Aber besser wurde es, wenn man eine Person als ausgewiesene Betreuungskraft durch das Amt empfohlen bekommt auch nicht unbedingt. Du bringst dein Kind in ein Haus, das du selbst nicht kennst. Das barg an sich schon ein Gefühl von Unwohlsein. Die Tür öffnet sich und ein lächelndes Gesicht vermittelt dir, alles gut. „Nun komm mal rein Manuel, zieh deine Schuhe aus, hier die Jacke hinhängen, Mama muss jetzt arbeiten, sag noch mal eben Tschüss!“ Dann musst du dich ganz schnell umdrehen und raus gehen, damit das Kind nicht merkt, wie sehr du selbst von diesem Moment belastet bist. Mit Magenschmerzen gehst du dann zur Arbeit und hoffst, dass alles klappen wird. Mehr darauf konzentrieren kannst du dich nicht, weil sonst im Job was schiefläuft. Erst nach Feierabend, erschöpft und kaputt siehst du dein Kind wieder und hoffst, es geht ihm gut. Mit der Zeit wird es leichter, dann stellt sich die Gewohnheit ein und wenn wirklich alles gut geht, sich die Kinder wohl fühlen, tritt Entspannung ein. Wenn es denn gut läuft.
Es lief aber nicht gut. Ihre Kinder waren unglücklich und litten, ohne genau mit der Sprache herauszurücken. Bis Nani dann gesagt bekam, sie sei asozial.
„Da würde ich mal drauf achten. Wenn das Jugendamt sowas sieht, kriegst du Ärger, mit Sicherheit!“ noch schlimmer war allerdings: „Das ist eine Zumutung, ein so verdrecktes Kind vom Kindergarten abholen zu müssen. Mit dem kann man sich nirgendwo sehen lassen.“
Vor Entsetzen hatte es Nani die Sprache komplett verschlagen. Ihr Sohn hatte ständig Löcher oder Risse in den Jeans und war auch gerne übersät mit grasgrünen Flecken. Schmutzige Finger waren Standard und ebenso ein von Sandkörnern heimgesuchter Haarschopf. Das ließ sich noch steigern, wenn es draußen geregnet hatte, gerade dann ließ Manuel keine Pfütze aus, die seinen Weg kreuzte. Aus diesem Grund hatte sie ihm ständig Ersatzwäsche mitgegeben. Warum auch sollten kleine Jungs sich nicht mitten im Sandkasten austoben oder auch im Gras herumtollen, egal ob es nass war oder nicht. Wenn ihr Sohn so nach Hause kam, wusste sie, er hat gespielt und zwar richtig. Dankbar um die Waschmaschine war sie trotzdem und sie sah es auch nicht ein, ihn mit nagelneuen Klamotten zum Spielen zu schicken. Er war stets so gekleidet, dass er sich mit Wonne dreckig machen konnte. Wenn Manuel sauber war, obwohl er hätte draußen toben können, dann stimmte etwas nicht. So kannte sie ihren Sohn und da ließ sie auch nichts anderes gelten. Doch auch das war etwas, das man noch umdrehen konnte und ihr zur Last legte. Als er nämlich genau dieses gemacht hatte, und traurig auf der Schaukel bei seiner Tagesmutter allein im Garten saß. „Dein Kind ist verhaltensgestört. Da würd ich mal mit losgehen!“ Hat es geheißen. Irritiert hatte sie ihn später am Abend gefragt, was denn los gewesen sei. Und er antwortete, dass ihm ein anderes Kind gesagt hätte, auf dem nahegelegenen Spielplatz wäre ein Mann, der würde kleine Kinder klauen. Weinend hatte er in ihrem Arm gesessen und gesagt, wie allein er sich gefühlt hatte und dass er nun froh war, wieder bei ihr zu sein.
Scheinbar war es von einer vom Jugendamt geschulten Tagesmutter zu viel verlangt, ein offensichtlich betrübt dasitzendes Kind zu fragen, warum es traurig ist. Wäre sie damals stärker gewesen, hätte sie eben das geantwortet, stattdessen hatte sie sich stillschweigend zurückgezogen. Auch wenn sie sich über so etwas maßlos ärgern konnte, wich sie lieber aus, als mal aufzustehen und ihre Meinung deutlich zu vertreten. Das war etwas, das sie einfach nicht konnte. Es bestätigte ihr, auf ihr Herz zu hören und den Worten ihres Kindes zu vertrauen. Aber sie konnte nicht dafür einstehen, damals nicht.
Beide hatten sich in der Obhut von anderen unwohl gefühlt und entschärft wurde die Lage erst, als sie daran etwas hatte ändern können. Da erst glaubte sie, ihren Kindern gerecht zu werden. Nichts ist schlimmer, als wenn man arbeiten ist und in Gedanken dauernd der Frage nachhängt, ob es den Jungs wohl gut ging.
Aber das war nicht das Einzige, was ihr anhaftete. Man war nur wer, wenn man geheiratet und ein Haus gebaut hatte. Das war der Lauf der Dinge, man am besten noch einen Baum pflanzte zur Geburt der Kinder, für jedes einen. Doch diesem Lauf hatte sich Nani entgegengestellt, ohne es als gravierenden Mangel ihrer Persönlichkeit zu empfinden! Mehr noch, genau genommen betrachtete sie sich selbst und ihre Lebensweise als eben genau das, was sie ausmachte. Aber das galt nicht für andere Leute, scheinbar. Da passierten schon sonderbare Dinge.
„Ach so, nur damit du Bescheid weißt, wir haben gesagt, dass du geschieden bist.“
„Wie bitte?“
„Ja, das ist besser, was sollen sonst die Leute denken!“
„Wie? Was sollen die Leute denken?“
„Ja, eine Frau alleine mit zwei Kindern, das geht nicht.“
„Was geht daran nicht? Wem habt ihr das erzählt?“
„Ja, allen so, die gefragt haben, weil du neu bist.“
Eine Frau, die ledig ist und zwei Kinder hat, zudem noch von zwei verschiedenen Männern, was am Kind ja dran steht (!), das geht gar nicht! Der Ruf ist direkt ruiniert. Auf Unverständnis stieß, dass es sie ärgerte, ohne ihre Zustimmung als jemand präsentiert zu werden, der sie gar nicht war. Was ging es die anderen Leute an? Schlussendlich legt das nahe, dass eine geschiedene Frau mehr Mitleidsbonus erhält, als jemand, der sich geweigert hatte, aufgrund einer Schwangerschaft direkt in die Ehe zu stolpern. Nani war sehr, sehr froh darüber, eben nicht geheiratet zu haben. Das ganze Theater mit einer Scheidung umgangen zu sein, hatte ihr viel Ärger als auch Kosten erspart.
Sicher hat es Zeiten gegeben, in denen sie es anders hätte haben wollen. Wie lange hatte sie sich Menschen an ihre Seite gewünscht, die es ernst mit ihr meinten und sie lieben würden. Da es die aber nun einmal nicht gab, hatte sie sich abgefunden mit dem, was sie hatte. Und da blieb nun einmal nur sie selbst.
Nani war es schlicht und ergreifend total egal, was die Leute über sie dachten. Das Gerede, dass mit ihr etwas nicht stimmt, kannte sie schon von klein auf. Sie war es gewohnt, also warum darüber nachdenken? Und gerade die, die am meisten über sie zu erzählen wussten, waren fast immer auch die, mit denen sie rein gar nichts zu tun hatte! Die wenig bis gar nicht mit ihr sprachen. Vielleicht sogar noch die, die meinten, sie sei unglücklich und man besser Abstand zu ihr halten sollte, weil man ja nicht weiß, was dahinter steckt. Einfach mal nachzufragen, wäre ja auch eine Idee gewesen, oder nicht? Oder die, die dachten, der muss es so schlecht gehen, da will ich lieber nichts von wissen. „Die ist komisch“ war da noch harmlos. „komm doch mal mit Abends, wenn wir unterwegs sind. Damit du auch mal Spaß hast!“ Okay, das war nicht das, was sie wollte! Irgendwann hatte Nani mal auf diese Frage geantwortet, „guck mir in die Augen und jetzt sag mir, sehe ich so aus, als ob ich Spaß nötig hätte?“ Ein irritiertes „Nein“ war die Antwort gewesen. Ergänzend hatte sie hinzugefügt, „du kannst mich gerne fragen, ob ich „mit euch“ Spaß haben möchte, aber eigentlich bin ich gut zufrieden so wie es ist!“
Allgemeinhin schien zu gelten, dass nur die Dinge „Spaß“ bedeuten, die man gemeinsam mit anderen machte und bei denen ordentlich getrunken wurde. Doch genau das war etwas, das Nani überhaupt nicht lag. Sie liebte die Abende bei Kerzenschein, eingehüllt in eine Decke dazusitzen und guter Musik zu lauschen oder einfach zu lesen. Einen spannenden Film schaute sie auch gerne, mit Leidenschaft sogar, aber meistens war sie sich selbst genug oder sie schrieb. Das bedeutete nicht, dass sie die Gesellschaft von anderen grundsätzlich verweigerte, aber gemieden hatte sie sie doch. Zumindest wenn sie das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden. Weil man gar nichts wirklich von ihr oder über sie wissen wollte, sondern übermittelte, sich ihrer erbarmen zu müssen und sich auch nur deswegen mit ihr abgab. „Ach ja. Komm du man mit. Du hast sonst schon so wenig zu lachen, dann wird es mal Zeit jetzt!“ Nein danke, so nicht! Nani konnte sich durchaus selbst aushalten, sie litt nicht darunter alleine zu sein, sondern es war der prägende Teil ihres Lebens.
Читать дальше