Mit ehrlichem Bedauern, aber gewiss nicht am Boden zerstört, begann sich die junge Frau von Gustav Adolf zu lösen, machte sich rar, beantwortete seine drängenden Briefe nur unregelmäßig und stimmte schließlich übereilt einer Verlobung mit Hauptmann Jacob de la Gardie zu.
Die Mutter des Königs hatte also den Sieg davongetragen, aber dieser Triumph war teuer erkauft. Gustav war tief enttäuscht und verbittert. Er fühlte sich verraten von den Personen, die ihm am nächsten standen und bereute das Herzblut, das er für diese Verbindung vergossen hatte. Theatralisch, soweit dies seine schwere, zur Fleischigkeit neigende Statur zuließ, gab er seiner Mutter zu verstehen, dass er in diesem Leben überhaupt nicht mehr zu heiraten gedachte. Sollte sich doch sein Bruder Karl Philipp nützlich machen und für einen Thronfolger sorgen. Was hatte es ihn zu interessieren, dass Karl erst zarte fünfzehn Jahre zählte!
Sprach‘s und machte sich, am Schauplatz seiner persönlichen Tragödie sprichwörtlich eine große Staubwolke hinterlassend, mit großem Gefolge und noch größerem Getöse auf in die Fortsetzung seines Feldzugs gegen Russland.
Ebba Brahe verschwand in der Provinz, ihr Name wurde nur noch hinter vorgehaltener Hand genannt. Der junge König hingegen durfte eine angemessene Zeit lang die Wunden lecken, die ihm geschlagen worden waren. Wunden, die von besagter Margarethe Sersanders – deren Ehemann im Übrigen ein niederländischer Offizier in schwedischen Diensten war, der gegen seinen prominenten Brotherrn keine nennenswerte Gegenwehr aufzubringen vermochte – mit Hingabe verarztet wurden.
Wie ein Berserker hatte Gustav Adolf also aufbegehrt gegen den Zwang, ein Leben als Sklave seines Amtes zu führen, hatte sich ohne nachzudenken hineingestürzt in diese Sache mit Margarethe. Als er aus seinem Rausch erwachte, war er tief beschämt darüber, dass ihm die junge Frau herzlich gleichgültig war. Aber da war es bereits zu spät.
Ängstlich, mit einem unschuldigen Augenaufschlag, hatte sie ihm eröffnet, dass sie ein Kind erwartete. Sein spontanes Entsetzen war wenig später in eine unbeholfene Reserviertheit umgeschlagen, die Margarethe zurückweichen ließ. Keine Klagen, keine Forderungen kamen über ihre Lippen. In der darauffolgenden Nacht hatte er von Ebba geträumt. Sie hatte ihn angefleht, über schwarzes, knisterndes Eis, das sich zwischen ihnen ausdehnte, zu ihr zu kommen. Aber das Eis war dünn, das Wasser rauschte und gluckerte in der Tiefe. Auf allen Vieren war er vorwärts gekrochen, und bevor er den scharfen Riss hörte, war er bereits mit einem dumpfen Krachen eingebrochen. Die eisigen Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen, erst durch wildes Armrudern war er wieder herausgeschossen wie ein Korken, die gefühllosen Finger blutig von den vergeblichen Versuchen, die Bruchkanten des Eises zu fassen. Da war über ihm Margarethes regungsloses Gesicht erschienen, sie hatte seinen Kopf mühelos unter Wasser gedrückt, nur mit der Spitze ihres Zeigefingers, und diesen dann hastig, mit einem Ausdruck des Ekels, zurückgezogen.
Als dann noch seine Mutter wie aus dem Nichts neben Margarethe getreten war und ihn mit einem tadelnden Kopfschütteln bedacht hatte, war er schweißgebadet und frierend aufgewacht.
Denn Gustav Adolf war sehr wohl bewusst, dass einem Mann in seiner Position dauerhaft kein Recht auf private Empfindlichkeiten zustand. Schließlich musste der Fortbestand der schwedischen Wasa gesichert werden.
Seine Mutter hatte damals natürlich schon längst ihr diplomatisches Netz ausgeworfen. Gut protestantisch und von Geblüt musste sie sein, die zukünftige Braut des schwedischen Königs. Die englische Prinzessin Elisabeth, Tochter König Jakobs, mittlerweile in der Kurpfalz verheiratet, war im Gespräch gewesen, mit einer jungen Dame aus dem Hause Württemberg hatte man auch geliebäugelt.
Überhaupt boten die deutschen Lande reiche Auswahl. So fiel der Blick auf Brandenburg. In diesem Kurfürstentum, das an die Hohenzollern belehnt war, waren Johann Sigismund und seiner Frau Anna gleich zwei Töchter im heiratsfähigen Alter herangewachsen. Die mannigfaltigen Vorteile einer solchen Verbindung lagen auf der Hand und waren von Reichskanzler Oxenstierna sachlich referiert worden. Selbst Jahre später konnte der König in seiner Erinnerung dessen dröhnende Stimme dozieren hören, dass es vier gute Gründe gäbe, und vermochte sich mit geschlossenen Augen vorzustellen, wie Oxenstierna dabei Daumen, Zeige- und Mittelfinger nacheinander in einer aufzählenden Geste ausgeklappt hatte:
Erstens bekannten sich die Prinzessinnen zur richtigen Religion. Zweitens gehörte Brandenburg zur Familie der Ostseeanrainer und hatte damit einen militärstrategischen Zugang zum Meer. Drittens war die Mitbelehnung der Hohenzollern in Preußen geographisch hochinteressant – mit einem Fuß in diesem Herzogtum würde Gustav Adolf seinem Vetter und Erzfeind, König Sigismund von Polen, die Stirn bieten können. Und viertens lockte im Herzen des deutschen Reiches das niederrheinische Herzogtum Kleve, das endlich den Hohenzollern zugeschlagen worden war.
Aber gegen Ende des Jahres 1615 war noch alles in der Schwebe. Der König suhlte sich in seinem Leid, bewies sich im fernen Russland als Soldat und Liebhaber und befasste sich halbherzig mit dem Gedanken an eine standesgemäße Heirat.
So geschah es, dass sich die Wege illegitimen Kindersegens und dynastischer Eheanbahnung für das Haus Wasa erst im Jahr 1616 auf höchst staunenswerte Weise überschneiden sollten.
Dresden, 9. Dezember 1610
Es waren die beringten Finger ihres Schwagers Christian, des Kurfürsten von Sachsen, die ihren Oberarm wie eine Schraubzwinge quetschten. Die Siegelfläche seines massiven Rings hatte sich zum Handteller hin gedreht und drückte schmerzhaft durch Haut und Muskeln auf den Knochen. Jede andere Person hätte Anna allein durch ihren Blick zur Besinnung gebracht. Doch die Hand dieses angetrunkenen Mannes ließ sich nicht einfach so abschütteln. Nicht jetzt, nicht vor Zeugen. Hier, in diesem Zimmer, in diesem Schloss, war Kurfürstin Anna von Brandenburg nur Gast, Gast in Christians Haus, auf Christians Grund und Boden. Hier war sein Wille Gesetz.
Also ließ sie es widerstrebend zu, dass der Kurfürst sie in eine Ecke des Zimmers dirigierte, wo er sie so herumschwang, dass die anderen Anwesenden seine lächelnde Mimik zu sehen bekamen, ihr abweisender Gesichtsausdruck aber allen Blicken verborgen blieb.
Niemand in diesem Raum ahnte, dass der Kurfürst, bevor er aufgebrochen war, um seiner Schwägerin zur Geburt ihres Kindes zu gratulieren, bereits einige Becher Wein heruntergestürzt, sich mit schwerfälligen Schritten die Treppe heraufgequält, vor der Tür innegehalten, seine massigen, hängenden Schultern nach hinten gedrückt und mehrmals wie ein Erstickender tief Luft geholt hatte, um die Enge in Brust und Kehle zu bekämpfen. Er hatte das getan, um, wenn er durch diese Tür treten würde, überzeugend von dem Umstand abzulenken, dass er seit acht Jahren auf einen Erben wartete und dass seine von Aderlässen und Fruchtbarkeitskuren ausgelaugte und durchscheinend gewordene Frau vergeblich für die Anzeichen einer Schwangerschaft betete.
Christian von Sachsen hatte, etwas unsicher auf den Beinen, den vor dem Geburtszimmer wachenden Lakaien erst angerempelt, dann zusammengestaucht und schließlich mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben, um die Tür schwungvoll aufzustoßen. Er war, umhüllt von einem Schwall kalter Treppenhausluft und seine kränkliche Frau Hedwig, eine Prinzessin aus dem dänischen Königshaus, im Schlepptau, in die schläfrige Atmosphäre des stickigen, überheizten Wöchnerinnenzimmers hereingeplatzt, hatte seinem Bruder anerkennend, aber recht flüchtig auf die Schulter geklopft, und war dann breit lächelnd von einem zum anderen Gast gegangen, hatte diesen umarmt, jenen mit der Faust geknufft und wieder einen anderen vertraulich am Wams gefasst.
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