1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Jan-Gustav legt sein Handy griffbereit neben den Aschenbecher auf den Tisch. Fast schon ein Ritual, so festgelegt sind die Abläufe auch an diesem Samstagvormittag. Ein erster Schluck Cappuccino, das Anstecken eines Zigarillos und sich dann gemütlich in die am Kiosk gekaufte Tageszeitung vertiefen. Sein Thema ist der Sportteil. Er vertieft sich gerade in den groß aufgemachten Artikel über das am Abend stattfindende Punktspiel seines Vereins, als sein Handy klingelt. Ein kurzer Blick auf das Display. Er schaltet auf Empfang und meldete sich: „Ferdl, alter Spezi, what s going on?“ In seinem Ohr hört er prompt die erwartete Antwort. „Alles paletti, habe gerade die Karten für heute Abend abgeholt, treffen wir uns wie immer vorher auf ein Weizen im Eckstüberl?“
Fußball, das ist seine große Leidenschaft. Sie lassen kein Heimspiel aus. Sie feiern jeden Sieg, an dem sie mit ihren markigen Schlachtrufen ja schließlich auch einen gehörigen Anteil haben. Das gefiel Jan-Gustav. Ja, der Ferdl, auf den war immer Verlass. Am meisten profitiert Jan-Gustav von der sprichwörtlichen Bekanntheit seines Spezis. Der ist in der Szene eine feste Bank. Kennt Gott und die Welt, vor allem jede Menge Weiber. Beim Bier am Stammtisch in ihrer Stammkneipe wird oft nur Unsinn verzapft, das gehört für ihn aber dazu. Auch ergeben sich hier beste Gelegenheiten für Frauenbekanntschaften.
Nach den wichtigen Infos über das Fußballgeschehen widmet Jan-Gustav sich den Lokalteil seiner Zeitung. Das neue Kinoprogramm interessiert ihn noch. Den halb angerauchten Zigarillo in der Hand schaut er sich suchend um. Seine Mutter würde sicher noch etwas brauchen, um ihre Besorgungen allesamt zu erledigen. Gerne ist er ihr behilflich, trägt brav den vollen Einkaufskorb zum Auto und zeigt sich als wohlerzogener Sohn. Sein Papps hat für diese Einkaufstouren keinen Nerv, meist terminlich in Sachen Golf unterwegs und von daher unabkömmlich. Sein Bruder verbringt die meiste Zeit im Auktionshaus. Hält sich für wichtig, will alles unter Kontrolle haben. Ein echter Workaholic. So lebt jeder in seiner Welt. Vielleicht mehr als eine Flucht. Mutter wusste das. Aber, dass ihr Jüngster bereitwillig den Begleiter und Lastenesel abgibt, das freut sie ungemein. Jan-Gustav ist doch ihr guter Junge.
Den Schattenplatz hat er gut gewählt. Die Wärme der Vormittagssonne ist zu spüren. Herrlich, so in Gedanken vor sich hin zu dösen. Für Jan-Gustav ist das gestrige Klassentreffen in angenehmer Erinnerung. Oh ja, er versteht es sich bei solchen Anlässen sicher zu bewegen. Schwer tut er sich da schon eher, auf unbekanntem Terrain. Da fühlt er sich unsicher. In Bezug auf Frauen spürt er diese Hemmung besonders oft. Nicht das er keine kennenlernte. Er ist eher der kumpelhafte Typ. Immer dabei, kennt jede Menge Mädchen, war aber nicht der gefragte Liebhaber. So eine Fußballtussi abschleppen, ok, aber für mehr als eine schnelle Nummer im Auto auf dem Parkplatz hinter dem Eckstübchen, für mehr reicht es meist nicht. Kommt eigentlich selten dazu.
Eine richtige Partnerin hat er noch nicht gefunden. Bindungsängste? Vielleicht sogar Beziehungsprobleme? Seine Mutter, klar, die nervt ihn in regelmäßigen Abständen. Mit Anja, da hätte er sich schon einiges vorstellen können. Die junge quirlige Studentin war einige Wochen bei ihnen im Auktionshaus für ein Praktikum. Sie hatten sich ein paar Mal verabredet. Mehr wurde dann aber nicht daraus. Schade eigentlich, sinniert Jan-Gustav vor sich hin, als seine Mutter schwer bepackt in seine Richtung kommt.
Er geht ihr nicht gleich entgegen. Nein, er macht sich einen Spaß daraus so zu tun, als sei er durch ihr plötzliches Auftauchen überrascht. Seine Zeitungslektüre bot ihm die Möglichkeit sich zu verstecken. „Oh, Mama, bist du schon mit deinen Einkäufen fertig? Ich habe dich gar nicht gesehen. Komm setze dich doch einen Augenblick zu mir, hier ist ein schöner Schattenplatz, der Stuhl hat förmlich auf dich gewartet.“ Schnell drückt er den Zigarillo im Aschenbecher aus, er weiß, dass seine Mutter diese dauernde Qualmerei nicht ausstehen konnte. „Was möchtest du, auch einen Cappuccino?“
Roger hat nach dem Wochenende in München am Sonntag lange nachgedacht. Seine Gedanken drehten sich immer um die gleiche Sache. Gegen acht Uhr ist er am Montagmorgen, entgegen seiner Gewohnheit, schon im Büro. Aus seinen PC-Posteingang fischt er die für ihn wichtigste Nachricht aus den vielen Mitteilungen heraus. Müller P. hat die Ergebnisse des Treffens mit den Amerikanern protokollieren lassen und liefert zudem ein Statement zum weiteren Fortgang im Projekt. Der Laserdrucker spukt in rasender Geschwindigkeit Blatt um Blatt des Memorandums in das Papierfach. Roger beginnt damit das Protokoll quer zu lesen und sucht nach Fehlern im Text. Sein Abteilungsleiter, Müller P., ist als Arbeitstier verschrien, aber eins musste man dem „Alten“ lassen, wenn es darauf ankam, dann spulte er sein ganzes Repertoire routiniert ab.
Die E-Mail mit Anhang war um 0 Uhr 45 am frühen Montagmorgen verschickt worden. Respekt, da hatte Müller P. das ganze Wochenende durchgearbeitet. Klar, er hatte seinen Assistenten mit dem Protokoll beauftragt, musste aber Korrektur lesen. Im Meeting würde dann Müller P. seine Kernaussagen zur weiteren Vorgehensweise präsentieren. Roger sah das Protokoll durch und markierte wichtige Textpassagen, die sich auf seinen Arbeitsbereich bezogen. Als er mit dem Protokoll durch war, fiel sein Blick nochmals auf die erste Seite.
Er ahnte eine Unstimmigkeit, kam zunächst aber nicht drauf. Mehr ein Gefühl. Es gab einen Fehler, da war er sich sicher. Klar, das Datum des Meetings war falsch übertragen worden. Sicher in der Hektik, aber eben doch ein Fehler. Über den zweiten Irrtum des Assistenten schmunzelt Roger. Bei der Aufzählung der Tagungsteilnehmer wurde Mrs Zodiak als männlich geführt, obwohl doch offensichtlich beim Anblick der kräftigen vollbusigen und vor allem überaus streitbaren Lady jedem klar sein musste, welchem Geschlecht die Kollegin zugeordnet werden musste. Beim Memo von Müller P. ist Roger Schneider etwa bis zur Mitte vorgedrungen, als ihm ein Blick auf seine Uhr signalisiert, höchste Zeit sich auf den Weg zum Besprechungszimmer zu machen.
Pünktlich um 9 Uhr 30 eröffnet Müller P. noch wohl gelaunt das angesetzte Meeting. Alle sind anwesend; nur der junge Assistent fehlt noch. „Meine Herren, die Tagung in München war in aller Bescheidenheit gesagt ein erster wichtiger Teilerfolg für unsere Abteilung. Ich danke für ihren Einsatz. Aber wir stehen erst am Projektanfang. Viel gibt es noch zu leisten, damit wir von heute an gerechnet in vier Monaten dem Vorstand die Abschlusspräsentation vorlegen können. Das Projekt liegt mir persönlich am Herzen und hat Priorität Eins. Der Endtermin steht unumstößlich fest, da gibt es kein Vertun, meine Herren. Eines bitte ich aber zu bedenken und dies ist von der obersten Heeresleitung abgesegnet, das Projekt Future One obliegt strikter Geheimhaltung. Unser Ziel ist es beim Automobilsalon in Genf unser neues Baby vorzustellen.“ Müller P. sprüht förmlich vor Tatendrang. Er hat seinen letzten Satz noch nicht ganz beendet, als sich die Tür zum Sitzungszimmer öffnet und leise der aschfahle Assistent hereinschleicht. Er hat noch nicht richtig auf dem einzig noch freien Stuhl Platz genommen, als Müller P. auch schon losdonnert.
„Sitzungsbeginn 9 Uhr 30; dies gilt auch für den Herrn Assistenten.“ Das hat gesessen, der arme Kollege musste am Wochenende mit seinem Chef Protokoll und Statement erstellen. Seiner bleichen Gesichtsfarbe nach zu schließen, gab es nicht mehr als drei bis vier Stunden Schlaf zur Erholung. Eigentlich konnte der Assi einem ja leidtun, aber so waren nun mal die Regeln. Müller P. wischt mit einer unwilligen Handbewegung einen möglichen Rechtfertigungsgrund seines Assistenten förmlich vom Tisch, als er nach Ergänzungen, Korrekturen oder Änderungswünschen zu den Vorlagen fragt. Keiner will sich die Blöße geben und mitteilen, er habe die Protokollvermerke aus zeitlichen Gründen noch nicht lesen können. Ein Sündenbock genügt vollends an diesem Montagmorgen.
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