Hermann Schunder
Neustart
Regionalroman Eifel und Pfalz
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hermann Schunder Neustart Regionalroman Eifel und Pfalz Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Impressum neobooks
Ludwigshafen – Wittlich Montag, 15. April 2013
Es ist noch früh an diesem Morgen. Die Augen nur leicht geöffnet, blickt er in Richtung des Fensters. Ihm war nach der unruhigen Nacht nicht wohl. In seinem Bauch verspürt er ein leichtes Grummeln. Nicht so richtig schlecht, eher eine leichte Benommenheit, eine Magenverstimmung vielleicht, mehr nicht.
In der kleinen Küche griff er automatisch, wie schon viele hundert Mal vorher, nach dem Schalter der Kaffeemaschine. Irgendwo musste doch noch die Schachtel mit den Kopfwehtabletten sein. Einen kleinen Vorrat gab es immer in einer der Schubladen. Bei all dem Durcheinander fand er erst nach einigem Wühlen wonach er suchte.
Heute müssen es Minimum zwei Brausetabletten sein, bei diesem Brummschädel half sonst nichts. Sprudel war alle, zur Not tat es auch Leitungswasser. Im Glas sprudelte es, die Sauerstoffperlen stoben zischend nach oben, suchten ihren Weg. Mit einem herzhaften Schluck leerte Joseph das Glas bis zur Neige und schüttelt sich augenblicklich. Ekliges Zeug, bah, aber wenn`s hilft. In seinem Mund blieb ein schaler Nachgeschmack zurück. Es kommt angeflogen, er glaubt sich übergeben zu müssen. Der Weg ins Bad ist aber nicht mehr zu schaffen. Also bleibt nichts anderes übrig, als sich über die Spüle in der Küche zu beugen. Besser auf das von gestern noch rumstehende Geschirr gekotzt, als die ganze Küchenzeile versaut. Es kommt dann doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Ein herzhafter, ganz aus der Tiefe kommender langer Rülpser drängt die Speiseröhre ungebremst nach oben. Der Magen wird augenblicklich durch die entweichende Luft entspannt. „Mahlzeit“ der übliche Spruch nach einer solchen animalischen Körperreaktion.
Die taube Zunge strich an der vorderen Zahnreihe innen entlang, bemüht den fühlbaren Belag so los zu werden. Es nützte nichts, keine Chance, aber was soll`s. Der Kaffee blubbert in der Kanne. Jetzt ein gutes Frühstück und er kommt schnell wieder in Ordnung. Kein Thema, das war immer so bei ihm, schon oft praktiziert. Beim Einschenken der schwarzen Brühe in die Tasse merkt er nicht, das er mehr wie sonst zittert, aber das ist ja auch egal, tut nichts zur Sache.
Der Kaffee ist heiß, tut ihm gut, weckt die Lebensgeister, gibt neue Kraft. Der schale Nachgeschmack der Brausetabletten ist auch weg. Geht doch, Joseph hat den gestrigen Abend mit seinen Kollegen schon fast weggesteckt. Es ist ziemlich spät geworden bei seiner nachträglichen Geburtstagsfeier. Warum musste er auch zu vorgerückter Stunde noch unbedingt von Bier auf Rotwein umsteigen? Und dann am Ende auch noch das vermaledeite auf Brüderschaft trinken. Ein Küsschen und ein kleines Schnäpschen, ex und weg, das geht unweigerlich auf die Kondition. Saufen war er nicht mehr gewöhnt. Ihm fehlte die Übung, seit er wieder aus dem Krankenhaus raus war. Aber was soll`s, 56 wird man nur einmal im Leben; meistens jedenfalls.
Die Brötchen im Backofen hätte er beinahe vergessen. Als er die aufgebackenen Teiglinge mit der Hand herausnimmt, verbrennt er sich leicht, wirft fluchend das doch etwas dunkel gewordene Erzeugnis deutscher Backkunst auf die Herdplatte und bläst auf die schmerzende Handfläche, so wie es früher immer seine Mutter machte, als ob dies etwas nützen würde. Kaltes Leitungswasser hätte besser gekühlt.
Liebevoll deckt er für sich den Tisch. Auf dieses allmorgentliche Ritual legt er Wert, auch wenn er allein hier Platz nimmt, mit einem gepflegten Frühstück fängt der Tag gut an, sich hier Zeit zu lassen, das lohnt sich, diese Viertelstunde nimmt er sich. Auch heute, an diesem bedeutungsvollen Tag, jetzt da er sich entschlossen hat, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Eine Auszeit, ein Neustart, warum eigentlich nicht. Etwas Bammel vor dem Neuen, Unbekannten hat er schon, ob das in seinem Alter glücken kann? Da ist sich Joseph unsicher, aber wenn er jetzt nicht mit einem Schlag sein Leben umkrempelt, dann landet er unweigerlich in der Gosse, da ist er sich ganz sicher, dann ist es vorbei mit ihm, die Kraft fehlt eigentlich schon jetzt für ein solch gewagtes Experiment.
Lange wollte er es nach seinem schweren Dienstunfall nicht wahrhaben, die Ärzte im Unfallkrankenhaus und später in der Reha-Klinik sprachen ihn darauf an, gaben Tipps, aber wagen musste er es schon selbst. Die haben leicht reden, Joseph starrt vor sich in die leere Kaffeetasse, wäre am liebsten wieder ins Bett gekrochen. Mit den nur noch leichten Kopfschmerzen hatte das nichts zu tun. Die waren schon nebensächlich, fast vergessen. Weltschmerz, das Hadern mit dem eigenen Schicksal, das war es, was ihn in die Verzweiflung trieb. Hier in seiner Stadt Ludwigshafen kam er aus seinem Hang zur Depression alleine nicht heraus. Auf Schritt und Tritt, überall die Gefahr der Bilder im Kopf, die sich seiner bemächtigten, sich breit machten und seinen Tag bestimmten. Schlimmer waren aber die Träume in der Nacht, wenn er schutzlos diesen Erinnerungen ausgesetzt war.
Er musste weg von diesem seinem persönlichen Unglücksort, sonst ging er unweigerlich unter. So langsam kroch ein ungutes Gefühl in ihm hoch. Sein Nacken versteifte sich, das kannte er schon, so fing es immer an. Aber gerade heute durfte es nicht so wie sonst enden. Sich im Bett verkriechen, was ändert das? Nichts, heute an seinem Aufbruch in ein neues Leben, da war ihm dies mehr als deutlich bewusst.
Also rafft er sich auf, stützt sich auf seinen Gehstock und macht sich auf zu einem letzten Gang in die Innenstadt um noch schnell einige Einkäufe zu erledigen, ehe er zu seinem Abenteuer aufbricht.
Der Weg zum Supermarkt ist nicht weit, immer die Bahnhofstraße runter fast bis zum Rhein, doch mit einem Bein, das bei jedem Schritt höllisch schmerzt, geht es nur langsam voran. Pausen sind notwendig, um auszuruhen, neue Kraft zu schöpfen. Nudeln sind im Angebot, da will er sich noch schnell einen Vorrat holen, so günstig sind die sonst nie, hat er im Kopf, als er nach zwanzig Minuten endlich sein Ziel erreicht, aber er hat ja Zeit, braucht sich nicht zu hetzen. Seine Tragetasche ist prall gefüllt, langsam geht er zur Kasse, stützt sich auf seinen Stock. Mechanisch stapelt er die fünf Nudelpackungen vor sich auf das schwarze Förderband. Vor ihm in der Warteschlange sind noch andere Kunden, er beachtet sie nicht, sein Blick wandert über die Auslage mit den Zeitschriften. Die Schlagzeilen erregen seine Aufmerksamkeit, darauf ist sein Blick gerichtet.
Noch zwei Frauen sind vor ihm dran, dann kommt er an die Reihe. Beiläufig achtet Joseph auf das Gespräch der Kundinnen. Gesprächsfetzen, ganze Sätze kann er verstehen. Ungeniert sind die beiden Damen dabei über Privates zu reden. Ob jemand mithört, ist für sie nicht wichtig. Über das, was er da gerade mitbekommen hat, da denkt er dann doch nach, irgendwie stimmt die Satzstellung nicht. Typisch Pfälzer Slang, Sprache des Volkes in reinster unverfälschter Form. Klingt lustig, will gar nicht mehr raus aus seinem Kopf. Ein echter Ohrwurm. Jetzt hört er genau hin, will möglichst viel von dem Gebabbel verstehen. Was für ein Sprachgebilde, ein Gemälde aus Worten. Bei seinem alten Deutschlehrer hätte es dafür ein glattes „ungenügend“ gegeben, aber die blumige Dialektsprache ist nicht zu überbieten. Hier in der Pfalz klang alles so herzhaft, voller Leben. Kraftvoll eben.
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