Da er allein ist, kann er beim Frühstück einen Blick in die Lokalzeitung werfen, die für Silke abonniert worden ist. Selber liest er kaum Zeitungen, dafür hat er seine Presseleute. Er holt die Zeitung und geht in die Küche. Müsli und schwarzer Kaffee sind schon am Vortag von der Haushälterin vorbereitet worden. Die Schlagzeile wird von der Eintracht geliefert, der Traditionsverein steht vor dem Abstieg und damit nicht nur vor dem sportlichen Bankrott. Obwohl über Jahre hinweg für viele Millionen immer wieder neue Spieler eingekauft worden waren, bleibt die Eintracht in der unteren Hälfte der Tabelle hängen. Die Stadtsparkasse hatte sich für weitere Kredite das Stadion verpfänden lassen und als das nicht mehr reichte, sollte die Stadt einspringen. Die ist natürlich selber überschuldet, man hätte die Förderung des Breitensports weiter einschränken müssen. Die Sportvereine toben, während die Unterstützer der Eintracht auf die Gelder verweisen, die die Besucher von auswärts in der Stadt lassen und überhaupt sei es für das Ansehen einer Landeshauptstadt unerlässlich, einen Verein in der Bundesliga zu haben. Die Stadt hatte das zum Anlass genommen, den Schwarzen Peter weiter zu reichen und das Land in die Pflicht zu nehmen. Das hatte er abschmettern können, hatte doch die Eintracht im Land noch einen erfolgreicheren Rivalen, das Land musste unparteiisch bleiben und durfte nicht einen der beiden Vereine bevorzugen. Schließlich hatte die Stadt das Stadion der Eintracht für einen sehr freundschaftlichen Preis abgekauft; er mochte lieber nicht wissen, wie der zustande gekommen war. Nach Tilgung der Schulden war der Eintracht noch etwas übrig geblieben, und offensichtlich – in diesem Fall neigt er dazu, den Medien zu vertrauen – wieder vergeudet worden. Also würde da demnächst wieder etwas auf ihn zukommen.
Dann fällt ihm noch der Untertitel eines Artikels über die Landesbühne auf: Frau Wittrock gehöre zu den besten Regisseuren Deutschlands. Das klingt erfreulich, also kann er darauf verzichten, das näher zu lesen, inzwischen beginnt die Zeit zu drängen. Aber ist das korrekt formuliert, zu den besten Regisseuren? Als junger Referendar hatte er es bei einem Notar durchgesetzt, dass in Kaufverträgen einzelne Frauen auch so genannt wurden, also die Käuferin und nicht der Käufer. Inzwischen muss er sich in seinen Reden (und, um es ja nie falsch zu sagen, auch in seinen Gesprächen) zu Zungenbrechern wie Bürgerinnen und Bürger zwingen. Also hier: zu den besten Regisseurinnen? Kann als abwertende Ironie aufgefasst werden. Also doch: zu den besten Regisseurinnen und Regisseuren Deutschlands? Oder, nachdem aus den Studentinnen und Studenten Studierende geworden waren, zu den besten Regierenden, und das natürlich französisch weich ausgesprochen. Seine Laune bessert sich.
Zur vereinbarten Zeit fährt der Dienstwagen vor, sein Pressesprecher sitzt schon drin, er wirkt unruhig. „ Guten Morgen, Mike, was gibt es?“ „ Hast du denn noch nichts davon gehört? Seit einer Stunde wird der Verlag und die Redaktion des Brennpunkts auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durchsucht. Angeblich dringender Verdacht auf finanzielle Unregelmäßigkeiten, Steuerhinterziehung, Schwarzgeld in der Schweiz, weißt du irgendwas davon? Wie und warum auch immer, es wird ein Erdbeben geben, die Medien werden toben, für die heutigen Zeitungen ist es natürlich zu spät, umso mehr wird sich das Fernsehen ins Zeug legen. Die Wüllner wird sich eine solche Steilvorlage nicht entgehen lassen, und mutige Journalistin im Antlitz der Macht spielen.“
Im Grunde seines Herzens hasst Peter Wegner Journalisten, aber das darf er natürlich nicht zeigen. Er bezweifelt auch manchmal, ob seine schauspielerischen Fähigkeiten ausreichten, einen für Politiker notwendigen unbefangenen Umgang mit den Medien wenigstens vorzutäuschen. Ohne Mike hätte er das nicht schaffen können. Privat duzen sie sich, in der Öffentlichkeit reden sie sich mit Herr Ministerpräsident bzw. Herr Richter an. Mike Richter ist ungewöhnlich breit gebildet. Er hatte zunächst Geschichte und Philosophie studiert und sich dann aus Bildungshunger noch mit Natur- und Wirtschaftswissenschaften beschäftigt. Nur in seltenen Fällen kann er Fragen nicht gleich beantworten, aber dann weiß er wenigstens, wo man weiter nachforschen muss. Dazu ist er klug, umsichtig, hört das Gras wachsen und kann sich gut in Andere einfühlen.
Für eine erfolgreiche Karriere in der Politik ist die Fähigkeit unerlässlich, auftretende Probleme richtig einzuordnen: Da gibt es welche, die sich von selber erledigen werden, wenn man sich zurückhält, keine unnötige Aufmerksamkeit erregt und die Dinge laufen lässt. „Nicht einmal ignorieren.“ In anderen Fällen muss sofort entschlossen gehandelt werden, um zu verhindern, dass ein noch operables Geschwür krebsartig zu wuchern beginnt. Wegner ist überzeugt, das ganz gut zu beherrschen, aber es kann nie schaden, sich von jemandem beraten zu lassen, dem man vertraut. Manchmal fragt er sich, warum Mike Richter seine Talente als Pressesprecher verschwendet, anstatt selber aktiv in die Politik zu gehen. Aber er ist wohl eher ein Betrachter als ein Macher, ihm fehlen die Ellenbogen. Deswegen hatte er sich auch als Chef des Feuilletons innerhalb der Redaktion des Tageblatts nicht durchsetzen können und hatte das Angebot angenommen, Wegners Pressesprecher zu werden. Weil er freundlich ist, traut man ihm nichts Böses zu und richtige Feinde hat er keine. Gerade das macht ihn wertvoll.
„Überraschungen am frühen Morgen, das fehlt noch. Aber ich weiß wirklich nichts von dieser Aktion gegen den Brennpunkt. Muss ich doch auch nicht, darf ich doch sogar nicht, die Justiz ist doch unabhängig.“ „Und wenn die Staatsanwaltschaft eine Weisung aus dem Justizministerium erhalten hat?“ „Nicht unwahrscheinlich, wenn es um heikle Angelegenheiten geht, die die Pressefreiheit berühren, könnte man sich zumindest um Rückversicherung bemüht haben. Bei mir aber jedenfalls nicht.“ „Du wirst also auf die Unabhängigkeit der Justiz verweisen, die ja auch sicher bald eine Erklärung abgeben wird.“ „Genau so, wir können nur hoffen, dass die wirklich etwas Belastendes beim Brennpunkt finden. Hast du irgendeine Ahnung um was es sich handeln könnte?“ „Schwarzgeld, Steuerbetrug, keine Ahnung, das ist doch eher was für Buchhalter. Ich hätte eher vermutet, dass es um etwas Journalistisches geht. Der Brennpunkt weiß fürchterlich viel, ich kann mir vorstellen, dass die in Behörden und sogar bei der Polizei schmieren.“ „Umgekehrt geht es doch leider auch, wenn eitle Staatsanwälte das Fernsehen zu Hausdurchsuchungen einladen.“
In dem vor einigen Tagen vereinbarten Interview soll es um das EWERK gehen, den größten Stromversorger im Land. Eigentümer sind seit langem zu etwa je einem Fünftel zwei Energiekonzerne, die Nordstrom und die Elektra , sowie das Land mit einer Sperrminorität von einem Viertel plus einer Aktie, der Rest, etwa ein Drittel, befindet sich in Streubesitz. Im Aufsichtsrat wird das Land von Peter Wegner als Ministerpräsident und von der Wirtschaftsministerin vertreten, für die Nordstrom und die Elektra treten als starke Männer deren Vorstandsvorsitzende Wiedemann und Plech auf. Die Besitzverhältnisse waren seit Jahrzehnten unverändert, der Gewinn und die Dividende stabil, was auch kaum anders sein kann, weil das EWERK im Land und in angrenzenden Gebieten trotz aller europäischen Regeln immer noch ein Monopol hat. Die Aktie war ein typisches Witwen- und Waisenpapier, bis sich seit einigen Wochen Auffälligkeiten zeigten. Gerade an schwachen Börsentagen waren EWERK- Aktien gesucht, was auf einen strategischen Käufer deutete. Die Nordstrom hatte sich sehr mutig nach Osten ausgedehnt und dabei beträchtliche Bankschulden aufgehäuft. Die Elektra könnte das ausnutzen, um die Mehrheit beim EWERK zu erwerben. Aber dann wären sie spätestens zu einer Mitteilung verpflichtet, sobald sie 30% des Aktienkapitals kontrollierten. Damit hätten sie ihre Absichten offengelegt und es würde für sie teuer werden. Irgendwann sickerte dann etwas durch: Es gibt möglicherweise eine Lücke im Gesetz, die es der Elektra ermöglicht, sich anzuschleichen. Sie erwarben keine Aktien oder Optionen auf den späteren Kauf von Aktien, sondern sie vereinbarten mit Banken ein Geschäft mit Barausgleich, das durch Aktien abgesichert wurde. Als sich das verbreitete, nährten wilde Spekulationen ein Kursfeuerwerk. Da gab es die Mitläufer, die auf steigende Kurse wetteten und die ganz Schlauen, die darauf setzten, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen und es irgendwann einen Kurssturz geben müsse.
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