„Willkommen auf Oie“, rief er bereits aus einiger Entfernung geschäftig. Man konnte seiner Stimme anhören, dass er diese Begrüßung schon unzählige Male Wort für Wort vorgetragen hatte. „Wie ihr vielleicht wisst, verlangen wir hier auf Oie keinerlei Hafengebühren. Ihr müsst euch lediglich verpflichten, sämtliche euerer Waren uns zum Tausch anzubieten. Weigert ihr euch, so muss ich euch bitten, sogleich wieder abzulegen.“ Breitbeinig baute sich der Mann auf und die Bewaffneten stießen ihre aufgerichteten Speere mit einem lauten Knall auf den Boden, als wollten sie seine Worte damit unterstreichen. „Beim Licht der Sonne“, rief der Alte plötzlich. „Das ist doch Gwenaël! Gwenaël, der Geflügelte, wenn mich meine alten Augen nicht täuschen. Schon lange hast du dich nicht mehr bei uns blicken lassen, Junge.“
„Sei mir gegrüßt, Tyrell“, rief Gwenaël zurück. „Ja, es ist schon eine ganze Weile her, dass wir uns gesehen haben.“
„Man erzählt sich, dass du inzwischen häufiger das östliche Meer befährst.“ Die Stimme des Hafenmeisters klang jetzt sehr viel verbindlicher. „Erst vorgestern kam ein Schiff aus deiner Heimat. Du seiest wohl ebenfalls nach Süden unterwegs, sagte man mir, würdest aber die Festlandhäfen anlaufen wollen.“
„Ach“, rief Gwenaël zurück, „die Leute reden immer, ohne Genaueres zu wissen. Das weißt du doch. Aber wie geht es denn Dir, Tyrell? Die Jahre haben, wie mir scheint, kaum Spuren hinterlassen.“
„Von wegen!“ Der andere lachte herzlich. „Es zieht hier und da. Manche Tage komme ich kaum aus dem Bett. Besonders während der nebelgrauen, feuchten Winter. Mein Weib ist mir überdies vor zwei Jahren gestorben. Sie fiel einfach um und war tot. Ach ja … Meine Kinder brauchten eine Mutter. Also habe ich schließlich das Mädchen zur Frau genommen, das uns im Haushalt half.“
„Die hübsche Rothaarige, die für zwei gearbeitet hat und sich von nichts und niemandem ins Bockshorn hat jagen lassen?“
„Genau die! Adalis heißt sie. Ein Prachtweib, mutig und stolz. Ein wenig frech vielleicht. Aber sie hat mir gleich noch einen Sohn geschenkt. Sechzehn Kinder habe ich nun. Und du, Gwenaël? Deine Coira ist wieder schwanger, wie man mir sagte. Und ihr habt sie zur Führerin deines Volkes gewählt. Das wievielte Kind trägt sie nun?“
„Das Siebente“, gab Gwenaël stolz zurück. „Und wenn ich zurückkomme, mache ich die Acht voll.“
„Na, das will ich wohl meinen! Du wirst dich schon noch ein wenig dranhalten müssen, um schließlich auch meine Zahl zu erreichen.“
Seltsam, überlegte Khor, wie sehr unter Seeleuten die Zeugungsfähigkeit doch immer wieder ein wichtiger Gesprächstoff zu sein schien. Als ob man damit einander bestätigen wollte, irgendwo dazuzugehören.
„Gab es Nachricht, wie es Coira geht?“, fragte Gwenaël und Khor konnte die aufrichtige Sorge in seinen Worten hören.
„Gut geht es ihr, nach allen was man hört.“ Tyrell sprang an Bord und umarmte Gwenaël herzlich. „Sie ist geehrt und hochgeschätzt als Führerin ihres Volkes. Vor zwei Tagen kam ein Schiff von deiner Insel auf dem Weg nach Gadir hier vorbei.“
„Nach Gadir?“, fragte Gwenaël verunsichert. „Das wird wohl jemand aus Cerdrics Klan gewesen sein. Und was hatte es geladen?“
„Zinn und Wollstoffe“, antwortete Tyrell. „Was man eben in Gadir so sucht.“
„So ein Mist! Vor zwei Tagen, sagst du?“ Gwenaël schaute betreten drein als Tyrell nickte. „Dann wird er nicht mehr einzuholen sein und auf jeden Fall vor mir dort eintreffen. Ich habe unter anderem auch Zinn und Stoffe an Bord.“
„Na, nun gräm dich mal nicht“, grinste Tyrell. „Wir haben ihm den größten Teil von seinem Zinn abgetauscht, so dass es an dem deinem noch genügend Interesse in Gadir geben sollte. Du wirst gute Geschäfte dort machen, denn hier brauchen wir dein Zinn erst einmal nicht. Was hast du denn ansonsten geladen?“
„Holz, Fischernetze, erstklassige Angelhaken, Apfelmost, ein paar Raben und einen Wolf“, zählte Gwenaël zunächst die Dinge auf, von denen er kaum erwartete, dass man auf Oie Bedarf an ihnen haben könnte.
„Was willst du denn mit dem Viehzeug?“, fragte Tyrell erstaunt, ohne jedoch eine Antwort abzuwarten. „Wie sieht es denn mit Töpferwaren aus? Ihr macht doch so hübsche Gefäße auf eurer Insel. Man sagt außerdem, dass du im letzten Jahr wieder im östlichen Meer warst. Hast du Pelze oder gar Bernstein?“ Tyrell steuerte geradewegs auf die Luke zum Laderaum zu. „Vielleicht sogar Krakengeschirr?“
Gwenaël grinste breit. „Ich habe Kraken, ich habe Pelze und ich habe Bernstein. Und manch andere feine Dinge auch. Komm mit in den Laderaum und schau, was ich dabei habe.“
Die beiden verschwanden unter Deck und nachdem sie nach geraumer Zeit noch immer nicht wieder aufgetaucht waren, nutzte Khor die Gelegenheit und ging an Land, um sich ein wenig umzusehen. Der Wolfshund fiepte ein Dankeschön und hüpfte so übermütig ins nächste Gebüsch, dass man meinen konnte, sein Hinterteil würde ihn womöglich noch überholen. Die vier Bewaffneten beachteten ihn gar nicht, hatten sie doch nur Augen für Ottel sowie für Elster und Rotfuchs, die es sich nicht nehmen ließen, sich ebenfalls wie ihre Gegenüber in Habachtstellung aufzubauen.
„Abalon?“, fragte der erste Bewaffnete und deutete mit dem Speer auf Ottels Schwert.
„Abalon“, nickte der und drehte die Scheide wirkungsvoll ins Licht der untergehenden Sonne, so dass die Beschläge nur so funkelten.
„Nuraghen?“, fragte der nächste und nickte Elster und Rotfuchs zu.
„Nuraghen“, sagten beide gleichzeitig und grinsten breit.
„Und der Alte mit dem Raben auf der Schulter“, ließ ein weiterer sich vernehmen, „ist wohl ein Hexenmeister.“
„Priester“, verbesserte ihn Broc mit einer angedeuteten Verbeugung, woraufhin der Rabe aufgeregt auf seiner Schulter zu flattern anfing und ständig seinen Namen rief. „Broc, Broc, Broc!“
„Der Vogel redet!“, rief der Vierte und erhielt einen Schwall von Worten aus der Kehle des Raben zur Antwort:
„Redet, redet, redet! Der Vogel rrredet! Broc, Broc, Broc! So ein Quatsch! Sei lieeeeeb …“
Wie sagte man bei Khor zu Hause? Kinder und Hunde machen Fremde zu Freunden. Ein sprechender Rabe jedoch, brachte Fremde dazu, gemeinsam zu lachen. Und mit wem man schon einmal gelacht hatte, dem war man sehr viel weniger fremd und dem hörte man schließlich auch gewogener zu. Natürlich wurde sofort über die Waffen gefachsimpelt und es gab die übliche Protzerei um Schwerter und Rüstungen. Sarti, dessen Prunkdolch aus Abalon bei echten Kriegern kaum übermäßigen Eindruck schinden konnte, schlich sich schnell von Bord und folgte Khor.
„Jetzt warte doch mal einen Augenblick“, rief er ihm hinterher. „Mich interessieren die fremden Schiffe doch ebenso.“
Staunend betrachteten sie die unterschiedlichen Schiffe, die im Hafen lagen. Besonders ein langes, neben einem Segel mit unzähligen Rudern ausgestattetes Schiff erregte zunächst Khors Aufmerksamkeit. Blonde Männer mit heller Haut waren damit beschäftigt, die offenbar soeben eingetauschten Waren zu verstauen, die sie inmitten des ungedeckten Schiffes aufeinander stapelten und schließlich mit Planen abdeckten. Viel Platz war dafür nicht vorhanden, wie Khor feststellte und ihm gruselte bei dem Gedanken in einem derartigen, offenen Gefährt über das Meer rudern zu müssen. Allerdings, so überlegte er, dürfte es wegen seiner schlanken Bauweise sehr viel schneller sein als alle anderen Schiffe. Aber wie ein richtiges Handelsschiff, mit dem man reichlich Tauschwaren von hier nach dort bringen konnte, sah es nun wirklich nicht aus.
„Piraten“, raunte Sarti, woraufhin ihn Khor verwundert ansah.
„Meinst du wirklich?“
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