nochmal. Das Herz fing wieder an zu schlagen und nochmals waren wir erleichtert.
Nur ich, die Mutter, nachdem ich es zweimal innerhalb der ersten zwei Wochen geschafft hatte, ihr Herz wieder in Gang zu setzen, fühlte einen unglaublichen Druck und Verantwortung, sie am Leben zu halten.
Hatte nach der unglücklichen Geburt meine Hand schützend über ihren Kopf gehalten und Gott versprochen, daß ich gut auf sie aufpassen würde.
Diese Verantwortung bewirkte, daß ich nur noch sehr oberflächlich schlief.
Die Wiege hatte ich dicht an mein Bett gestellt, wobei ich eine Hand unmittelbar vor ihre Nase halten konnte, um so ihren Atem spüren zu können. Wie viele Male passierte es, daß ich, wenn ich doch tief wegschlief, mit einem Ruck aufwachte, total aufgebracht, bis ich wieder sichergestellt hatte, daß sie atmete.
Das war eine anstrengende Zeit; mein Schwiegervater kam nach ein paar Wochen und wir mußten zusammen über meine verstorbene Schwiegermutter trauern, während wir vormittags alleine zu Hause waren.
Im Laufe des Vorsommers nahmen die allergischen Reaktionen meines kleinen Sohnes dermaßen zu, daß wir mit unserem Arzt zusammen beschlossen, ihn im Kinderhospital genauer testen zu lassen, bevor er in der Schule anfangen sollte. Es wurden eine Nahrungsmittelallergie in der höchsten Stufe, eine Stauballergie im leichteren Grad sowie eine Allergie gegenüber einigen Pilzen diagnostiziert.
Wieder zu Hause fing eine Testperiode von eineinhalb Jahren an, in der ich selber testen mußte, was er vertrug. Eine Richtschnur waren animalische Proteine im Schweinefleisch, aber ich fand auch Farbstoffe und Konservierungsstoffe unter den Auslösern. Vor unserem Deutschlandaufenthalt hatten wir ein Jahr in Frankreich, genauer Fontainebleau, gelebt. Mein Sohn war gut ein Jahr und bei der Ausreise gut zwei Jahre alt. In diesem Zeitraum gab es kein einziges Symptom. Aus dem Grund fragte mich der leitende Untersuchungsarzt:„Was war der Unterschied von Frankreich zu Deutschland?“ Und es kam wie gespuckt aus mir heraus:„Schweinefleisch“.
In Fontainebleau hatten wir sehr reichhaltiges und variiertes Essen gehabt: Hähnchen, Fisch, Lamm, Rind, aber fast nie Schweinefleisch. Da wir danach in einem Dorf mit nur einem Supermarkt wohnten, wo die Fleischabteilung voll mit Koteletts, Würstchen und Aufschnitt aus Schweinefleisch war, hat sich unsere Ernährung insofern geändert, daß wir wesentlich mehr Schweinefleisch aßen. Nach anderthalb Jahren Tests konnte ich mit Sicherheit feststellen, daß er überhaupt kein Fleisch oder Fisch vertragen konnte.
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