Trotzdem hatte Sal sich nichts vorzuwerfen. Er hatte nach seinem Verstand gehandelt und nach seinem guten Gefühl. Das mussten doch Maßstäbe sein, auf die ein ehrlicher Artesianer vertrauen durfte. Er dachte an das gemauert Feuerstellenprovisorium in seiner Hütte und daran, dass er jetzt achtzehn mal zehn Tage auf Boden viel zu kurz fassen musste.
XI.
Sermon Larka wurde vom Blue Frog gerufen. Er hatte draußen gestanden und auf eine neue Anweisung von Lakolar Annselarmo gewartet. Jetzt sollte er sich umgehend im Besprechungszimmer der Raumsicherheit einfinden. Der Blue Frog hat mir gar nichts zu sagen, dachte Larka und entschloss sich trotzdem zu gehen, schließlich stand der Blue Frog Tarumor Tass dem Großen Lakolar mindestens zwei Stufen näher und konnte die Stellung des Red Spin Sermon Larka von Simapi untergraben, bevor der überhaupt wusste, was mit ihm geschah.
Das Besprechungszimmer von Tarumor Tass war in dunklem Grau gehalten, gedämpftes Licht und eine schwarze Glasdecke unterstrichen den düsteren Eindruck. Der grinste, als er das Unbehagen in Larkas Gesicht sah, er lächelte sparsam, stand auf, ging auf den Gast zu und reichte ihm die Hand.
„Das ist so, wenn man lange mit dem Alten zusammenarbeitet. Das färbt ab. Wenn ich normale Farben sehen will, muss ich vier Dekaden Urlaub machen, vorher akzeptieren meine Augen das nicht!“
Sermon Larka zog die Augenbrauen hoch. So viel Vertraulichkeit mit einem Mal! Er entschied sich zur Vorsicht.
Tarumor Tass führte Larka zu einem Bildschirm und ließ ihn einen Moment lang den Film beobachten.
„Der Alte zieht sich gerade das Verstärkerbild von diesem Sal Karpi rein. Er will Karpi dazu bringen, DEN VORFALL hier auf Artesa zu kontaktieren. Ich bin dagegen.“
Sermon Larka war von dieser offensichtlich präsentierten Meinungsverschiedenheit zwischen Lakolar Annselarmo und seinem engsten Vertrauten überrascht. Seine Fußsohlen begannen zu brennen.
„Sal Karpi hat schon auf der PRAMOS gegen die Kommandantin gemeutert. Ich glaube nicht an seine Loyalität.“
Larka fühlte den Boden unter seinen Füßen schwanken. Tarumor Tass war der älteste Vertraute von Lakolar Annselarmo, er hatte mindestens genauso viel Einfluss wie der Alte selbst. Und jetzt sollte er, Sermon Larka entscheiden, welcher von beiden die richtige Strategie im Umgang mit DEM VORFALL besaß.
„Was haben Sie vor?“, fragte er mit Eisesstimme.
„Schnell zu handeln. Die Karpi-Brüder könnten irgendwas Ungesundes mit ihrem Algenfutter gegessen haben. Wer will das hinterher noch unterscheiden. Ich will mit diesen Leuten nicht arbeiten. Ich brauche bei dieser Jagd absolut zuverlässiges Personal. Keine Pannen mehr! Wenn dieser Wass Mato nicht dazwischen gefunkt hätte, wäre der ganze VORFALL schon vor Stunden in kosmischen Staub zerlegt. Ich kann keine weitere Verzögerung verantworten!“
Sermon Larka teilte die Bedenken des Blue Frog. Aber Lakolar Annselarmo war der Oberste aller Lerasier, und Sermon Larka entschied für sich, dass Lakolar auch jetzt noch der Stärkere war in diesem Haus und diesem Land.
„Ich denke, Sal Karpi wird seinen Bruder Pet nicht gegen irgend ein Phänomen von sonst woher eintauschen wollen. Sichern wir uns über diese Beziehung die Loyalität von Sal Karpi!“
Tarumor Tass wich zurück. So viel Einwand hatte er nicht erwartet. Der Plan, die Karpi-Brüder auszuschalten, lief bereits. Er wollte nur verhindern, dass Sermon Larka ihm in den Rücken fiel. Das war jetzt nicht mehr sicher. Tarumor Tass nickte Sermon Larka zu. Ich akzeptiere, sagte er, drückte einen Knopf und gab mehrere Befehle über seine Tastatur nach draußen ab.
Dann wurden die beiden unterbrochen. Lakolar Annselarmo rief. Er hatte sich aus dem Verstärker gelöst und Sal Karpi fürs erste entlassen.
Er wirkte müde und seine Stimme hatte einen schleppenden Unterton.
„Wir können die Karpi-Brüder nicht für den Erstkontakt gebrauchen. Sal hat die Hibernationskammern ausgetauscht, sodass die Person mit dem problematischen Gesundheitszustand an Bord geblieben ist. Dafür wurde das Kindermädchen ins All abgestoßen. Sal Karpi ist von den Bodenbewohnern verdorben und Pet ist einfach zu primitiv, um unsere Vorhaben zu vermitteln. Sorgen Sie dafür, dass die beiden zu ihren Algen zurück können, ich habe eine Amnestie zugesagt. Aber sie sollten sanft in einen ruhigeren Zustand übergeführt werden! Einen Zustand, in dem sie sich nicht mehr daran erinnern, dass sie jemals woanders waren als in dieser Hütte und an diesem öden Stück Wasserrand. Sanft bitte“, fauchte Lakolar. „Sehr sanft! DER VORFALL könnte immer noch Kontakt zu den Karpi-Brüdern halten und würde aufhorchen, wenn wir seine Helfer beseitigen!“
Tarumor Tass fuhr zusammen. Für einen Moment war er sprachlos. Sermon Larka hatte ihn eben vor einer großen Dummheit bewahrt. Und wenn Tarumor Tass etwas nicht leiden konnte, dann war das Dankbarkeit und irgend eine Verpflichtung gegenüber Untergebenen oder Halbfreunden.
XII.
Drei mal zehn Tage später. Rotam hatte es zuerst gar nicht glauben wollen, aber der Handel, den seine Mutter mit den Männern der Bodensicherheit ausgehandelt hatte, der war aufgegangen. Niemand verlor ein Wort über die bizarre Begegnung, nirgendwo erschien irgendjemand und stellte irgendwelche eigenartige Fragen. Äußerlich schien alles in Ordnung. Aber Rotam hatte die Augen im Licht gehabt. Er war nicht mehr der Rotam von vorher.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die IAB-Beamten ihn gelöscht hätten. Aber Clarissa war bei ihrer ersten Entscheidung geblieben. Sie hatte nasse Augen gehabt an diesem Abend und dann ihm die Wirkungsweise des Medikamentes erklärt. „Du hättest nach einer solchen Behandlung nicht einmal mehr einen Zweifachen springen können. Das ist das Verheerende an diesem Medikament. Es wird grundsätzlich zu hoch dosiert, und dann löscht es nicht nur das Kurzzeitgedächtnis, sondern schädigt genau die Bereiche, die am höchsten trainiert sind, die am meisten präsent sind. Das kann bei jemandem, der im Allgemeinen schwimmt, glimpflich ausgehen, aber Spezialisten schwimmen hinterher nur noch im Allgemeinen. Und das kannst du nicht wollen, oder?“
Die Frage, die er ihr gestellt hatte, zielte eigentlich in eine ganz andere Richtung, aber nach diesem Vortrag hatte er abgebrochen und seit Tagen überlegte er krampfhaft, wie er ihr das beibringen sollte, was ihm an diesem Abend passiert war. Sie musste das auch irgendwie schon wissen, sie hatten in den letzten Tagen viel geredet, waren aber in Oberflächlichkeiten geendet, und das Thema stand immer offen, stand wie eine Wand zwischen jedem Satz, jeder Anrede, jeder stummen Geste.
Sie ließ sich nichts vormachen. Das war auch das Schwierige an Rotams Mutter. Eigentlich war sie auch noch gar nicht so alt. Sie hatte sich nur die Frisur verdorben, weil sie in den Thraxonischen Studios ständig andere Arten von Kunsthaaren aufsetzten. Sogar in den Redaktionsräumen. Es könnte doch mal einer auf die Idee kommen und ein Aufnahmegerät hinter die Kulissen halten. Aber ohne die bunte Maskerade erkannte niemand in seiner Mutter die Lokalkorrespondentin für Simapi-West.
Privat war sie immer noch seine Mutter. Zierlich. Rotam konnte sich immer noch nicht so recht daran gewöhnen, dass er ihr seit einem Jahr direkt über den Scheitel drüber weg schauen konnte. Wenn er auf ihre Augenebene herunter wollte, holte er sich eine Abreibung. Steh’ gerade, du bist Lerasier, kein heimatloses Fragezeichen! Das Bedürfnis nach Nähe war an solchen Ermahnungen viel zu oft abgeprallt. Trotzdem war diese Nähe immer da. Lag in der sorgsam vorbereiteten Schuluniform. In dem kleinen Appartement, in dem immer Spiel- und Arbeitsgerät nebeneinander seinen Platz hatte. In der stillen Fürsorge. Trotzdem wünschte sich Rotam, seine Mutter wäre weniger spröde.
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