Trotz aller Umwege kamen wir schließlich im Tabu an.
Schelly war ein großes und selbstsicheres Mädchen. Nicht hübsch, aber sympathisch. Der Vater betrieb eine Fabrik für Aufzugsanlagen.
Ich tanzte abwechselnd mit Fides und Schelly. Wenn ich mit Schelly tanzte, wurde Fides sofort von einem anderen Herrn geholt. Wenn ich mit Fides tanzte, blieb Schelly immer sitzen.
Einige Zeit später erschien Fabian. Sehr herzlich begrüßt von beiden Mädchen.
Er tanzte nur mit Fides. Ich tanzte etwas verkrampft mit Schelly.
Das Tabu schließt um 3 Uhr. Um 2 Uhr flüsterte mir Fides zu, sie würde mit Fabian gehen um dessen Auto zu holen. Sie kämen aber zurück. Sie fragte noch „bist du jetzt böse?“.
Ich tanzte weiter etwas verkrampft mit Schelly und tat so, als ob es mir nichts ausmacht, dass sie mit Fabian verschwand.
Die Unterhaltung mit Schelly kam nicht wirklich in Fluss.
Pünktlich um 3 Uhr hörte die Kapelle auf zu spielen. Schelly und ich gingen zum Ausgang. Fides stand zusammen mit Fabian auf der Straße vor dessen eleganter Limousine.
Fabian, fuhr zuerst Schelly nach Hause, sie wohnte in Freimann, dann Fides, das war in der Gegenrichtung. Am Odeons Platz ließ er mich aussteigen. Fides versuchte nett zu mir zu sein, als ich ausstieg und wisperte mir zu „ich ruf dich an“.
Sie winkte mir fröhlich zu, als Fabian wieder losbrauste.
Es war noch ein langer Weg zu meinem Zimmer. Ich war gekränkt. Sie hatte Fabian den Vorzug gegeben. Ich war in die zweite Reihe ihrer Verehrer abgerutscht.
Ich gestand mir aber ein, dass sie auch heute Abend einfach hinreißend aussah. Sie hatte ein sehr mädchenhaftes schwarzes Kleid an, mit einem weißen Kragen, weißen Knöpfen und einen weißen Besatz an den Ärmelenden. Ihre Haare trug sie an diesem Abend offen. Sie fielen ihr lange über die Schulter. Seit ein paar Tagen hatte sie ihre Haare hell blond gefärbt. Wenn Sie am Tisch saß, rutschte ihr kurzes Kleid nach oben und ihre Beine waren in voller Länge sichtbar. Es war ein warmer Sommerabend und sie hatte keine Strümpfe an. Besonders reizvoll war ihr Busen, der sich deutlich unter dem hochgeschlossenen Kleid abzeichnete. Sie wurde von allen Männern, denen wir an diesem Abend begegneten, mit bewundernden Blicken beäugt.
Sie hatte an diesem Abend mit mir gespielt. Sie konnte mich sehr verletzen.
Fabians komfortable Limousine war zum Schmusen viel geeigneter, als die leeren Marktstände, die ich immer mit ihr aufsuchte. Ich war sicher, dass gerade jetzt, Fabian in einer dunklen Straße anhält und Fides küsst. Ich schlief nicht in dieser Nacht.
Am Morgen beschloss ich, sie nicht mehr um eine Verabredung zu bitten. Sie hatte sich in Fabian verliebt. Sie rief aber wie versprochen an und wir trafen uns wieder an jeden Mittwoch und auch an den Wochenenden.
Meine Zuneigung zu Fides schwächte sich ab. Der Flirt mit Fabian wirkte nach. Ich interessierte mich sogar für ein anderes Mädchen.
Einen Monat später gingen wir auf eine Party bei einem Freund von mir. Er wohnte in einem Vorort. Auf der Anreise warf sie mir vor, in meinem Freundeskreis über sie zu sprechen und zu verbreiten sie hätte sich zu einer pessimistischen Lebenseinstellung hingewendet. Der Freund ihrer Schwester hätte sie dabei unterstützt.
Ich war beschämt über meine Schwatzhaftigkeit. Ich hatte mit meinem Freund Hans Schuster über sie gesprochen und diese Bedenken zum Ausdruck gebracht. Fides hatte schon vor Wochen, von diesem Gespräch erfahren. Sie musste meine Schwatzhaftigkeit als einen Vertrauensbruch empfunden haben.
Sie hatte sich großzügig verhalten und sich trotz dieser Kränkung mit mir getroffen.
Sie sagte sie sei überzeugt, dass ich vor allem ihr Äußeres mögen würde, nicht aber ihr inneres Wesen. Sie warf mir vor, oberflächlich und kleinlich zu sein. Als Beweis führte sie meine Schwatzhaftigkeit über ihr Weltbild und mein voreiliges Urteil über den Freund ihrer Schwester an.
Ich hatte den Freund ihrer Schwester, als jemand geschildert, der nur den naturwissenschaftlich geschulten Intellektuellen gelten lässt und den ganzen Rest der Menschheit und ganz besonders alle Geisteswissenschaftler verachtet.
Sie sagte:
„Ich fühle mich zu einer pessimistischen Einstellung hingezogen.
Jedes Nachdenken, über das menschliche Leben, muss zwangsläufig zu einer pessimistischen Einstellung führen. Es sind die nachdenklichen Menschen, die pessimistisch über das Leben denken. Die Menschen, die eine optimistische Einstellung zum Leben haben, sind die, die nicht nachdenken.“
Sie führte Schriftsteller wie Sartre oder Camus für eine pessimistische Grundeinstellung an und fährt fort:
„In einer Welt in der so Abscheulichkeiten passieren, wie die Ermordung der Juden durch uns Deutsche oder die Ermordung von Frauen und Kindern in Vietnam durch die Amerikaner, ist eine optimistische Einstellung zum Leben purer Provinzialismus“.
Mir unterstellte sie eine Einstellung, nach der sich letztlich doch alles zum Guten wendet. Diese Einstellung hielt sie für naiv und durch die Entwicklung der Menschheit wiederlegt.
Am Ende schwächte sie ihre Aussage über den Provinzialismus, den sie mir unterstellte etwas ab, indem sie sich selbst auch der Oberflächlichkeit bezichtigte.
Sie sagte von sich, sie wäre viel zu phlegmatisch, um gründlich über intellektuelle Dinge nachzudenken.
Der Vorwurf des Provinzlers traf mich hart. Ich versuchte mit allerlei Argumenten zu parieren. Merkte aber selbst, dass diese Argumente nicht stechen.
Als ich davon sprach, dass Pessimismus ein Zustand ist, der überwunden werden muss und letztlich zur Reife führt, bat sie mich aufzuhören. Sie könne so einen Quatsch nicht ertragen.
Ich war sehr berührt von der Ernsthaftigkeit ihre Ausführungen. Ich hatte mich in unserer Beziehung, als den Intellektuellen und sie als die Schöne gesehen.
Mir wurde klar, dass das ein Irrtum war. Sie war die Reifere. Ich war der Unreife. Ich schwankte in meinen Ansichten, je nach der Lektüre, die ich gerade las.
Auf der Party war sie arrogant zu meinen Provinzler Freunden.
Meine Zuneigung zu ihr wuchs wieder. Die Erkenntnis, dass sie ihre Einstellung zum Leben, so trefflich und knapp begründen konnte, flößte mir Respekt ein.
Fides mag keine Weltanschaulichen Gespräche. Wir führten keine Gespräche zu diesem Thema mehr. Sie hatte Ihre Einstellung begründet. Jede weitere Diskussion zu diesem Thema war überflüssig.
Wenn ich es nicht lassen konnte trotzdem ein Gespräch über ein weltanschauliches Buch das ich gerade las zu beginnen, betrachtete sie mich mit einem ironischen, abschätzigen Lächeln und würgte damit mein Mitteilungsbedürfnis ab.
Als ich einmal Marcuse zitierte, der für die freie Ausübung der Sexualität plädierte und die Kleinfamilie auflösen wollte, nickte sie nur zustimmend, fand aber keinen Grund das Thema zu diskutieren.
Hinsichtlich der Auffassung, dass es keine göttliche Regie gibt und das Leben aus Zufall entstanden ist, waren wir uns einig.
Mir wurde diese Einstellung durch meinen Vater vermittelt.
Fides musste sich erst zu dieser Erkenntnis durchringen.
Beide Eltern von Fides waren strenggläubige und unduldsame Katholiken. Eine strikte Einhaltung der Gebote war ihnen selbstverständlich. Dazu gehörte auch der Gottesdienst am Sonntag. Sie erwarteten das auch von ihren Töchtern. Beide waren auch willens, für diese Einhaltung, Druck auf ihre Töchter auszuüben.
Für die Töchter war klar, dass es aussichtslos war, eine ablehnende Haltung zu den religiösen Grundsätzen der Eltern einzunehmen. Der Vater reagierte mit Wutausbrüchen, wenn er bei seinen Töchtern eine Abweichung vom katholischen Glauben entdeckte. Er war in einem Dorf, unter ärmlichen Bedingungen, als Halbweise aufgewachsen und vom Pfarrer gefördert worden und konnte mit Unterstützung der katholischen Kirche, eine höhere Schule zur Vorbereitung auf das Priesteramt besuchen. Er begann nach dem Abitur in München Theologie zu studieren, wechselte aber nach kurzer Zeit an die Technische Hochschule und immatrikulierte sich dort als Maschinenbauer.
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