Ich weiß keine gute Antwort darauf, also befolge ich weiter ihre Wünsche und sie senkt entspannt den Kopf und schließt die Augen.
Plötzlich huscht etwas Flinkes unter den Köpfen der Einhörner entlang und Luna tritt erschrocken ein paar Schritte zurück.
Ich erkenne ein kleines Mädchen, das einen fetten Kater mit sich herumschleppt.
Maya, erinnere ich mich, Andys kleine Cousine. Ich hatte schon fast nicht mehr an sie gedacht, dabei wird sie vielleicht wieder etwas mehr Freude in die Familie Davis bringen.
Freundlich lächele ich das Mädchen an, aber ihre schwarzen Augen blicken erstaunt. Sie sagt etwas zu mir auf Spanisch und ich frage sie, ob sie Maya ist. Sie nickt, auch wenn sie wohl nicht mehr als den Namen verstanden hat. Und der Kater heißt Bartolo, erklärt sie mit einem Fingerzeig. Ich nicke freundlich, das weiß ich bereits. „Es bedeutet Faulpelz“, erkläre ich, aber das Mädchen sieht mich fragend an.
„Was für eine fette Katze!“, lacht Dina, als sie mit ihrem Sattel an uns vorbeigeht, und deutet auf den dichten, roten Pelz. Das Mädchen sieht verunsichert aus.
Ich frage sie, ob sie Luna streicheln möchte und versuche, ihr mit den Händen zu zeigen, was ich meine. Jetzt lächelt sie und kommt langsam näher. Als sie die kleine Hand nach dem weißen Fell ausstreckt, beugt Luna den Hals und beschnuppert sie vorsichtig. Ihre Stirn beginnt sanft zu leuchten und die Augen des Mädchens werden weit.
„Maravilloso“, wispert sie und legt die Finger behutsam auf die Stelle, wo das Licht ist.
„Kannst du es sehen?“, frage ich.
Sie blickt mich noch immer mit großen Augen an.
„Sie ist ein Kind“, sagt Brendan leise hinter mir. „Sie hat Fantasie und kann noch träumen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie es könnte!“
Ich verstehe, was er meint, aber ich habe noch nie darüber nachgedacht. „Glaubst du, alle Kinder können die Einhörner erkennen?“
Er nickt. „Es würde einen gewissen Sinn ergeben, findest du nicht?“
Als Dina zurückkommt, redet sie von dem Konzert heute Abend. Anscheinend hat sie sich noch immer nicht für ein Outfit entschieden. An der Art, wie sie mich um Hilfe anfleht, erkenne ich, dass Leo ihr doch wichtiger sein muss, als sie vorgibt. Ich versuche, mich in ihre Gedanken hineinzuversetzen, aber dabei blicke ich immer wieder zu dem Mädchen und zu den Einhörnern und frage mich, was uns noch erwartet. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl dabei, sie alleinzulassen.
Die Abendsonne versinkt hinterm Horizont, als ich Gillian wecke. Ich küsse ihren Hals und hole sie sanft aus ihrem Schlaf. Sie reibt sich die Augen.
„Aber es ist noch gar nicht Mitternacht ...“
Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar und flüstere ihr ins Ohr: „Die Dämmerung setzt ein, Liebes. Hast du vergessen, dass ich dich heute ausführen wollte?“
„Ausführen? “ Sie gähnt. „Deine verrückten Pläne!“
Ich ignoriere ihre Bemerkung und raune leise: „Aber du liebst es doch, deine schönen Kleider zu tragen ...“
Sie dreht sich von mir weg. „Lass uns weiterschlafen!“
Meine Hand gleitet über ihren Körper und ich betrachte eingehend jede einzelne Falte des leichten Stoffs, der sie umhüllt. Sie seufzt und schmiegt sich wieder an mich. Aber ich packe ihr Handgelenk und zwinge sie, mich anzusehen.
„Bitte steh auf“, sage ich ruhig, „es ist wichtig!“
Sie zieht ihren Arm fort und zeigt mir die Zähne. „Wichtig? Wofür? Wieder diese irrsinnige Idee?“
Ich fauche zurück. „Du wirst mir dankbar dafür sein, glaube mir! Sie wird alle unsere Probleme lösen!“
Ich steige aus dem Sarkophag und reiche ihr die Hand.
Sie schnaubt. „Wir haben keine Probleme.“
„Gut. Dann bleib hier, ich werde allein gehen.“
„Nein!“, sagt sie schnell. Mit einem eleganten Sprung ist sie wieder bei mir. „Ich will sie sehen! Ich will ihre Angst spüren!“ Ihre Augen leuchten. „Nehmen wir Swift mit?“
„Nein“, entscheide ich, „er ist zu unbeherrscht, lass ihn bei den Wölfen!“
Sie trennt sich nur schwer von ihrem untoten Hund, der seit dem Biss durch einen Werwolf völlig durchgedreht ist. Ihr Glück ist, dass er ihr gehorcht, sonst hätte ich ihn schon längst getötet. Gillian erkennt, dass ich von ihr ein Opfer fordere, und sie gewährt es mir widerwillig.
In ihrer Truhe sucht sie nach einem Kleid. Ich lehne mich an den Fensterrahmen und beobachte sie, wie sie eines nach dem anderen herausnimmt und hin- und her dreht: Das Blaue, das Rote, das Schwarze ...
Fragend sieht sie mich an. „Das Blaue?“
„Ich weiß, warum ich dich so früh geweckt habe“, stöhne ich. Ich nicke, aber mache keine Anstalten, ihr zu helfen. Seit sie den Paravent im Kloster zurücklassen musste, kann sie sich nicht mehr vor mir verstecken, wenn sie sich umzieht. Ich genieße, wie sie sich schüchtern zur Wand dreht, obwohl sie genau weiß, dass meine Augen auf ihr ruhen.
Als sie fertig ist, kommt sie ein paar Schritte auf mich zu und hält das Kleid mit beiden Händen an ihren Körper gepresst. Es ist sehr modern und sehr eng und es betont sagenhaft ihre Augenfarbe.
„Bezaubernd“, sage ich und schließe ihren Reißverschluss.
Mit einer Hand greift sie in ihre Locken und steckt sie mit einer Nadel fest.
Ich berühre ihren Nacken mit den Lippen und ziehe sie eng an mich heran.
„Du bist wunderschön, habe ich dir das schon einmal gesagt?“, flüstere ich.
„Ich kann mich nicht erinnern“, antwortet sie unschuldig. Dann dreht sie sich von mir fort und lächelt verführerisch. „Gehen wir!“
Ich seufze. Sie weiß genau, wie sie mich schwach macht.
Ich steige auf den Fenstersims und sie folgt mir langsam. Als sie neben mir steht, lege ich meinen Mantel um sie und sie hält sich an mir fest. Dann lassen wir uns fallen.
Wir stürzen kopfüber an der Mauer des alten Turms hinab, tiefer und tiefer, bis wir auf beiden Beinen zwischen den Gräbern landen.
Gillian lässt mich nicht los – an einige Dinge hat sie sich noch immer nicht gewöhnt. Ich nehme ihre Hand und führe sie vorbei an den Gruften, einen ausgetretenen Weg entlang, der auf beiden Seiten von verwilderten Rosen gesäumt ist.
Die anderen Vampire schlafen noch. Ich höre den Hund in seinem Mausoleum winseln, aber ich befreie ihn nicht. Gillian sieht mich böse an, aber ich setze mein charmantestes Lächeln auf.
„Wir nehmen ihn das nächste Mal wieder mit, Liebes. Heute kann er mit den Wölfen spielen.“
Sie überlegt, ob sie mir widersprechen soll. Schließlich meint sie: „Vielleicht greifen sie uns an. Er könnte uns helfen, genau wie die Wölfe!“
„Wir brauchen ihre Hilfe nicht.“
Sie sagt nichts mehr. Stattdessen wirft sie das Tor hinter uns zu und folgt mir über die Straße zu einem Taxistand.
Als ich ihr die Tür öffne, höre ich irgendwo am Ende der Allee einen Hufschlag – viel zu leise für das menschliche Ohr. Auch Gillian hält inne und blickt mich erschrocken an.
„Ist das die Kutsche?“
Ich nicke und schiebe sie in das Auto.
Der Fahrer dreht das Radio leiser und startet den Wagen, als die Kutsche sich nähert. In der Finsternis erkennen wir die beiden Rappen, die aussehen wie Höllenpferde. Ihre Augen leuchten rot und Schaum steht vor ihrem Maul, die Eisen an ihren Hufen schlagen schallend auf den Asphalt, ihre Hälse sind nass vor Schweiß und der Vampir auf dem Kutschbock lässt noch immer die Peitsche knallen, um sie voranzutreiben.
Als sie uns passieren, wenden Gillian und ich uns ab; erst danach blicken wir zurück, um herauszufinden, wohin sie fahren.
„Er ist früh auf“, stelle ich fest und bemühe mich, meine Stimme kühl klingen zu lassen, um Gillian meine Überlegenheit zu zeigen. „Ein bisschen konservativ, dieses Gefährt, findest du nicht?“
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