Dann kam der Zeitpunkt, als das Herz nicht mehr wollte und Vatersmutter ins Krankenhaus in ihrem Wohnort kam. Immer noch erinnere ich mich an meine Irritation und Verwunderung über meine sonst so liebe Klassenlehrerin, die versuchte, mir auszureden, mit meinem Vater meine Oma im Krankenhaus zu besuchen. Nur einen Schultag frei, bat ich. Wußte, es konnte die letzte Gelegenheit sein, Oma noch am Leben zu sehen. Heutzutage weiß ich, daß meine Klassenlehrerin mich nur schützen wollte, um etwas Trauriges und Unangenehmes zu meiden. Aber ich bestand darauf. Glücklicherweise!
Ich erinnere mich an den Krankenhausbesuch Anfang Dezember, aber möchte nicht unnötig Zeit damit vergeuden. Gehe jetzt direkt zu dem 24.12.. Unser Hotel war geöffnet bis 16 Uhr an diesem Tag und zusätzlich selber Weihnachten für jetzt drei Kinder mit allen dazugehörigen Vorbereitungen zu halten, ist wahnsinniger Stress in sich.
Aber dieses Weihnachten wurde noch schlimmer. Am späten Vormittag kam ein Telefonat mit der Mitteilung, daß meine Oma gerade gestorben war. Sah, daß mein Vater geweint hatte. Etwas später sagte meine Mutter mir, daß sie und mein Vater besprochen hatten und sich einig waren, Weihnachten mit uns drei Kindern wie immer zu feiern. Wir konnten ja jetzt auch nichts tun. Mit zwölf ist man nicht leicht abzulenken, aber die jüngeren Geschwister helfen einem dabei.
Vor Neujahr kam das Begräbnis. Mein Erstes. Ich vergesse nie, wie ich in der Kirche den Sarg anstarrte und weinte. Konnte es nicht lassen. Der schwierigste Moment war jedoch am Grab, wo mein sonst so starker Vater total zusammenbrach und heulte. Meine Mutter umarmte ihn und zog ihn weg. Das war hart zu erleben.
Wieder zu Hause fing „Es“ an. Jeden Abend, wenn ich mich unter meine Bettdecke gekuschelt hatte, war der „Kontakt“ da. Meine Vatersmutter, gerade beerdigt, war bei mir wie eine Stimme in meinem Kopf. Wir redeten, wie wir das lange Perioden gewöhnt waren. Ich erzählte ihr, was ich den Tag über erlebt hatte, und sie gab mir dazu ihre Meinung.
Verwunderlich, aber ich dachte, es wäre ganz normal. Behielt es jedoch für mich. Wer hätte mir auch geglaubt. Vielleicht hatte ich Angst, zum Narren gemacht zu werden. Aber ich konnte mit ihr reden und auch Antwort bekommen, also herrschte für mich überhaupt kein Zweifel.
Auf diese Weise verlief ungefähr ein halbes Jahr. Jeden Abend hatten wir Kontakt. Dann eines Abends, ohne Vorwarnung, ohne jede Andeutung von ihr, lag ich da unter meiner Decke und dachte wie immer an meine Oma. Aber kein Kontakt möglich! Ich versuchte verzweifelt über Wochen hinweg, bis ich einsah, daß es nicht mehr möglich war, Kontakt mit ihr zu etablieren. Aus welchem Grund auch immer. Betete mein Vaterunser.
Heute denke ich, daß Vatersmutter gesehen hat, daß keiner Zeit hatte, sich um mich zu kümmern und daß ich schwer trauerte, ganz für mich alleine. Immer noch herrscht kein Zweifel in mir, daß dieser Kontakt real stattfand. Es ist nur leichter geworden, es zu begreifen, verglichen mit anderen Erlebnissen, die später in meinem Leben folgten.
Zum Schluß, herzlichen Dank für deine Fürsorge, liebe Oma.
Jetzt bereit zum Springen? Wir werden einen gewaltigen Zeitsprung bis ins Jahr 1987 machen. Ganz genau bis zum 12. April.
Frühstück steht auf dem Tisch, ich hochschwanger, kurz vor dem Geburtstermin, sitze und berichte von einem schlimmen Alptraum, den ich in der späten Nacht hatte. Mein damaliger Ehemann, die Kinder als auch meine Mutter, die gekommen ist, um auf die zwei ältesten Kinder aufzupassen, wenn ich gebäre, sitzen alle und hören meinem Traumbericht zu:
„Die Wehen hatten eingesetzt und ich hatte Probleme, eine Zugverbindung zu finden, die mich zu dem bestimmten Krankenhaus bringen sollte, wo die Geburt stattfinden sollte. Ich war ganz alleine unterwegs und endlich in einem Zug, der jetzt am fahren war. Dann zu meinem Entsetzen stellte sich heraus, daß der Zug in entgegengesetzte Richtung fuhr und ich mich weiter und weiter weg vom Krankenhaus entfernte.“
Dann endlich wachte ich aus diesem schrecklichen Traum auf. Ich fühlte mich nicht gut gelaunt und spürte, daß es ein Warnungstraum war. Deswegen mußte ich den anderen von dem Traum erzählen. Hatte kaum meinen Bericht beendet, klingelte das Telefon und mein geliebter Schwiegervater erzählte, daß meine Schwiegermutter, die am Tag zuvor ins Krankenhaus gekommen war, jetzt ins Koma gefallen war und den Grund dafür noch nicht wüßte.
Nicht gut. Etwas später fuhr mein Mann mit mir ins Krankenhaus. Die gepackte Tasche hatte ich mit. Wurde untersucht und die Wehen hatten mich schon einige Zentimeter geöffnet. Ich wurde wieder nach Hause geschickt und sollte dort abwarten, bis ich mich mehr geöffnet hatte.
Bei unserer Heimkehr bekamen wir Bescheid, daß Kirsten, meine arme Schwiegermutter, ohne zu Bewußtsein gelangt zu sein, gestorben war. Ohne zu wissen, daß es Leukämie, Blutkrebs von der schlimmsten Sorte, war.
Mein Schwiegervater ist ein sensibler und liebevoller Mensch, den ich sehr liebe. Da mein Exmann Einzelkind war, sagte ich großzügig, daß er sofort mit beiden Kindern zu seinem Vater nach Dänemark fahren sollte. Unsere Tochter sollte bei seinem Vater bleiben und er mit unserem Sohn nach einem Tag dort zurückkommen, nachdem er seinem Vater beigestanden hatte, die Beerdigung zu organisieren.
Zuhause, alleine im Haus mit meiner Mama, hatte ich mich hingelegt. Versuchte mich zu entspannen und wollte partout nicht erlauben, daß die Geburt sich weiter entwickelte.
Aber egal was ich versuchte, um die Wehen zu unterdrücken, mußte ich um Mitternacht herum einsehen, daß es jetzt höchste Zeit war, das Krankenhaus zu erreichen.
Meine Mutter lehnte es ab, mich zu fahren und mir beizustehen, was für mich sehr hart war. Ich bestellte ein Taxi und stellte mich nach zehn vereinbarten Minuten hinaus auf die Straße. Da stand ich mit Wehen und wartete noch zwanzig Minuten. Mußte wieder herein und nochmal anrufen. Welch ein Alptraum. Überlegte, ob ich besser in mein Bett gehe und da mein Kind alleine zur Welt bringe.
Nach zusätzlichen zehn Minuten kam endlich mein Taxi und wir kamen am Krankenhaus an. Eine sehr nette, aber gerade neu angestellte Hebamme untersuchte mich. Daraufhin wurde ich nach unten geschickt, um in der Vorhalle herumzulaufen bis die Wehen in noch kürzeren Abständen kamen. Erst nach zwei Stunden sollte ich mich wieder auf der Station melden.
Alleine, ganz alleine, zwei volle Stunden, wo ich nur einen Arzt schnell passieren sah. Es war Nacht. Um halbdrei rief ich meine Mutter von einem Münztelefon an und flehte sie an, ein Taxi zu bestellen und zu mir zu kommen. Niemand schaute nach mir. Aber meine Mutter sagte, daß sie keine Hilfe für mich sein könnte. Hier war ich im Gange mein Kind zu dieser Welt zu bringen, die meine Schwiegermutter an fast demselben Tag verlassen hatte. Mein Ehemann konnte jetzt nicht, wie geplant, bei der Geburt sein, und meine Mutter wollte nicht da sein, um mich zu unterstützen. Hilfe! Das war unerträglich. Versuchte mich in den Griff zu kriegen, um mit dem Weinen aufzuhören. Es ist so wichtig bei den Wehen, sich auf einen ruhigen Atem zu konzentrieren. In der Vorhalle fand ich einige Broschüren. Erinnere mich, daß diese christlichen Inhalt hatten oder sogar von den Zeugen Jehovas stammten. Ich ging auf und ab und las langsam und laut vor mich selbst hin, konzentriert auf jeden Buchstaben, nur unterbrochen durch Wehen. Nach zwei Stunden hatte ich Angst, die Treppe nach oben nicht zu schaffen. Nicht so toll, starke Wehen auf einer Treppe zu haben.
Die Geburt war extra hart; hat sich in die Länge gezogen, wahrscheinlich wegen Einwirkung der „Cerclage“, Muttermunddurchbohrung und -zuschnürung und wegen dem zusätzlichen Schock aufgrund des Todesfalls. Zu einem Zeitpunkt war ich dabei, in Ohnmacht zu fallen und die Hebamme klopfte meine Wangen und wurde unruhig, als mein Blutdruck absackte. Meine Kräfte wurden knapp nach zwei Tagen mit Wehen.
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