Damit war zwar noch nicht ausgesprochen, aber beschlossen, dass ich das Syrien-Projekt übernehmen musste. Irangate und Syrienconnection gingen mir durch den Kopf, als ich die gemurmelte Zustimmung zu Axel Langes Worten hörte. Syrien war die schlechteste Option überhaupt. Dort herrschte Bürgerkrieg. Mir fiel ein, was sie heute in den Frühnachrichten berichtet hatten. Es gab eine Möglichkeit, mich vor dieser Option zu bewahren. Ich hob meine Hand und suchte den Blickkontakt mit Thomas Sündermann.
„Ja? Bitte, Herr Hintersinn!“
Es kratzte in meinem Hals. Ich musste husten, bevor ich sprechen konnte: „Also, was Syrien betrifft, sehe ich ein grundsätzliches Problem. Soweit ich weiß, ist das Assad-Regime nicht als Verhandlungspartner von der EU anerkannt. Wie sollen wir mit denen denn Geschäftsbeziehungen anknüpfen?“
Axel Langes Blick schien wie durch mich hindurchzugehen. „Ganz so schlimm ist es zum Glück nicht, Herr Hintersinn. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der syrischen Regierung bestehen weiterhin, selbst wenn sie zurzeit nicht die besten sind. Wenn andere EU-Staaten in dieser Hinsicht restriktiver handeln, soll uns das doch nur recht sein. Damit werden wir zu den Ersten in Syrien gehören, die den Markt dort wieder neu erschließen.“
Ich fühlte, wie sich etwas in meinem Hals zusammenzog. Kampflos wollte ich nicht aufgeben: „Aber man liest doch auch in den Verlautbarungen der Bundesregierung, um was für ein unmenschliches Regime es sich handelt. Sie setzen Chemiewaffen ein, darüber war heute gerade berichtet worden. Der Machthaber Assad wirft Fassbomben auf die eigene Bevölkerung!“
„Alle werfen dort Bomben, nicht nur Assad!“, tönte Tüsselhover links neben mir. Er setzte noch hinzu: „Für den, der getroffen wird, ist es doch egal, ob die Bombe wie ein Fass oder irgendwie anders aussieht, oder etwa nicht?“ Er sah sich in der Runde um, doch alle hielten ihre Augen auf die blauen Mappen gerichtet, die vor ihnen aufgeschlagen lagen.
Axel Lange strich sich nachdenklich über seinen Vollbart. „Sie können natürlich aus moralischen Gründen ablehnen, Herr Hintersinn ...“
Er fuhr fort und betonte dabei jedes einzelne seiner Worte. „Doch vergessen Sie nicht, Sie arbeiten in einer Firma, die pharmazeutische Produkte und Laborartikel verkauft, und nicht bei Amnesty International oder Human Rights Watch .“
„Herr Hintersinn, vergessen Sie auch nicht, dass Assad über viele Jahre ein geachteter Gesprächspartner der Bundesregierung war“, mischte sich nun auch noch Dr. Berger ein. „Wenn sich die politische Lage in Syrien wieder stabilisiert, wird der deutsche Außenminister ebenso schnell nach Damaskus fliegen, wie er es nach der Aufhebung der Iran-Sanktionen in Richtung Teheran getan hat.“
„ Pecunia non olet , Herr Hintersinn!“ Thomas Sündermann legte seine Pfeife auf den Tisch. Er sah erst auf mich und dann auf das entgeisterte Gesicht von Torben Tüsselhover. „Geld stinkt nicht, Herr Tüsselhover! Eine zweitausend Jahre alte, römische Spruchweisheit! Ich vergesse immer wieder, dass Ihre Abiturjahrgänge kein Latein mehr hatten.“
Tüsselhover grinste. Auch wenn er in der Schule keinen Lateinunterricht gehabt hatte, war ihm diese Devise als Betriebswirt doch nicht fremd.
Mir brummte der Schädel, es war die Müdigkeit und der Schock. Ich war immer noch dabei begreifen zu wollen, was hier eigentlich ablief. Axel Langes Stimme klang wie durch Watte in mein Ohr. „Also, was ist mit Ihnen? Stimmen Sie unserem Vorschlag zu, Herr Hintersinn?“
Ich leistete mir noch zwei Sekunden, dann gab ich auf. „Ja. Natürlich! Ich wollte nur sichergehen, ob alle Eventualitäten bei diesem Vorhaben auch in Betracht gezogen worden sind.“
Axel Langes Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln. „Schön haben Sie das gesagt, Herr Hintersinn! Aber gewiss doch!“
Er wandte sich jetzt wieder an alle. „Die Einzelheiten zu Ihren Projekten finden Sie in der Mappe vor Ihnen. Machen Sie sich bitte in den nächsten Tagen damit vertraut. Wir treffen uns in einer Woche zu weiteren Planungen, den Termin gebe ich noch bekannt. Die Sitzung ist hiermit geschlossen.“
Dr. Berger war bereits an Tür und wedelte mit der Mappe in seiner Hand.
„ Hasta luego, señores .“ Mit diesen Worten war er verschwunden.
„Der ist in Gedanken schon auf Kuba“, stieß Tüsselhover schlechtgelaunt hervor. Er sah dabei auf den Boden, als suchte er etwas und zog schnüffelnd die Luft ein.
„Irgendwie riecht es hier schon die ganze Zeit so, als hätte jemand ins Glück getreten.“ Er sah mich mit gerümpfter Nase an. „Haben Sie einen Hund?“
Ich sah ihn nur empört an.
„Vielleicht sollten Sie sich einen anschaffen, es ist gut für die Figur und so ein Hund ist zum Joggen doch ganz praktisch.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ den Raum.
Ich tat, als hätte ich nichts gehört. Was dieser aufgeblasene Kerl sich für Frechheiten herausnahm! Das erlaubte er sich nur, weil Lange ihn in jeder Hinsicht deckte. Ich stellte mir in diesem Moment vor, wie die beiden es im Doggy Style miteinander trieben. Doch als ich länger darüber nachdachte, empfand ich nur noch Ohnmacht und Eifersuchtsgefühle. Im Gegensatz zu Tüsselhover hatte ich niemanden in der Firma, der mich vor Schikanen in Schutz nahm.
Aus dem Augenwinkel schielte ich zu Thomas Sündermann, der in aller Ruhe seine Pfeife reinigte. Alle anderen waren inzwischen schon gegangen. Schließlich verließ auch er den Raum, ohne mich nur eines Blickes zu würdigen. Ich hatte gehofft, er würde mich vielleicht noch ansprechen, um mir in irgendeiner Weise entgegenzukommen.
Ich erhob mich und schlich lustlos in mein Büro. Es befand sich auf dem gleichen Stockwerk wie der Konferenzraum. Die Büros von Dr. Berger und Torben Tüsselhover lagen nur ein paar Schritte weiter von meinem entfernt. Der Adrenalinschub aus der Sitzung hatte meine Müdigkeit gegen eine dumpfe Anspannung eingetauscht. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich mich auf meinen Bürostuhl fallen. Mit der Syriengeschichte hatten sie mich kalt erwischt. Das Irangate hatten sie Tüsselhover doch nur pro forma übertragen. Die eigentliche Arbeit lag bei dem iranischen Entwicklungsingenieur Gholam Foorozan.
Ich versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, doch die Sitzung hatte mir gezeigt, wie isoliert ich inzwischen in der Firma war. Berger war mit dem Kuba-Projekt fein raus. Von Thomas Sündermann konnte ich, so wie es aussah, keine Unterstützung mehr erwarten. Das alles musste ich erst einmal verdauen.
Nachdem ich eine Weile vor mich hingebrütet hatte, öffnete ich widerwillig die blaue Mappe und suchte nach Einzelheiten der geplanten Kooperation. Ich stieß auf den Namen Erkalaat Ltd ., ein halbstaatlicher, pharmazeutischer Betrieb in Aleppo. Ausgerechnet mit einer vom syrischen Staat betriebenen Firma wollten Sündermann und Lange Geschäftsbeziehungen anknüpfen. Alles war noch schlimmer, als ich befürchtet hatte. Es galt als erwiesen, dass das syrische Regime Chemiewaffen hergestellt hatte. Ein Staatsbetrieb wie Erkalaat war vermutlich daran beteiligt gewesen. Zudem saß diese Firma in Aleppo. Eine Stadt, die unter Dauerbeschuss und zur Hälfte in Trümmern lag. Im Fernsehen hatten sie gezeigt, wie Assads Armee dort Fassbomben auf Zivilisten und Krankenhäuser abwarf. Erwarteten meine Chefs wirklich, dass ich mich auf dieses schmutzige Spiel einließ, womöglich noch dort hinfuhr? Das konnte man mir doch nicht ernsthaft zumuten!
Während ich noch in der Mappe blätterte, stieg mir ein fader Geruch in die Nase. Der Gestank kam unzweifelhaft von meinem Schuh, der immer noch die Hinterlassenschaft von Frau Steckenborns Hunden trug. Tüsselhovers feines Näschen hatte es schon in der Sitzung gerochen. Nachdem meine Anspannung jetzt nachgelassen hatte, merkte ich es auch. Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie so weit weg wie möglich neben die Bürotür. Nachher musste ich sie auf der Toilette gründlich säubern. Ich ekelte mich schon allein bei dem Gedanken. Einen Chemiker sollte man nicht mit Gestank ärgern wollen, dachte ich. Mir war eine Idee gekommen, es Frau Steckenborn mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich rief Herrn Schauhin aus dem Chemikalienlager an und fragte, ob wir Butanthiol vorrätig hatten. Er versprach, mir bis morgen etwas davon zu schicken.
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