Andy nimmt ihre andere Hand und versucht ebenfalls, sie aufzumuntern. „Du könntest danach herkommen“, beginnt er und sieht sie von der Seite an, „und bei mir bleiben ...“
„Du meinst über Nacht?“, frage ich entrüstet und viel lauter als nötig. „Das wird aber zuerst mit der Anstandstante besprochen!“ Ich grinse sie an und Piper schmunzelt.
Aber dann sagt sie: „Ich fürchte, meine gute Erziehung wird mir das nicht erlauben!“
Andy blickt verärgert auf seine Schuhspitzen, als er weitergeht. „Trägt deine gute Erziehung vielleicht scharfe Sporen und einen Südstaatenhut?“
Piper seufzt. „Meine Mutter gibt leider viel zu viel auf seine Meinung.“
„Immer noch dieselben Probleme mit Danny?“, seufze ich.
„Du ahnst gar nicht, was er sich heute Morgen wieder geleistet hat!“, deutet Andy an, aber als ich ihn frage, was er meint, schüttelt er nur den Kopf und Piper erklärt, dass es völlig bedeutungslos ist. Sie sieht aus, als ob sie Andy damit beruhigen wollte.
Um nicht weiter in der Wunde zu stochern, lenke ich vom Thema ab. „Sag mal, wie siehst du überhaupt aus, Piper?“, frage ich grinsend und zupfe an den Fransen ihres Ponchos.
Jetzt lächelt sie wieder. „Den hat mir Celeste gegeben, sie hatte wohl Angst, dass ich sonst erfriere! Ihr habt wirklich eine tolle Mutter!“, sagt sie zu Andy, aber als er etwas erwidern will, bleibt Robin plötzlich wie angewurzelt stehen. Beinahe wäre sein Pferd in Brendan hineingelaufen, der mit seinem Einhorn wie aus heiterem Himmel vor uns mitten auf dem Weg auftaucht.
„¡Malhaya!“, flucht Robin, als sein Pferd sich losreißt. „Bist du verrückt geworden?“
Brendan springt sofort aus dem Sattel, um ihm zu helfen, aber Andy ist schneller und fängt die Stute wieder ein.
„Tut mir leid“, murmelt Brendan, aber Robin reißt seinem Bruder den Strick aus der Hand und meint: „Ach, vergiss es, halb so wild!“ Dann deutet er auf Brendans Kopf. „Sag mal, hast du dich auf deinen Hut gesetzt, oder bist du in eurem niedrigen Stall aufgestiegen?“
Brendan tastet mit den Händen nach der Beule im Filz und nimmt den Hut ab, um ihn wieder zu richten. „Was? Nein ich bin gegen einen Baum gestoßen ...“, erklärt er. „Ich muss unbedingt mit euch reden!“
„Ich habe gehört, dass du auf unsere Schule wechselst!“, sage ich, um ihm zu gratulieren, aber er winkt ab, als wäre das völlig unbedeutend.
„Das kann ich euch später erklären. Wir hatten gerade eine sehr beunruhigende Begegnung am Wald.“ Er wendet sein Einhorn und geht mit uns zum Stall.
„Ihr wart im Wolf Forest?“, fragt Piper alarmiert. Anscheinend kann sie am besten deuten, was genau Brendan mit sehr beunruhigend meint.
„Nur am Waldrand!“, sagt er schnell. „Aber ich musste die Zeit anhalten, deswegen war ich so plötzlich hier.“ Er schickt einen entschuldigenden Blick zu Robin.
„Warum war das nötig?“, fragt Andy fast sachlich, aber seine Zügen wirken angespannt.
„Wir haben einen Werwolf gesehen“, erklärt Brendan zögerlich. „Er hat versucht, uns anzugreifen, also musste ich schnell handeln. Ich habe befürchtet, er könnte uns folgen, also bin ich vorsichtshalber bis hierher geritten, bevor ich die Starre gelöst habe.“ Er mustert sorgfältig die Umgebung, als könnte der Wolf ihm noch immer gefährlich werden.
„Ein Werwolf? Mitten am Tag?“, frage ich. „Wie kann das sein?“
„Keine Ahnung, wie das sein kann!“, fährt er mich an. „Ich weiß nur, was ich gesehen habe.“
„Und was meint Justo dazu?“, fragt Piper, während Robin sein Pferd in den Laufstall bringt.
„Er glaubt nicht, dass es einer war“, gibt Brendan zu, aber er vermeidet es, mich anzusehen. „Er behauptet, es wäre irgendein Wesen ...“ Brendans Einhorn schnaubt, protestierend über seinen Tonfall und schubst ihn mit der Nase.
„Tja, wenn er das sagt ...“, murmele ich leise.
„Mich würde einfach interessieren, was ihr davon haltet“, erklärt Brendan. In seiner Stimme liegt eine ungewohnte Entschlossenheit. Aber vielleicht ist es auch Angst. Ich versuche, Argumente zu finden, die gegen einen Werwolf sprechen, aber Brendan blickt mich herausfordernd an. „Warum hast du denn davon nichts gewusst? Hattest du vielleicht eine Vision, von der du uns nichts erzählt hast?“
Ich rechtfertige mich. „Natürlich hätte ich euch davon erzählt! Vermutlich heißt das nur, dass es überhaupt nichts zu bedeuten hat, und dass du nichts weiter als einen harmlosen Kojoten gesehen hast, der dir mal wieder Angst einjagte!“
Brendan schüttelt lange den Kopf, dann blickt er zu Andy, der genauso nachdenklich aussieht. „Es war kein Kojote, da bin ich mir ganz sicher“, betont er noch einmal. „Dafür war er viel zu aggressiv, er ist auf uns zugerannt!“ Ich versuche, mir die Szene vorzustellen. „Es muss etwas Übernatürliches gewesen sein, sonst hätte Justo keine Aura gespürt.“
„Was kann das bedeuten?“, überlegt Piper laut.
Andy sieht aus, als ob er ihr gern eine beruhigende Antwort geben würde. Aber er meint: „Auf jeden Fall müssen wir die Augen offenhalten!“
Ich fühle mich schuldig und überlege, ob ich irgendeinen Hinweis übersehen oder verdrängt haben könnte, aber mir fällt nichts ein. Fast kann ich es nicht glauben. Ist es tatsächlich noch nicht vorbei?
Als ich am Freitagmorgen mit den Anderen zum Wolf Forest reite, spüre ich die Anspannung meines Einhorns. Luna beißt angespannt auf ihre Trense, während sie nachdenkt, und ihr Trab wirft mich hart in den Sattel.
Mein Blick schweift den Waldrand entlang: Wie eine undurchdringliche Wand stehen die Bäume vor mir, finster und drohend, als flüsterten sie: „Bleibt fern!“
Brendan zeigt uns die Stelle, wo er den Werwolf gesehen hat, und sein Pferd Justo ist genauso unruhig wie Luna und tänzelt auf der Stelle.
„Erkennt ihr etwas?“, frage ich, aber Luna spielt nur unsicher mit den Ohren.
Die Aura ist noch zu spüren, meint sie, aber das Tier ist fort. Wir könnten seiner Spur folgen ...
Ich frage Brendan danach, aber er schüttelt den Kopf.
„Reiten wir lieber zurück!“, sagt er. „Hier finden wir nichts mehr.“
Ich nicke und Robin und Andy zucken mit den Schultern. Dina ist froh, dass sie nicht in den Wald muss, und wendet Fortuna augenblicklich.
Auf dem Weg zurück lassen wir die Einhörner laufen. Luna wirft den Kopf voll Übermut und Dina überholt uns im gestreckten Galopp. Ich lächele, als ihr Einhorn an uns vorüberfliegt, die Mähne im Wind wehend und die Hufe auf den Boden schlagend, als gäbe es kein Morgen.
Andy reitet hinter mir und beobachtet mich. Ich höre ihn lachen, als Luna immer flacher und länger wird. In diesem Moment möchte ich wirklich gern glauben, dass mein Leben wunderschön ist. Dass meine Sorgen einfach verschwinden können. Ich genieße das Gefühl von Freiheit, das wir nur hier haben. Danny, der Wolf und die Vampire sind so weit weg, dass ich nichts sehe, außer Andy, der im Morgengrauen der Sonne entgegen reitet und viel zu unbeschwert lacht, angesichts des Verlustes, den er erleiden musste.
Auf der Ranch herrscht bereits geschäftiges Treiben. Jeremy Davis führt eine Schar potentieller Pferdekäufer über den Hof und zeigt ihnen die Fohlen. Als er Robin und Andy sieht, winkt er sie heran, und sie legen die Zügel ihrer Pferde auf den Boden, um ihnen zu zeigen, dass sie warten sollen.
Während sie die neue Stute Bruja aus dem Paddock holen, sattele ich ihre Einhörner ab.
Luna beschwert sich über ein Steinchen in ihrem Huf und ich massiere ihre Sattellage, um Muskelkater vorzubeugen.
„Du bist wirklich ein empfindliches Einhorn!“, sage ich grinsend.
Sie schnaubt empört. Was würdest du sagen, wenn du mich ständig tragen müsstest?
Читать дальше