1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Fast wären Paul und Roger am Ende der U-Bahn-Treppe übereinander gestolpert. Ein kurzes Hallo und sie gingen zur Mariensäule um auf Peter zu warten, der in der Runde noch fehlte. Ihr Gespräch bezog sich auf den gestrigen Abend und dreht sich natürlich um den Eindruck über die einzelnen Teilnehmer, die gnadenlos einer respektlosen Kommentierung unterzogen werden. Nachdem zehn Minuten vergangen sind und Peter nirgendwo zu sehen ist, zückt Paul sein Handy und tippt eine Nummer. Er ließ es lange klingeln, bis sich endlich noch leicht verschlafen, eine weibliche Stimme mit einem knappen „Ja, bitte“ meldet.
Das kurze Telefonat mit Gabi ergibt, dass sie auf Peter nicht zu warten brauchen, der Gesuchte liege noch im Bett und schlafe seinen Rausch aus. Bei der Menge an Alkohol von gestern sei heute mit ihm nicht zu rechnen. „Ok, und was machen wir jetzt?“ Roger übernimmt die Regie und klärt mit Paul ab, wo sie hingehen. Auf die Frage „Frühstücken bei Dallmayr oder Weißwurst mit Bier“ entschied sich Paul für Letzteres. Beide wollen abseits der Menschenmassen an der Isar in einem zünftigen Biergarten ihren Durst löschen. Sie sind erst einige Minuten ihrem Ziel entgegen geschlendert, als Paul einen Vorschlag ins Gespräch einfließen lässt. „Komm, lass uns ins „Karl-Valentin-Musäum“ am Isartor gehen. Das ist richtig schräg.“
Sie stiegen die enge Treppe im Turm hinauf und fanden sich plötzlich in einer anderen Welt wieder. Viel los war am Vormittag wirklich noch nicht. Ihre Bestellung rufen sie im vorbeigehen der den Tresen polierenden Wirt zu. Zwei dunkle Bier, Weißwurst und Laugenbrezeln. Die Inhaberin oder Bedienung, so eindeutig ist das nicht auszumachen, schaut grantig zu den jungen Männern auf. So etwas kann sie am frühen Morgen schon gar nicht haben. Aber egal, schließlich ist es ihr Laden und sie lebt vom Umsatz und nicht vom ärgerlichen Argwohn ihrer Kundschaft gegenüber. So saudumme Lackel kommen ihr gerade recht, als sie es sich dann doch nicht verkneifen kann. Sie fragt mit einem Gesicht der reinsten Unschuld „soll ich die Würstl einpacken oder mechten die Herrn Studiosus vielleicht in aller Ruhe die Mahlzeit zu sich nehmen. Ganz wie es beliebt.“
Sie suchen nach diesem offensichtliche Rüffel sich einen Platz in Nähe eines kleinen Fensters. Roger ist zum ersten Mal hier. Er sieht sich um und hat für einen Augenblick seinen Mitstreiter fast vergessen. Schönes Lokal, nicht schlecht für den Anfang. Paul ist ganz aufgedreht, völlig aufgekratzt, als er beginnt in der Art eines Fremdenführers über den Namensgebers des Museums, das keines ist, zu dozieren. Roger kennt die komödiantische Ader an ihm und lässt seinen Freund Storys aus dem Leben von Karl Valentin rezitieren. Auf diese Art vergeht die Wartezeit bis das Männerfrühstück von der immer noch etwas beleidigten Kellnerin serviert wird. Lustig wird die improvisierte Vorstellung und Roger kann Paul gerade noch in die Schranken verweisen als dieser ansetzt um den bösen Blick der in der Nähe stehenden Bedienung zu kommentieren. Vielleicht ein guter Einstieg für ihr Vorhaben.
„Ah, das tut gut!“ Aus ihrer beider Münder kommt dieser Satz zeitgleich, als sie den ersten tiefen Schluck Bier durch ihre durstigen Kehlen jagen. Der Nachdurst vom gestrigen Abend kann nur so gelöscht werden. „Die Weißwürste sind ordentlich, nur die Brezn könnten knackiger sein, so latschert hab ich die nicht so gern.“ Paul scheint noch in der Rolle des Fremdenführers gefangen.
Roger lenkt mit einer unverfänglichen Frage das Gespräch in die von ihm gewünschte Richtung. „Das war doch Quatsch, was du gestern über deine Kunstfertigkeiten so von dir gegeben hast, wenn es so einfach wäre, würde ich glatt den Job wechseln!“ Paul horcht auf, bedenkt seine Antwort und erwidert: „In der heutigen Kunstszene regiert bei den Spitzenobjekten doch nur das Geld, du glaubst gar nicht, was heute für Höchstgebote bei Auktionen erzielt werden. Gemälde sind beste Renditeobjekte, die nicht gekauft werden um im Museum Horden von Grundschülern zu erfreuen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Wertsteigerungen innerhalb von wenigen Jahren, um ein Mehrfaches des ursprünglichen Kaufpreises, sind keine Seltenheit in der Branche. Die Objekte werden heute vermarktet, als wären es Autos oder andere Edelprodukte, aber immer nur unter dem Blickwinkel der Rendite. Natürlich gibt es die Kunstsammler, die ebenfalls um der Kunst willen Geld anlegen, doch das ist in eine andere Liga. Verstehst du was ich meine? Vieles ist in diesem Markt künstlich erzeugt und wird von interessierter Seite hochgejubelt. Alle machen mit, alle wollen verdienen.“
Roger hat mit seiner scheinbar belanglosen Frage das richtige Thema bei Paul angetippt. Der Fisch hatte angebissen. Er hat seinen Freund instinktiv richtig eingeschätzt. In ihm vermutet er eine latente Unzufriedenheit, die auf eine tiefe Frustration, ja Diskrepanz, zwischen seiner Arbeit als Restaurator und der Wertschätzung seiner Person von den Auftraggebern zurück zu führen sein könnte.
Beim Meeting am Donnerstag hatte Dick J. Forster auch davon gesprochen, dass es beim Verkauf nur darum ging, die Schwachstelle beim Interessenten aufzuspüren. Die Motivation, die Rechtfertigung um gerade dieses Produkt zu kaufen, sei nicht die vordergründige Aufgabe in der Werbung. Wenn das Interesse des Kunden geweckt sei, müssen die guten Gründe für die Kaufentscheidung im Prospekt niedergeschrieben sein. Roger spielt mit seinem Gesprächspartner. Wie bei einer Spirale kommt er immer wieder mit seinen kleinen Fragen und Anmerkungen zielgerichtet auf den Ausgangspunkt zurück. Paul ist in seinem Element und redet sich seinen Frust so richtig von der Seele, dankbar einen geduldigen Zuhörer gefunden zu haben. Er merkt nicht, wie er eingelullt wird.
Das Bier half sicher mit, dass am kleinen Tisch im „Musäum“ schon bald die gewagtesten Ideen diskutiert werden. „Man müsste, man sollte, eigentlich wäre es gar nicht so schwierig, einfach ….“ Langsam nähert sich Roger dem von ihm anvisierten Punkt seines Anliegens. „Und du kannst wirklich Bilder malen, die sich vom Original nicht unterscheiden lassen? Dass wären ja dann perfekte Fälschungen!“ wirft Roger in das Gespräch ein. Paul antwortet sofort: „Du Depp, ich rede nicht von Kopien, das ist ja banal, merkt jeder Blinde, du musst ein neues bisher der Fachwelt unbekanntes Ölgemälde wie aus dem Nichts aus dem Hut zaubern. Das bringt richtig Kohle. Mit einer passenden Hintergrundstory zur Entdeckung des neuen, entschuldige, alten Bildes lassen sich selbst honorige Fachleute hinters Licht führen. Profit verdirbt die Augen.“
Roger ist beeindruckt. Jetzt will er den Sack zu machen in dem er beiläufig, fast so, als wäre es ein Scherz, feststellt. “Wenn du dabei bist, machen wir das. Ich kenne einige Leute, die wir zur Unterstützung brauchen, dann ziehen wir die Nummer durch. Du, Paul, du bist der wichtigste im ganzen Unternehmen.“ Bingo,das hat gesessen. Paul fühlt sich von der Wendung der Unterhaltung geschmeichelt, hat er doch den Eindruck, eigentlich seien die Impulse von ihm ausgegangen und Roger hätte dem Ganzen nur zugestimmt.
Als Paul von der Toilette zurück an den Tisch kommt hat sich die Gastwirtschaft schon merklich gefüllt. Nahezu alle Tische sind besetzt. Er gibt der Wirtin ein Zeichen in dem er mit dem Zeigefinger und Daumen sein bezahlen wollen andeutet. „Roger, komm lass uns woanders weiter reden, hier sind zu viele Ohren, die mithören können.“ Leicht angeheitert trollen sich beide in Richtung Isar davon.
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Der Kellner der Eisdiele Dolomiti serviert den Cappuccino und stellt wortlos einen Aschenbecher auf den kleinen Tisch. Jan-Gustav hat einen Schattenplatz seitlich vom Eingang ausgesucht. Seine Mutter ist mit dem großen Weidenkorb losgezogen, um die Einkäufe für das morgige Sonntagsessen zu besorgen. Er begleitet sie gern am Wochenende. Schon als kleiner Junge ging er mit zum Viktualienmarkt. Im Moment ist es schick, direkt vom Erzeuger Gemüse und seinen Bergkäse nach eingehender Begutachtung beim Käsemacher seines Vertrauens zu kaufen. Seine Mutter steht in letzter Zeit voll auf Bio. Ihm ist das eigentlich egal. Schmecken muss es halt, da ist er nicht so wählerisch, ein Dogma macht Jan-Gustav aus dem Marktbesuch jedenfalls nicht.
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