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Sal Karpi und seinen Bruder Pet Karpi wurden von der Bodensicherheit an der Grenze zwischen Thraxon und dem Primesorischen Meer aufgespürt, sie hatten dort eine Hütte aufgestellt und sich ohne jeglichen Kontakt mit der Außenwelt niedergelassen. Sie hatten sogar eine provisorische Feuerstelle eingerichtet und verbrannten zwecks Wärmegewinnung vom Meer angeschwemmten und getrockneten Tang, ungeachtet der Rauchentwicklung und des Gestanks. Vor ihrer Hütte lag das umgedrehte ausgeschlachtete Oberteil einer Flugbootkarosserie, daneben Seile und Netze und ausgediente Sportpaddel. Die Feuerstelle war noch nicht richtig fertig, und das Haus hatte auch nur drei vollständige Wände. Sal und Pet Karpi trugen zerrissene Reste von Strahlungsschutzanzügen, mit denen sie eine ganze Zeit lang die Signale ihrer Cheenports hatten wegdämpfen können. Aber die Anzüge waren abgelagert gewesen und brüchig, Joa Rosenn hatte sie sicher nur als Vorlage für irgendeine Filmproduktion erworben, und jetzt versagten sie langsam ihren Dienst.
Die Brüder hatten sich nicht beim zuständigen Ortsmeldeamt vorgestellt, sie hatten keine Anträge auf Verpflegung gestellt und müssten von Rechts wegen knapp am Verhungern sein. Sermon Larka fand sie vor, an ihrem rauchigen Feuer sitzend und rohe Fleischalgen aus den naheliegenden primesorischen Kulturanlagen bratend. Sie hatten beide rote, von der Sonne verbrannte Gesichter und es ging ihnen den Umständen entsprechend richtig gut. Seine Jäger glichen ihre Sucher mit den implantierten Cheenports der beiden Männer ab, von denen einer der Navigator der PRAMOS gewesen war und der andere ihr Planethologe.
„Ich hätte echte Außenbordmonturen aus dem Raumhafen mitnehmen sollen!“, brummte Sal resigniert und fragte, ob er wenigstens die mühevoll abgefischten und gebratenen Algen noch aufessen dürfe. Larka verzog angewidert sein Gesicht und Sal grinste. „Ihr seid alle verwöhnt von dem Kulturfraß, den ihr jeden Tag in euch reinschaufelt. Wenn eine einzelne Bakterie vorbeigeflogen kommt, dann bringt sie euch alle um. Ich habe einen Zaubertrank bekommen, ich kann alles essen, was ich kauen kann, mich bringt nichts mehr aus dem Gleichgewicht.“
„Da gibt es jemanden, der will das mit dem Zaubertrank genauer erklärt haben, also brechen Sie Ihre Tätigkeit hier sofort ab und folgen Sie uns!“, knurrte Sermon Larka, seinerseits ebenfalls angewidert.
Sal hatte noch den Geruch seiner gebratenen Algen in der Jacke, als er sich mit seinem Bruder in einem völlig dunklen Raum wiederfand und die Stimme ihres Gegenübers ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Red Spin hatte die beiden Flüchtlinge direkt zum Großen Lakolar gebracht. Der Herrscher persönlich!
Aber Sal wollte sich nicht fürchten. Für Sal war es eine Ehre, Lakolar Annselarmo zu dienen. Trotzdem hätte sich Sal Karpi andere Umstände für diese Begegnung gewünscht. Er wusste, dass Joa Rosenn die Filme nicht veröffentlicht hatte, er war genauso ein Feigling wie die Kommandantin, aber Sal wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass er doch noch etwas für sein Expeditionsmitbringsel tun konnte. Er würde es hier tun, jetzt und an der höchsten, für ihn erreichbaren Stelle. Er wollte Gnade erbitten und Fürsorge für sein empfindliches und wertvolles Geschenk der PRAMOS von Boden.
„Glaubst du, dass wir was falsch gemacht haben, Sal“, flüsterte der Bruder.
„Nein“, sagte Sal. Ich habe ein reines Gewissen, dachte er. Vor mir selbst. Und auch vor meinen Freunden. Aber die Kommandantin der PRAMOS ist feige und wortbrüchig und vielleicht sogar eine Mörderin. Sie war vom letzten Bodenflug allein zurückgekommen und Sal hatte den Wiederschein eines großen Feuers auf Boden von der PRAMOS aus gesehen. Er vermisste plötzlich eine besondere Freundschaft, er vermisste die gelassene Art, das Leben hinzunehmen, und die Wärme eines Händedrucks, der heute noch in seiner Hand brannte wie ein stilles, starkes Feuer. Und Sal trauerte um den erstklassigen Wein von Boden. Sen war dagegen nur ein billiger Rachenputzer. Dann wurde es still um sie. Sal hörte eine Tür zischen und einen fremden Atem im Raum. Der fremde Atem war leise und gleichmäßig. Die Schritte dazu waren so leise, dass Sal ein Schauer über den Rücken lief. Dann war der Atem ganz nah, und der Geruch dazu und die Eingebung, dass er jetzt dem obersten aller Lerasier gegenüber stand.
Lakolar stellte sich vor und forderte die Karpi-Brüder auf, ein paar Worte zu ihrer eigenen Identität zu sagen. Pet sagte auch was, aber nach den dritten Satz würgte Lakolar den beginnenden Redefluss ab.
„Wie nannten Sie doch gleich den Planeten, den Sie während der Reise der PRAMOS untersucht haben?“, fragte er. Sal wusste nicht, wer sich außer ihnen drei noch im Raum befand. Er wusste nicht mal, wo der große Lakolar stand. Verdammt, warum muss das hier nur so dunkel sein!
„In das Bordverzeichnis wurde er mit 76/X/15/3 aufgenommen. Aber wir haben einfach ‚Boden’ gesagt“, antwortete Sal anstelle seines Bruders.
„Gut. Dann reden wir ab jetzt einfach von Boden. Als Planethologe sind Sie Ihrer Pflicht nachgekommen und haben ihn sorgsam untersucht. Warum ist eigentlich Ihr Bruder Pet mit zu diesen Boden-Expeditionen gegangen. Als Navigator hätte er eigentlich die Aufgabe gehabt, sich um den Rückweg zu kümmern.“
„Da gab es nichts mehr zu kümmern“, warf Pet ein. „Wir saßen in einer völlig fremden Umgebung fest. Wir hatten keine Signale von Sprungsonden, im Subraum war völlige Funkstille. Das Einzige, was vom Kommandostand der PRAMOS aus getan werden musste, das war der Schutz vor umherfliegenden Kometen, und dafür bin ich nicht Navigator geworden, um Zielschießen auf Eisbrocken zu veranstalten.“
„Sie haben auch dieses Tor nicht mehr lokalisieren können, von dem Ihre Kommandantin gesprochen hat?“
„Es war für uns nicht mehr auffindbar“, sagte Pet. „Und ich habe 40 Tage lang den gesamten intelligenten Nachrichtenhorizont abgehorcht, sogar den natürlichen, aber außer ein paar Pulsarsignalen war da auch nichts drin. Und das Navigieren nach Pulsarsignalen hat von uns keiner in der Schule gelernt.“
„Ich mache Ihnen deswegen auch keine Vorwürfe. Kommen wir zurück zum Boden. Ein schöner Planet, Ihren Bildern und Dokumentationen zufolge.“
„Ja“, sagte Sal.
„Und Sie, Pet, Sie waren doch auch dort, ist der Boden nicht einfach paradiesisch.“
„Gewiss!“
„Das klingt mir nicht so überzeugend. Techniker, zeigen Sie den Zeugen bitte die Bilder aus dem IAB!“
Die beiden Brüder sahen im Widerschein des hellen Films ihre Gesichter, jedes in einem anderen Erstaunen, während die Aufnahme von der Flucht des fremden Wesens aus dem IAB ablief, und Pet sagte: „Wir haben aber doch gleich hinter dem Tor die vierte Truhe aus dem Schiff entfernt.“
„Und ich habe versprochen“, sagte Sal Karpi leise, „dass ich sie auf dem Heimweg beschützen werde. Und ich halte mein Wort. Sonst wären wir vielleicht noch dort!“ Sal dachte an den Händedruck und würde Füße, Augen und Mund hergeben, wenn er nur diesen Händedruck behalten könnte.
„Das ist ja sehr aufschlussreich, Sal. Sie werden sich detaillierter erinnern müssen. Denken Sie an Boden und denken Sie daran, dass in Ihrer provisorischen Feuerstelle noch eine chemisch-physikalische Reaktion im Gange ist. Wenn Sie schnell und präzise sind, können Sie zurück sein, bevor die Hütte ebenfalls in den Oxydationszustand übergeht.“
Sal ging mit gemischten Gefühlen in den Verstärker. Einerseits würde er tief in seine Erinnerungen eintauchen und viele wichtige Dinge noch mal erleben können, andererseits würden alle diese Informationen komplett auf den Großen Lakolar übergehen, auf ihn und auf eine unbekannte Menge von hohen Verantwortlichen auf Artesa. Sal traute keinem von ihnen. Aber der große Lakolar hatte ihm Freiheit und Amnestie versprochen. Und woran durfte man denn noch glauben, wenn nicht an das Wort des Großen Lakolar? Dazu kam, dass die Bilder aus dem IAB ihn wirklich erschreckt hatten. Aber es war die Idee der Kommandantin gewesen, die drei Lebewesen im IAB von Simapi unterzubringen. Sie tönte, dass das IAB von Simapi der sicherste Ort für außerartesianische Lebensformen sei, und dass man dort ein Verfahren entwickelt hatte, diese Lebensformen dauerhaft unterzubringen. Die Wissenschaftler würden das schon richtig machen, behauptete sie, und Sal verkniff sich seinen letzten Einwand, er hätte sich Fragen gefallen lassen müssen, die er nicht beantworten wollte.
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