XVII.
Während sich Steranos Verfolger einen Fehlschlag nach dem anderen einhandelten, traf den glücklichen Oberschüler Quodon Larka eine kleine Katastrophe.
Sell war sein Geschöpf. Jetzt war sie am Videophon und sie leuchtete durch den Bildschirm. Sie hatte sich in ihre Schlafdecke eingewickelt, die ihre cremefarbigen Schultern frei ließ, sie hatte scheinbar wirklich nicht mehr an als die bunten und wirren Stoffbänder, die sie sich selber geflochten hatte und die sie immer um den Hals trug.
„Quodon, ich habe mich beworben“, hauchte sie durchs Videophon.
„Was beworben, wo?“
„Bei der Aufnahmekommission der Thraxonischen Hohen Schule der bildenden Künste.“
„Und die... „ Quodon verschluckte die Jünger des neuen Hauses, „die alten Herren haben dir deine Bewerbung abgenommen?“
„Quodon, es war phantastisch. Rotam hat mir geholfen. Er ist mitgegangen. Und er hat mir seinen Schutzengel geborgt. Hat er jedenfalls so gesagt. Ich weiß zwar nicht, was ein Schutzengel ist, aber es war super. Ich hatte kein bisschen Angst. Ich war gut. Ich hab’ ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten. Ich hab’ es geschafft! Ich bin so überglücklich.“
„Nun mach’ mal langsam. Ein erfolgreiches Aufnahmegespräch bedeutet nicht gleich, dass die Thraxonische Hohe Schule der bildenden Künste dich auch aufnimmt.“
„Sag doch so was nicht. Du machst mir meine ganze Freude kaputt.“
„Du sollst nur den Realitäten ins Auge sehen. Die prüfen doch noch die Beurteilungen, deinen Schulabschluss und dann machen sie noch eine Prüfung, ob deine Familie es sich überhaupt leisten kann, dich auf die Hohe Schule nach Thraxon zu schicken.“
„Du hast selbst gesagt, dass das alles nichts bedeutet gegenüber dem Erfolg oder Misserfolg eines Vorstellungsgesprächs.“
„Sell, du hast scheinbar keine Ahnung, worauf du dich jetzt eingelassen hast!“
„Oh doch, sie lieben meine Arbeiten.“
„Ich kann mit dem Getupfe nichts anfangen.“
„Jetzt redest du genauso wie der Giftzwerg in der Kommission.“
„Also war sie doch nicht so erfolgreich, diese Aufnahmeprüfung!“
„Er hat es zurückgenommen.“
„Von wegen. Er wollte dich loswerden.“
Sell schüttelte still mit dem Kopf. Wieder und wieder. Und fast glaubte Quodon, dass er es erneut schaffen könnte. Sie sollte sich nie an jemanden anderen binden als an ihn. Sie sollte vielleicht einen unwesentlichen Abschluss machen, als Hauttherapeutin oder Haardesigner, damit sie sich später ernähren konnte, aber immer abhängig war, von denen, die er dazu bestimmte, und sie sollte immer einen Platz freihalten, auf ihrer Matte und in ihrem Leben, denn Quodon wusste schon als Vorschulkind, dass er in den fernen Sternen Karriere machen würde, so hatte es seine Familie bestimmt, und trotzdem wollte Quodon den Kontakt zur Artesa halten, hier einen festen Anker besitzen. Dieser Anker hieß Sell und eben begann das Seil, das er in jahrelanger mühevoller Arbeit geknüpft hatte, es begann zu verschwimmen und löste sich in Luft auf.
„Quodon, ich glaube, dass ich es schaffe“, sagte Sell plötzlich. „Ich habe den Kopf voller Bilder, wunderbarer Bilder, die möchte ich herausbringen. Voll von Blau und Grün und Weiß, ein großes Wasser, das über Felsen stürzt in einen tiefgrünen See, der so unglaublich klar ist, da schwimmt allerhand lebendiges Zeug drin rum, und du kannst stundenlang am Ufer sitzen und dir das Wasser über die Beine laufen lassen.“
„Das ist doch Energieverschwendung“, warf Quodon ein.
„Ja, aber einfach schön. Psst, ich muss jetzt abschalten, Rotam kommt aus der Dusche zurück. Tschüssi bis morgen. Ich sag dir Bescheid, wenn es geklappt hat. Nun freu dich doch auch mal ein bisschen für mich!“
Sell war sein Geschöpf gewesen.
Tja.
War.
Gewesen.
XVIII.
Sterano verstand die Artesianer nicht. Sie waren ein Volk voller Gegensätzlichkeiten. Es schien unmöglich, ihre Handlungsweisen nachzuvollziehen. Zum ersten Mal war es Sterano gelungen, echten Kontakt zu ihrer Verfolgerin herzustellen, und im nächsten Moment wurde diese von einer kleinen hinterhältigen Bombe getötet. Sterano hatte sich einen Weg gesucht, hin zu dem Platz, der laut Eyniyahs Worten sicher sein sollte, und sich unverzüglich dorthin begeben. Aber dort wurde gebaut. Viel, viel zu viel Unruhe. Die Unruhe legte sich schlagartig, nachdem Sterano angekommen war, und sie blieb auch dort, aber nur wenige Tage, denn das, was sie brauchte, war schnell aufgebraucht. Sie zog weiter und fand eine riesige Anlage, die in den Gedanken der Artesianer Fusionsreaktor hieß, und die riesige Mengen von Energie bereitstellte. Der Reaktor heulte auf, als sie ihn berührte, aber er gehorchte ihr sofort und heiße Flüsse zogen aus dem Reaktor in ihre Adern. Sie hatte alles, was irgendwie mit normalem Auge sichtbar sein konnte, abgestreift, Haare, Haut, Flügel. Sie stieg immer weiter in einen herrlichen Rausch hinein, sie würde sich reproduzieren, nicht einfach nur sich selbst, sondern neues hariolenes Leben würde diesem Rausch entsteigen. Viel stärker und machtvoller als ihr eigenes.
XIX.
Heute war nicht die Stunde von Lakolar Annselarmo. Der Thraxonische Antragsprüfer und die Primesorische Königin hatten ihm sehr beunruhigende Nachrichten zukommen lassen und Lakolar Annselarmo entschied sich dafür, ihnen höchstpersönlich die Lage zu erklären. Dazu musste er seine nachtschwarzen Räume verlassen und sich in einen Saal begeben, in dem ihm die Sehenden überlegen waren. Aber die Primesorische Königin war das wert und der Antragsprüfer der Thraxonischen Nation ebenfalls. Sie standen zu dritt auf einer Ebene und konnten miteinander reden, ohne dass einer von ihnen die Augen hätte senken müssen.
Lakolar Annselarmo lud sie zu Tabak und Sen ein, das war das Zeichen für den Thraxoner, dass er seinen Journalistenanhang zu Hause lassen sollte und für die Primesorische Königin, dass sie ohne ihre aufwändige Garderobe erscheinen konnte.
Die Primesorische Königin hatte eine neue Stimme und wie immer fand Annselarmo, dass sie für eine Verantwortung über zwei Fünftel der bewohnbaren Planetenoberfläche viel zu jung war. Aber diese zwei Fünftel der Planetenoberfläche waren nicht hierarchisch verwaltet und die Königin konnte nie sagen, wie hoch das Bruttosozialprodukt der Artesianer in ihrem Herrschaftsbereich zur Zeit gerade war. Die Primesorer hätten eine solche Angabe auch als Zumutung empfunden, sie bezahlten Steuern und Abgaben an ihre Regierung nur aus Überzeugung und nur so viel, wie ihnen diese Regierung wert war. Den Rest ihrer Einkünfte verwerteten sie nach eigenem Ermessen. Die neue Primesorische Königin war gerade auf dem Weg, ihrem Volk die Notwendigkeit einer gewissen Ordnung wieder plausibel zu machen. Sie war groß gewachsen und wenn sie tief durchatmete, dann traf sogar den Lerasischen Diktator ihr warmer Hauch. In solchen Momenten dachte Lakolar Annselarmo daran, dass das Primesorische Unterwasserreich wirklich eine Königin brauchte, die einen tiefen Atem besaß. Ihr Name war Uliesieth Umia.
Der Antragsprüfer der Thraxonischen Nation Thuron Thieck war ein unscheinbarer und sehr in sich ruhender Artesianer, den Lakolar Annselarmo schon seit zwanzig Jahren kannte und dem er schon mehrere hohe Funktionen in seiner eigenen Regierung angeboten hatte. Thuron Thieck aber stand zu seiner komplizierten und nervenraubenden Thraxonischen Demokratie. Irgendwie besaß er die Fähigkeit, immer wieder eine große Menge Artesianer dazu zu bewegen, dass sie in völliger Übereinstimmung mit ihrem eigenen Willen genau das taten, was Thuron Thieck für wichtig und momentan notwendig hielt.
Lakolar Annselarmo wünschte sich diese Fähigkeit auch. Weil er sie nicht besaß, setzte er Willen mittels Befehlsgewalt durch. Von seinem dunklen Arbeitszimmer bis in die letzte Wohnstube reichte diese Befehlsgewalt, sie lenkte und schützte einen großen Teil aller Artesianer auf Artesa und noch mal zehn Prozent, die sich mehr oder weniger im Orbit des Planeten aufhielten. Wer das nicht wollte, der wechselte in die lockeren Wohnformen des Primesorischen Reiches oder in die aufwendigen Verwaltungsverfahren von Thraxon.
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