Kurz vor dem vereinbarten Termin ist Cesare bis aufs Äußerste angespannt. Nach außen hin wirkte er jetzt allerdings vollkommen ruhig. Er hält sich im Hintergrund damit er den Geschäftsablauf nicht stört. Es soll so aussehen, als ob er gerade in dem Moment aus einer der hinteren Werkstatträume heraustritt, in dem sein angekündigter Besucher die Eingangstür öffnet. Mit geschultem Blick beobachtete Cesare von seinem Standort das Geschehen im Laden. Ein Grundprinzip seiner Tätigkeit ist es, das er immer Herr der Lage sein will. Überraschungen liebte er nicht, er versuchte sie soweit wie möglich zu vermeiden.
Kurz vor 10 Uhr bleibt ein junger Mann vor dem Schaufenster der Buchhandlung gegenüber stehen. Scheinbar gelangweilt blickt dieser auf die ausgestellten Publikationen. An der Art, wie sich der Mann umsieht, erkennt Cesare sofort, dass dies einer der Bodyguards von Sargese sein muss. Zwei, höchstens drei Minuten später geht die Tür auf. Es ist Punkt 10 Uhr als Rechtsanwalt Sargese eintritt. Er scheint guter Laune zu sein, da er mit dem Chefverkäufer, der sogleich auf den neuen Kunden zueilt, einige Worte wechselte und über dessen Scherz dezent lachte. Cesare Monti betritt wie zufällig die Bühne. Herzlich heißt er seinen Besucher willkommen.
Nach den üblichen Begrüßungsritualen, der Frage nach dem Wohlergehen der Familie und einem ersten Schluck Kaffee kommt Rechtsanwalt Sargese schnell und direkt zum Grund seines Besuches. Er greift nach seiner am Stuhl abgestellten Ledertasche, öffnet den Metallverschluss und entnimmt dieser nach einem kurzen Suchen eine dünne blaue Mappe.
Bevor der Rechtsanwalt den nun vor ihm auf dem Tisch liegenden Aktenordner öffnete, beginnt er mit seinen Ausführungen. So dürfte es immer auch bei Gericht ablaufen, wenn Emilio Sargese in dienstlichen Angelegenheiten dort zu tun hat. „Cesare, wir kennen uns schon lange und sind immer gut miteinander ausgekommen. Daher wollte ich in dieser etwas heiklen Angelegenheit direkt mit dir reden.“ Der ihm gegenüber sitzende Monti ist angespannt, was als nächstes kommen wird. Der Rechtsanwalt holt aus seiner Mappe ein Stück Papier und legte das Schriftstück so vor Cesare hin, dass dieser es lesen kann. Cesare ist verwirrt, sein flüchtiger erster Blick auf den handschriftlich verfassten Zettel, mehr ist es eigentlich nicht, verharrte bei dem Wort Schuldschein. Irritiert überfliegt der das Papier, seine Augen überfliegen den Text und bleiben an der Unterschrift am Ende hängen.
Ohne den Ton seiner Stimme zu verändern, ergreift Emilio Sargese wieder das Wort. „Dieser Wisch ist auf meinem Schreibtisch gelandet, und wie du siehst, trägt er die Unterschrift deines Sohnes. Mein Mandant berichtete mir von einer Pokerrunde in einem dubiosen Spielclub in der Altstadt, und vor allem was mich hier aufhorchen lässt, ist die Reaktion deines Sohnes, als es dann um die Auslösung der Schuld und die Begleichung der 3.000 Euro ging. Der Betreiber des Spielclubs wurde mit den Worten abgespeist: er könne ja das Geld bei Gericht einklagen, wenn er sich das traue bei seinen illegalen Machenschaften. Du verstehst: „Spielschulden sind Ehrenschulden und wenn es sich dabei um Händel innerhalb unserer famiglia handelt, sind diese besonders problematisch.“ Cesare nimmt den Schuldschein, um etwas Zeit zu gewinnen, damit er diesen unerwarteten Schlag in die Magengrube verdauen kann. Es hilft nichts, er findet keine Entgegnung, um die Sache ungeschehen zu machen.
Er kann nur die Flucht nach vorn antreten und Rechtsanwalt Sargese in allem beipflichten und versuchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten. „Glaub mir, ich bin erschüttert und weiß nicht, was ich sagen soll; selbstverständlich sorge ich sofort für den Zahlungsausgleich.“ Ohne ersichtliche Regung erwiderte Rechtsanwalt Sargese lapidar: “Das ist schon geschehen. Ich habe mir erlaubt, diese unrühmliche Sache aus der Welt zu schaffen.“
Daraufhin nimmt er den Schuldschein wieder an sich, legte ihn in seine blaue Mappe zurück und verstaut diese in der Ledertasche, die er unter dem Tisch hervorgeholt hat. „Cesare, du solltest mit deinem Sohn ernstlich reden. Junge Leute von heute brauchen Anleitung bei ihrer Berufsausbildung. Was hältst du davon, ihn für einige Monate ins Ausland zu schicken? Cesare, nimm meinen freundschaftlichen Rat an und sorge dafür, dass Alessandro von der Bildfläche verschwindet. Dieses Mal hat ihn dein guter Name in der famiglia noch geschützt. Ein weiteres Mal geht es wahrscheinlich anders ab.“ Nach dieser scharfen Warnung wechselte Emilio Sargese wieder in einen umgänglichen Tonfall und leitet das Gespräch gekonnte zu unverfänglichen Themen über.
Beim Abschied kommt Sargese noch einmal auf den Schuldschein zu sprechen. „Mach dir keine Gedanken um das Geld, das verrechnen wir bei nächster Gelegenheit.“ Gutgelaunt verlässt der Rechtsanwalt daraufhin das Modeatelier und lässt einen tief betroffenen und verunsicherten Geschäftsinhaber zurück. Cesare Monti sieht sich nun noch mehr in der Schuld seiner Auftraggeber.
Für Cesare ist der Tag eigentlich gelaufen. An ein konzentriertes Arbeiten ist nicht mehr zu denken. Niemals hätte er gedacht, dass der Besuch des Rechtsanwaltes der famiglia seiner eigenen Familie gelten würde. Er wird heute Abend mit Alessandro ein ernstes Wort, sozusagen von Mann zu Mann, reden müssen. Was hatte sich der Junge nur dabei gedacht? Weiß er nicht, was Ehrenschulden sind? Für Cesare ist die Enthüllung über das Verhalten seines Sohnes eine Demütigung, die schwer auf seine Schultern lasten. So kann er seinem alten Weggefährten Emilio noch dankbar sein, dass er sich dieser Sache angenommen hat. Nicht nur vom Hörensagen kennt er die übliche Vorgehensweise beim Eintreiben von Schulden. Ist sein Sohn so naiv zu glauben, er komme ungeschoren aus der Sache heraus.
Gegen sechs Uhr, noch vor dem Abendessen, passt Cesare seinen Sohn, als er Nachhause kommt an der Wohnungstür ab und bittet ihn kurz in sein Arbeitszimmer. Er beginnt mit leiser Stimme. „Hast du irgendwelche Schwierigkeiten, über die wir vielleicht einmal reden sollten?“ Alessandro überlegte, worauf sein Vater anspielen könnte und entscheidet, sich abwartend zu verhalten. „Alles bestens, null Probleme, halt das Übliche, na du weißt schon.“ Nach dieser flapsigen Reaktion seines Sohnes platzt Cesare nun aber der Kragen. Er kann nicht mehr an sich halten und poltert, einen heftigen Wutausbruch nur mit Mühe vermeidend, los. „Ich hatte heute im Laden Besuch von einem alten Freund. Du wirst es nicht glauben, er kam ausschließlich wegen einer Angelegenheit, die mit dir zu tun hat. Ich war förmlich vor den Kopf gestoßen, als er mir offenbarte, dass mein ehrenwerter Herr Sohn Spielschulden hat und sich strikt weigert einen Schuldschein einzulösen. Na, gehört dies in die Kategorie „das Übliche halt“, wie du dich auszudrücken beliebst? Cesare wartete ab. Er lauerte auf die nun kommende Ausrede seines Sprösslings. Am liebsten hätte er ihn in der Luft zerrissen.
„Wir haben uns einen Jux gemacht. Ein paar Bekannte und ich sind durch die Kneipen der Altstadt gezogen und da sind wir auch in einer dieser Spelunken gelandet. Wir haben etwas zu viel getrunken und haben uns dann auch zu einer Partie Poker verleiten lassen. Am Anfang lief es ja auch ganz gut. Ich habe kleinere Beträge gewonnen und hatte Glück. Die Einsätze wurden immer höher und dann habe ich vielleicht etwas den Überblick verloren. Aber am Schluss hatte ich zwei Könige auf der Hand. Ein Bombenblatt gleich zu Beginn. Ich wollte alles auf eine Karte setzen und meine Verluste wieder auf einen Schlag ausgleichen. Ich war mir absolut sicher zu gewinnen“. Cesare hörte seinem Sohn zu. Erst als dieser nicht weitersprach, fragte er nach „und dann, wie ging es weiter?“ „Das Glück schien auf meiner Seite, ich verlangte zwei neue Karten und bekam noch einen König. Nun konnte nichts mehr schief gehen und ich erhöhte den Einsatz. Ich war mir absolut sicher, ich hatte alle am Tisch im Sack. Als die Karten der Mitspieler dann aufgedeckt wurden, konnte ich es zunächst nicht glauben. Ich hatte das Spiel verloren. Was sind drei Könige gegen drei Asse? Wie es dann weiterging, kannst du dir ja denken. Ich musste einen Schuldschein unterschreiben, ja, und das war´s dann auch schon.“
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