Vereinfacht formuliert: Durch die Bewusstseinsbildung war das Bedürfnis geboren, zu wissen, wer man ist, was man darstellt und was man soll (welche Aufgabe dem Menschen zufällt respektive dieser einnehmen soll), aber dies nicht nur wie heutzutage überwiegend vordergründig in Form von – meist oberflächlichen, äußerlichen - Identitätsmerkmalen und –ausweisen, hingegen durch ein tieferes Verständnis der Lebenszusammenhänge.
Wie kann man Identität genau definieren?
Identität ist grundsätzlich ein Zustand, der sich aus Erfahrungen und Entwicklungen des Menschen ausbildet und der seine Wurzel und Wichtigkeit aus der Existenz der Urangst und des menschlichen Baukastens bezieht.
Mit der Geburt ist die identitätsgemäße Verfassung noch in einem rudimentären Stadium und nur durch Rahmenbedingungen wie u.a. Familienkonstellation, Lebensumfeld und -bedingungen vorgezeichnet. In der Folge ergibt sich Identität als Ergebnis- bzw. Bilanzsumme vieler unterschiedlicher Faktoren in einem langfristigen Entwicklungsprozess. An dessen Ende steht der spezielle Status quo der Persönlichkeit, wobei immer die Basis - im Sinne eines Fundaments - im frühkindlichen Zeitfenster geschaffen wird.
Wenn die entsprechenden Grundlagen durch Grundbedürfniserfüllungen nicht gelegt werden, dann kann sich in den anschließenden Entwicklungsphasen keine gesunde und ausgewogene Identität bilden, da der Grundstein fehlt, um weiter identitätsgemäße Substanz aufbauen zu können und der Betroffene ein lebenslanges Mangelgefühl hat, welches nach Ersatz/Kompensation verlangt (Stichwort: Suche nach Gleichartigkeit).
Hier ist als besonders erforderliche Voraussetzung die bedingungslose Annahme des Kindes durch die Eltern zu nennen, also explizit die Akzeptanz von Geburt an ohne irgendwelche Gegenleistungen und Erfüllungsmuster wie Aussehen, Geschlecht oder Verhalten seitens des Kindes. Konkrete Vorstellungen der Eltern darf es nicht geben.
Das Produkt respektive Ergebnis „Identität“ gibt nicht nur das Wissen um die eigene Person wieder, sondern definiert diese Person auch für seine Umwelt (Innen- und Außensicht). Eine gesunde identitätsgemäße Verfassung führt – im Optimalfall – die eigentlich von ihrem Grundsatz konträren und gespaltenen Existenzformen – nämlich das Bewusstsein und das Rationale einerseits, das Unbewusste und das automatisch Gesteuerte andererseits -, zu einer Einheit zusammen und hebt diesbezügliche Widersprüche auf (Stichwort: integrativer Moment).
Überspitzt formuliert: Die Identität ist der Kern, die Essenz und die Substanz (geistiger und psychischer Natur) eines jeden einzelnen Menschen und die jeweilige Konstitution spiegelt die Menge, Qualität und Stärke der Bedürfnis erfüllenden und identitätsstiftenden Faktoren wider, die ein Mensch während seines Werdegangs erhalten hat.
Die Grundlage der Identität stellt deshalb die ausreichende Befriedigung der essenziellen, vom menschlichen Baukasten vorgegebenen Grundbedürfnisse dar, auf dem aufbauend dann die weiteren individuellen Lebensumstände (siehe „das Gebilde Mensch und die vier Identitätsproblematiken“) ihre Wirkung entfalten können.
Lebensziel und Endstadium: Intakte Identität
Eine intakte, weil echte und unverfälschte (und nicht fassadäre) Identität zeichnet sich durch Attribute wie bestandhaltige Stabilität, Dauerhaftigkeit, Strapazierfähigkeit, Solidität, Selbstsicherheit, Selbstehrlichkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Sensibilität, Unabhängigkeit, psychische und schöpferische/gestalterische Kraft und Stärke aus und ist im Ideal mit einer großen Reife (im Sinne von Reifung durch das Absolvieren und Abschließen der chronologisch ablaufenden Entwicklungsphasen; also kein Auslassen, Verkürzen oder Überspringen wichtiger Entwicklungsprozesse, die im gegenteiligen Fall zwangsläufig infantile Verhaltensformen ergeben würden) und Mehrdimensionalität (breit und somit stabil angelegte Identitätsstruktur, die nicht lediglich auf einen Persönlichkeitsschwerpunkt aufgebaut ist) versehen.
Eine gesunde Identität drückt nicht nur eine ausgeglichene physische und psychische Befindlichkeit aus, sondern umfasst zusätzlich eine überdurchschnittliche Grundkenntnis und ein tieferes Verständnis für die Funktionsweise des menschlichen Systems – ebenfalls bezüglich deren Kausalitäten und Abhängigkeiten - und daraus folglich eine weitgehend realistische Einschätzung der jeweiligen individuellen Fähig- und Möglichkeiten.
Mit anderen Worten: Der Mensch muss sich selbst bezüglich seines Zustandes nichts vormachen und der Umwelt nicht etwas vorspielen.
Die Stabilität der persönlichen Identität ist mitunter deshalb so wichtig, weil sie in der Lebenswirklichkeit ständigen Angriffen und Infragestellungen von außen sowohl vom nahen wie auch weiteren Umfeld - ob seitens der Familie, des Bekannten- oder Freundeskreises, der Arbeitskollegen, etc. - ausgesetzt ist.
Eine hohe Widerstandsfähigkeit macht sie weitgehend unangreifbar und schützt damit ihren Bestand (Selbstschutz).
Eine intakte Identität stellt demnach für die Zukunft auch eine Schutzreserve dar.
Falls der Mensch nur eine instabile Identität ausbilden konnte, dann ist er nicht nur mit externen Angriffen konfrontiert, vielmehr auch mit internen in Form des psychischen Drucks durch die Nichtbefriedigung der Grundbedürfnisse.
Explizit muss herausgehoben werden, dass wirkliche Stabilität nicht nur die Seite der Stärke beinhaltet, hingegen das ganze Spektrum der individuellen Charaktereigenschaften, ergo genauso das Bewusstsein und das Eingeständnis von u. a. Schwäche, Defiziten, Hilfsbedürftigkeit und Problemen. Erst wenn dieser Realismus existiert und die identitätsgemäße Verfassung den entsprechenden Belastungen aus der kompletten Persönlichkeitsbandbreite standhält, ist die Identität als beständig und sicher anzusehen.
Der Mensch kommt dadurch in die Lage, die immer wieder auftretenden Lebensprobleme leichter und nachhaltiger meistern zu können, ohne dass er gleich seine ganze Person und Existenz infrage stellen muss und in eine Identitätskrise gerät, die seine Funktionsfähigkeit maßgeblich ein- und beschränken würde.
Die Identität ist umso stärker, vitaler und robuster, je direkter, unmittelbarer, klarer und ungeschönter die Beziehung und Verbindung zu sich selbst besteht, also je weniger der Zugang durch Verdrängungen, Rationalisierungen und Kompensationen behindert wird und je aufgeschlossener und daher effektiver das Bewusstsein als reflektierender, regulativer und verändernder Faktor wirken kann.
Je größer die Einheit respektive der Gleichklang von Denken, Fühlen und Sein, von Geist, Körper und Natur (Lebensumfeld, Lebensbedingungen, Ressourcenverbrauch; Beziehung zur Natur) ist, je intensiver die oftmals gegensätzlichen Elemente Ratio und Sentiment zusammengeführt und ausgeglichen bzw. nivelliert werden, desto entspannter, zufriedener und störungsfreier kann die persönliche Lebensführung funktionieren.
Grundvoraussetzung zur Erlangung dieser inneren Einheit ist – wie oben bereits erwähnt - die Fähigkeit zur schonungslosen Analyse und Beurteilung der eigenen Person (Selbstkritik), folglich die möglichst realistische Einschätzung und Bewertung persönlicher Stärken, Begabungen, Schwächen, Defizite und Grenzen, der familiären und gesellschaftlichen Herkunft, Prägungen und externen Beeinflussungen.
Diese Authentizität im Sinne von Echtheit ist nicht auf Widersprüchen, Unwahrheiten, rationalisierenden Beschönigungen und Selbsttäuschungen (Stichwort: Fassade) aufgebaut und macht die eigene Person für sich selbst, aber gleichfalls für seine Umwelt, glaubwürdig und vertrauensvoll.
Diese Fähigkeit der dauerhaften und nicht nur kurzfristigen, ausschließlich intellektuell motivierten, aber psychisch nicht (mit) getragenen Einsicht ist nur dann gegeben, wenn die eigene Existenz und Identität einen hohen Grad an Stabilität und somit Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen, Impulsen und Stützen erreicht haben. Der Mensch steht für sich selbst.
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