Hanns Sedlmayr
Demenz in der Lebensmitte
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hanns Sedlmayr Demenz in der Lebensmitte Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort
2007 Eine unheilbare Krankheit
1961 Schülerliebe
2009 Leben mit der Krankheit
1963 Über die Liebe Teil 1
2015 Baden
1963 Liebessehnsucht
2017 Maria und Raisa
1964 Beginn einer Liebe
2017 Eine neue Liebe
1964 Liebesleben Teil 1
2017 Ausflug in die türkische Küche
1965 Liebesglück
2017 Rappus
1967 Die freie Liebe
2017 Erinnerungen an die Liebe
1967 Liebesleben Teil 2
2017 Nahe dem Tod
1969 Liebesleben Teil 3
2017 Töchter und Enkel
1970 Die Entscheidung
2018 Altwerden
1972 Ein kinderloses berufstätiges Paar
2018 Schreiben
1975 Eine glückliche Zeit
2018 Über die Schönheit
1980 Ein zweites Kind
2019 Über die Liebe Teil 2
1989 In der Mitte des Lebens
2019 Liebe und Treue in drei Generationen
1994 Erste Anzeichen einer Krankheit
2019 Über die Liebe Teil 3
2002 Konkurs
2019 Ein Lächeln
Impressum neobooks
Demenz in der Lebensmittevon Hanns Sedlmayr
ImpressumCopyright by Hanns Sedlmayr Der Text und alle seine Teile sind geschützt. Das Urheberrecht liegt bei Hanns Sedlmayr Freischützstraße 27 8201927 München Deutschland
Der Psychologe Endel Tulving beschäftigte sich sein ganzes Leben mit dem Thema „mentale Zeitreise“ und brachte sie auf die denkbar simple Gleichung: die Fähigkeit, ein Ereignis des Zeitpunkts A zum Zeitpunkt B wieder zu erleben. Tulving nannte sie einen von der Natur erfundenen Trick, um ihr eigenes Gesetz von der Unumkehrbarkeit der Zeit zu hintergehen. Zeit verlaufe immer nur in einer Richtung, schreibt er, mit einer Ausnahme: "...der menschlichen Fähigkeit, sich an Ereignisse der Vergangenheit zu erinnern.“
Diese Fähigkeit ist die einzigartige Fähigkeit des Menschen, dem biologischen Grundgesetz zu entkommen.
Nichts geht ohne Emotionen. Das ist die zweite grundlegende Erkenntnis der Neurophysiologen. Erlittene Bestrafungen oder Demütigungen hinterlassen ebenso tiefe Spuren im Gedächtnis wie sportliche Erfolge oder erotische Erweckungserlebnisse. Das heißt: Jede bewusste Erinnerung ist notwendig mit Emotionen verschmolzen.
Die meisten Wissenschaftler folgern daraus, dass objektives Erinnern nicht möglich ist. Das Gedächtnis lässt sich zwar von niemand anderem kontrollieren, es ist aber auch extrem opportunistisch und behält nur, was es gebrauchen kann. Nichts darin ist neutral; was erinnert wird, ist zugleich immer schon emotional bewertet. Wolf Singer, Direktor des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Hirnforschung, bezeichnet Erinnerungen prinzipiell als "datengestützte Erfindungen". Das menschliche Gedächtnis, sagt Singer, sei von Natur aus auf Anpassung an eine veränderte Umwelt und nicht auf exakte Speicherung ausgerichtet.
In dem vorliegenden Buch erzählt Max die Geschichte seiner Liebe zu Fides. Einer Frau, die er mit 17 Jahren kennenlernt und die ihn mit ihrer Schönheit, Zärtlichkeit und Sinnlichkeit bis in die Mitte seines Lebens betört und die mit 45 Jahren an Demenz erkrankt. In wenigen Jahren wird aus einer gefühlvollen, liebenden Frau eine kalte, gefühllose Frau.
Zehn Jahre später hat sie alles verloren: ihre Lust am Leben, ihre weibliche Attraktivität, die Zuneigung ihrer Töchter und ihres Mannes, ihre Freundinnen. Sie ist inkontinent und verwahrlost. Sie ist aggressiv und verweigert eine Pflege.
Dann nimmt sich ein engagierter Arzt ihrer an. Er stellt ihre Empathie zu Lasten ihrer Bewegungsfähigkeit und ihrer Sprachfähigkeit wieder her.
Max will eine wahre Geschichte erzählen.
Er will Fides mit Worten wieder zum Leben erwecken, um seinen Schmerz über ihre Krankheit zu mildern.
Er erlebte hautnah alle Phasen in ihrem Leben mit. Er führte in allen Lebensphasen Tagebuch. Er ergänzt und erweitert das Tagebuch. Am Ende seines Schreibens muss er erkennen, dass er eine Geschichte erzählt, die auf Tatsachen, seinen Erinnerungen und Aufzeichnungen beruht, dass er aber letztlich keine wahre Geschichte erzählt, sondern eine Geschichte, die aus seinen Emotionen entstanden ist.
2007 Eine unheilbare Krankheit
Es ist später Abend. Ich bin zuhause und schreibe in mein Tagebuch. Es ist ungewohnt. Ich habe das lange nicht mehr gemacht. Der letzte Eintrag liegt siebzehn Jahre zurück.
Fides wurde heute mit Verdacht auf einen Schlaganfall in eine Klinik eingeliefert.
Es ist Sonntag. Sie hatte sich am Nachmittag nach dem Essen hingelegt. Ich kochte für uns. Die Kinder waren nicht im Haus. Nach dem Essen räumte ich die Küche auf. Sie war stark verdreckt. Als ich gerade das Haus verlassen will, um ins Büro zu fahren, höre ich ein zaghaftes Rufen aus ihrem Ankleidezimmer, in dem sie ihren Mittagsschlaf hält.
Ich hatte schon die Wohnungstür geöffnet. Ich kehre um und betrete das Zimmer. Sie liegt am Sofa und schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sie gibt mir durch Zeichen zu verstehen, dass sie nicht sprechen und ihre Arme nicht heben kann.
Ich rufe den Notarzt an. Der Sprecher in der Zentrale fordert mich auf, einen kurzen Test durchzuführen.
„Kann Ihre Frau die Arme heben?“ Antwort: „Nur den rechten.“
„Kann Ihre Frau sprechen?“ Antwort: „Nur undeutlich.“
„Ist ihr Gesichtsausdruck verändert?“ Antwort: „Ja, irgendwie schief.“
„Wir kommen sofort“, war die Antwort.
Nachdem ich auflegte, sagt meine Frau: „Mir ist schlecht.“ Sie kann wieder sprechen. Kurz danach kann sie auch den linken Arm wieder etwas anheben, allerdings nur unter großer Anstrengung.
Sie greift mit der rechten Hand nach meiner Hand und hält sie fest. Das hat sie früher oft getan, die letzten fünfzehn Jahre aber nicht mehr. Ich bin deshalb überrascht.
Unser Haus ist mit dem Auto schwer erreichbar. Es liegt in einer autofreien Zone. Ich will deshalb vor zur Straße gehen, um den Notarztwagen einzuweisen. Fides lässt aber meine Hand nicht mehr los.
Der Notarzt ruft noch einmal an. Sie finden die Zufahrt zu unserem Haus nicht. Ich mache mich zum Telefonieren von ihrer Hand frei, gehe zur Tür und den Weg zur Straße vor. Dort erwartet mich der Notarztwagen mit eingeschaltetem Blaulicht. Die Zufahrt ist etwas eng und die Sanitäter holen ihre Krankenbahre aus dem Auto. Wir eilen zu unserem Haus. Die Sanitäter sehen sich die Patientin an und verständigen sich mit einem Blick. Sie heben meine Frau auf die Krankenbahre, binden sie fest und fordern mich auf mitzukommen.
Im Krankenhaus fahren wir mit dem Lift in die Schlaganfall-Abteilung. Die Sanitäter informieren eine Schwester, legen meine Frau in ein Bett, das im Gang steht, und gehen. Ich fahre in die Verwaltung im Erdgeschoss, um die Aufnahmeformalitäten zu erledigen.
Zurück in der Station, liegt Fides immer noch im Gang. Kein Arzt und keine Schwester ist zu sehen. Im Schwesternzimmer, eine einsame Schwester an einem Schreibtisch. Ich frage, wann sich jemand um meine Frau kümmert. Antwort: „Es ist derzeit kein Arzt frei. Es ist Sonntag. Wir haben nur eine Notbesetzung in der Abteilung. Ich rufe an. Der Arzt ist unterwegs.“
Es dauert noch eine ganze Weile, bis der Arzt erscheint.
Sie wird in einen Untersuchungsraum geschoben. Die Bitte, bei meiner Frau bleiben zu dürfen, wird überhört. Ohne Kommentar schließt die Schwester die Tür zum Behandlungsraum vor meiner Nase. Ich setze mich auf einen Stuhl auf dem Gang.
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