„Oh, zu leicht“, rief Hamil-kahar mit gespielter Enttäuschung und schüttelte den Kopf. „Zurück damit“, herrschte er den Träger an, „und füll noch etwas nach. Aber nicht zu knapp, hörst du!“ Verbindlich lächelnd wandte er sich wieder Khor und Sarti zu. „Man muss aufgepass“, sagte er zwinkernd. „Fehler sind so schnell geschehen. Doch sagt mir: Wenn ihr keinen Handel treibt, warum fahrt ihr dann übers Meer?“
„Wir suchen die Weisheit und das Wissen der Welt“, antwortete Khor stolz. „In unseren Wäldern kennen wir sie nur vom Hörensagen. Also zogen wir aus, um sie zu suchen.“
„Ui!“ Hamil-kahar pfiff durch die Zähne. „Ein edles Unterfangen. Da habt ihr euch viel vorgenommen.“
„Das mag wohl sein“, nickte Khor. „Aber nur wer um die Dinge weiß, kann auch die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Die Welt wartet nur darauf, verstanden zu werden. Aber bevor wir sie verstehen können, müssen wir zunächst einmal mehr über sie wissen. Denn unser Volk wartet darauf, dass wir ihm dieses Wissen bringen.“
„So, so“, lächelte Hamil-kahar. „Beeindruckend. Ich bin nur ein Händler und fahre deshalb aufs Meer. Denn mein Volk, das wartet auf Nahrung. Also bringe ich ihm Getreide von hier, wo es schön fett und saftig wächst.“ Er zwinkerte Khor zu. „Schade, dass ihr keinen Honig bei euch habt.“
„Es tut mir leid“, wiederholte sich Khor. „Honig haben wir wirklich keinen.“
„Aber ein schöner Prunkdolch hängt an deiner Seite. Abalon?“
„Jawohl“, entgegnete Khor. „Wir waren im vergangenen Herbst dort.“
„Gegen Honig getauscht?“
„Nein“, lachte Khor. „Nicht gegen Honig. Wenn ich gewusst hätte, dass wir einander begegnen, hätte ich dir ein Fässchen davon mitgebracht, glaub es mir.“
„Wie aufmerksam und großzügig von dir.“ Hamil-kahar deutete im Sitzen eine Verbeugung an. „Ich frage mich also, was du sonst anzubieten hattest, um solch einen prachtvollen Dolch zu erstehen.“ Er blickte sein Gegenüber auffordernd an, fixierte dann Sartis Prunkdolch und lachte schließlich.
„Du willst mir doch nicht unterstellen, dass ich ihn gestohlen habe“, gab Khor zurück und überlegte, ob er sich beleidigt fühlen sollte.
„Aber nein, keineswegs! Glaub mir, das war nie meine Absicht. Ich mache doch einfach nur so gerne Tauschgeschäfte, weißt du, Cherr Khor. Für meine Götter ist es eine regelrechte Sünde, wenn ich dich nicht um ein Geschäft bitte. Es kann ja auch nur eine Kleinigkeit sein.“ Hamil-kahar überlegte. „Meine Töpferwaren werden dich wohl kaum interessieren. Aber wie sieht es denn mit edlen Essenzen aus? Wundersame Düfte, die nicht nur euren Nasen, sondern auch euren Seelen schmeicheln? Das da“, mit dem Kinn deutete er nach dem Tischchen an Land und den darauf aufgebauten Unguentarien, „ist eher etwas für die Bauern hier.“
„Das stimmt wohl“, warf Sarti ein und grinste frech. „Da hab ich nämlich schon Besseres gerochen.“ Flugs zog er sein Salbgefäß aus dem Mantel hervor. „Dies hier, dies hat mein Vater mir vor langen Jahren geschenkt. Nun ist es bald leer.“ Er entfernte den Stöpsel und ließ Hamil-kahar daran riechen.
„Oh, oh, oh“, raunte der. „Ein wenig überlagert, aber Kyphi von allererster Güte; wie man ihn nur in Bab-ilim herzustellen weiß. Ich staune, dass man so etwas in euren abgelegenen Wäldern bekommt.“
„Mein Vater hatte das Fläschchen vor Jahren von einem Händler aus dem Süden gegen Pelze eingetauscht“, erklärte Sarti. „Er meinte aber, dass es aus Urukuru käme.“
„Urukuru wird schon seit langem von Bab-ilim beherrscht.“ Hamil-kahar machte eine wegwerfende Handbewegung. „Urukuru ist nur noch ein öder Flecken in der Wüste. Seine Blütezeit ist längst vorbei. Bab-ilim strahlt nun heller, als Urukuru es je vermochte.“
„Warst du jemals dort? Hast du es mit eigenen Augen gesehen?“, wollte Sarti wissen und bekam wie immer, wenn es um derartige Dinge ging, einen hochroten Kopf.
„Aber nein!“, lächelte Hamil-kahar. „Ich bin Seemann und ich befahre die Meere. Bab-ilim liegt tief im Osten, hinter einer tödlichen Wüste und weit weg von der Küste des südlichen Meeres. Nur die Sandgeborenen, die Wüstenleute, wagen den Weg mit ihren Karawanen dorthin. Aber man erzählt allerhand davon. Und die Waren aus Bab-ilim sind allesamt erlesen.“ Mit einem zufriedenen Brummen nahm Hamil-kahar zur Kenntnis, dass inzwischen der letzte Sack Getreide an Bord gebracht worden war.
„Ich frage mich“, sagte er nach einer kurzen Pause zu Sarti, „was du mir für solch ein köstliches Fläschchen aus Bab-ilim bieten könntest.“ Einmal mehr klatschte er in die Hände und ließ ein besonders schön bemaltes Unguentarium aus dem Laderaum kommen, entstöpselte es und hielt es Sarti unter die Nase. „Nun? Was hältst du davon?“
„Ahhh …“ Sarti lief hochrot an. „Welch ein Genuss. Welch ein Duft. Riech doch nur, Khor!“
Auch Khor hatte noch nie einen derartigen Sinneseindruck erfahren. Ihm war, als beträte er neue Sphären, eine andere Welt, ja, ein anderes Dasein.
„Es ist der beste Kyphi, den ihr bekommen könnt“, pries Hamil-kahar seine Ware an. „Seid versichert, dass er überall Seinesgleichen sucht. Kharda-mom und Zingiber aus Lothal, Zinna-mom und Galgant aus Aratta, Weihrauch und Myrrhe aus Schebah, Zedernöl von den Bergen am Meer und Rosenwasser aus Bab-ilim. Dieser Kyphi besteht aus den besten Zutaten der östlichen Welt. Er ist gleichsam der Duft der östlichen Welt.“ Zufrieden beobachtete Hamil-kahar, wie sowohl der Duft, als auch seine Worte ihre Wirkung taten. „Was magst du mir dafür wohl zum Tausch anbieten?“, fragte er Sarti. „Mache mir ein Angebot.“
Sogleich nestelte Sarti an seinem Gürtel herum, griff in den Lederbeutel, in dem er seine Schätze zu verstauen pflegte und hielt einen nicht eben kleinen Bernstein zwischen Daumen und Zeigefinger empor.
„Ui“, entfuhr es Hamil-kahar. „Amb-her. Der Stein der Leben bannt und der auf Wasser schwimmt. Der das Leben verlängert, wenn man ihn verbrennt und der gesunde Kinder in den Bäuchen der Frauen heranwachsen lässt. Hast du etwa noch so einen?“
Sarti lachte. „Und ob …“
So schnell konnte er gar nicht schauen, wie der Bernstein in Hamil-kahars begieriger Hand verschwunden war und im Gegenzug das Unguentarium, flugs verstöpselt, auf Sartis Schoß landete. „Hast du auch solche Steine?“, fragte Hamil-kahar nun Khor, offenbar fest entschlossen, ihn nicht gehen zu lassen, ohne ebenfalls ein Geschäft getätigt zu haben.
„Vielleicht“, entgegnete Khor schnippisch. „Aber an Duftessenzen habe ich keinerlei Interesse.“
„Nicht?“, fragte Hamil-kahar enttäuscht. „Nun denn …“ Er kramte in den Falten seines Rockes. „Vielleicht gefällt dir dies hier.“ Triumphierend hielt er einen Silberreif vor Khors Gesicht.
„Silber?“, fragte der.
„Aber ja! Was denkst du denn?!“ Und schon biss Hamil-kahar fest in den Reif, um anschließend die Abdrücke seiner Zähne im Metall vorzuzeigen.
„Sieh dich bloß vor, mein Freund!“, ertönte plötzlich Gwenaëls Stimme. „Du machst gerade mit dem größten Schacherer der Weltmeere Geschäfte. Bernstein ist in seiner Heimat so wertvoll und begehrt, dass er dir dafür ohne weiteres das Doppelte geben könnte.“ Hämisch lachend sprang Gwenaël auf das Schiff. „Hamil-kahar, du alter Halsabschneider. Ich freue mich, dich zu sehen!“
„Gwenaël“, stieß der hervor. „Gwenaël, der Geflügelte. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich dachte schon, du liegst faul auf deiner Insel bei deinem Weib im Bett und lässt es dir gut gehen.“
Wie alte Freunde begrüßten sie sich, umarmten einander, klatschten sich gegenseitig auf die seit dem letzten Treffen offenbar dicker gewordenen Bäuche und lachten vor Freude, einander wieder zu sehen.
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